Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI issue:
Heft 9 (Juniheft 1923)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Der Geist des Werkes im Werk des Geistes
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0114

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
„Wesenserschernung" absolut zwingend offenbart hätte. Sie hätte es ver»
mocht, denn das ist allezeit Geheimnis und Größe echter Kunst gewesen, datz
sie solches vermochte. And statt dessen hält Bartsch das Kunstwerk für eine
Angelegenheit bloßer „Kennerfreude" und „macht sich Luft", irgendwie, in
kunstähnlichen, bewußt nur kunstähnlichen Gebilden. Die Welt steht auf dem
Kopfe hier! Aus solcher Gesinnung entsteht — nun eben: bestenfalls fein«'
sinnig-gedankenreich-kultivierte „Literatur" mrt der Folge der rückfragenden
Privatbriefe und allem weiteren. Mit andern Worten: Das Werk dieses
Geistes, und ich lasse Bartsch dabei aus gern bekannter Verwandtschaft der
Grundgesinnung alle Ehren eines echten Geistigen, weist nicht die vollen
Züge dieses Geistes auf; es ist Versuch geblieben. Der Geist des Werkes
widerspricht dem Werk des Geistes! Denn der Geist seiner Werke ist der
der Halbheit und des Leichthinnigen, das eigentliche Werk seines Geistes
ist unvergleichlich tiefer und bedeutsamer. Seine Bücher ließen das oft genug
ahnen — nun spricht er es, anscheinend noch immer ahnungslos, selber aus.

Damit aber bildet der „Fall Bartsch" nun in der Tat ein Schulbeispiel
aus seiner Zeit. Ganz gewiß war und ist er ein Höchst besonderer Mann.
So einfach haben sichs nicht viele zurechtgelegt. Manche haben bitter um
„Kunst" gerungen, die neben ihm schufen und nicht einmal den Reichtum
seiner Gaben mitgebracht hatten. . Aber wie seine Halb-Kunst mehr aus-
„sagte" als ausdrückte, Sinnvolles mehr nebenher mitteilte als Sinn un--
mittelbar aufzwang, so ihre Zwangs-Kunst. Das Geheimnis und die Größe
echter Kunst: durch ihre einmaligen, als solche und so und nicht anders ge-
wollten Kunst-Wesenszüge, nicht nebenher mit hineingeschriebenen Gedanken
und Lehren, die volle „Wesenserscheinung" einer geistigen Persönlichkeit
auszudrücken und zu übertragen, dieses Geheimnis haben die raschfingrigen
Nachfahren des Naturalismus zuweilen geahnt, selten erfüllt, nie begriffen.
Ihre Gegner und Aberwinder, deren es in manchen Lagern gab, haben es
besser gewußt, doch nicht besser gekonnt.

Sie haben es nicht besser gekonnt! „Mit Spannung", so sagte mir
vor ein paar Iahren ein Freund des damals noch aufkommenden literari-
schen „Expressionismus", „erwarte ich, daß nun aus der Literatur endlich
wieder eine Kunst werde." Er hoffte und baute auf tzeinrich Mann, auf
Edschmid, auf ich weiß nicht wen alles. Nehmen wir zu Ehren seiner Urteil-
fähigkeit an, daß er noch hofft und nicht Erfüllung sieht, wo Vorläufiges
und Andeutendes ist. Das allerdings ist da. Sehe ich recht, so bewegen sich
einige Iüngere nun auf eine plastische, bau-hafte Dichtung zu, die durch
ihre Kunstwesenheit Ausdruck ihres ganzen Menschtums werden wird. Aber
sie hinaus gelangt scheint mir Albert Trentini mit dem „Goethe", vielleicht
bis zur Erfüllung des Geheimnisses.

Seltsame Tragik begab sich. Eine Kunst ward gefunden. Kaum geboren,
gebar sie eine Halbkunst, die ihren Namen erbte, und starb. In der aus-
brechenden Anarchie der Begriffe, Praktiken und Wertungen verschmäht ein
Hochbegabter die „Kunst", die sein Ausdrucksmittel hätte sein müssen, ver-
schmäht sie und bedient sich der Halbkunst statt der Kunst, der flüchtigen Er-
zählung statt der vollgestalteten Dichtung. And bedient sich in Verlegenheit
der Halbkunst, bis er merkt, daß sie ihm ungenügend dient. Inzwischen ist die
einst gefundene Kunst unaufweckbar begraben. Anarchie! Chaos! And mit
programmgebärendem Getöse wollen Ahnende die Arständ der in Wahrheit
Unsterblichen erzwingen. Mit einem heitern, einem nassen Auge sieht mans.
Aber, freundschaftlich neben ihnen gehend und stehend, „ahnen" auch wir

95
 
Annotationen