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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 8 (Maiheft 1923)
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Sokratiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0092

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sie ein oder stellen sie anders. So richte auch du dich nach der kjewerlrgen
Lage. Bist du alt, so spiele nicht den Iungen! Bist du schwächlich, so spiele
nicht den Starken, sondern rnache es wie Diogenes: als einmal diesen, der
sich gerade in einem Schwächezustand befand, jemand stoßen und hinwerfen
wollte, ließ er sich nicht umwerfen, sondern zeigte auf eine Säule mit den
Worten: „Mit dieser nimm es auf und stoße sie um." Oder du bist unver-
möglich) so meine nicht, du müßtest leben wie ein vermöglicher Mann, son-
dern wie du dich nach dem Luftzug richtest (bei gutem Wetter die Segel
aufgespannt, bei schlechtem eingezogen), so tu es auch nach den Mitteln:
hast du Geld, so spanne die Segel auf; wo nicht, so ziehe sie ein! Aber
freilich kann uns das, was wir haben, nicht genügen, so lange wir noch
der Äppigkeit Raum geben und Arbeit für eine Schande halten und den
Tod für das größte Abel. Wenn man es dagegen so weit bringt, daß man
die Lust verachtet, gegen Anstrengungen keinen Widerwillen hat, gegen Ehre
und Rnehre gleichgültig wird und den Tod nicht fürchtet, dann kann man
tun, was man will, ohne daß einen ein Leid trifft. Deshalb sehe ich, wie
gesagt, nicht ein, wie in den Verhältnissen selbst etwas Widerwärtiges
liegen soll.

Aber die Lebensverhältnisse

(T^as Schicksal ist eine Art Dichter und dichtet mancherlei Rollen: den
^Schiffbrüchigen, den Bettler, den Verbannten, den berühmten und un-
berühmten Mann. Der tüchtige Mann muß jede Rolle, die es ihm zuweist,
gut spielen. Du bist schiffbrüchig geworden: so spiele den Schiffbrüchigen
gut; du bist aus einem reichen ein armer Mann geworden: dann spiele den
Armen gut.

Gleich auf Kleines gerichtet und gleich gerüstet auf Großes. Begnüge dich
mit der Kleidung, Lebensweise und Bedienung, die dir gerade zur Verfügung
steht, wie Laertes . . . Man darf keinen Luxus treiben, wenn es die Rm-
stände nicht erlauben, sondern wie der Seemann nach dem Wind, so muß
man sich nach den Verhältnissen richten: reichen sie aus, so benütze sie, wo
nicht, so laß es bleiben. Und wie in einem Feldzug der eine, der ein Pferd
besitzt, als Reiter dient, der andre, der noch eine Rüstung hat, als Schwer-
bewaffneter, der dritte, der nichts besitzt, als Leichtbewaffneter, und wie man
da, wenn der Feind herandrängt und schießt, als Leichtbewaffneter sich auf
die Schwerbewaffneten zurückzieht, so mache es auch im Leben: bedrängt dich
da zuweilen Kampf, Mgngel, Armut, dann ziehe dich zurück auf einmaliges
Essen am Tage, auf Selbstbedienung, auf den Philosophenmantel und —
im äußersten Fall — auf den Hades.

Leonidas

/Lndlos dehnte die Zeit sich, o Mensch, eh' das Licht du erblicktest;
^Endlos dehnt sie sich aus, stiegst du zum tzades hinab.

Ach, was ist's um das Leben! Ist's nicht einem Punkte vergleichbar,
Oder, könnte das sein, kleiner noch gar als ein Punkt?

Kurz zusammengedrängt ist dein Dasein, ach, und wie wenig
Beut es an Freude! Es ist trauriger noch als der Tod.

Aus so schwachem Gebein, ihr Menschen, seid ihr gefüget,

Und doch hebt ihr das tzaupt hoch zu den Wolken empor.

Ach, wie vergebens! Schau her: schon wartet am Ende des Fadens,
Der noch zum Kleid nicht gewebt, deiner der gierige Wurm!

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