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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 9 (Juniheft 1923)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0150

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Der Aben.dländer mit seinern ^scharf
ausgeprägten Linzigkeitsbewußtsein
setzt> in allen seinen Albarten, immer
sich selbst der Welt gegenüber. Von
sich aus begreist er das Geschehen der /
Aatur, alles wird ctuf seine Person
zurückbezogen. Kritische Wissenschaft
ist ihm Erkenntnis schlechthin. Er ver--
steht erst, wenn er begriffen hat. Lr
,geht von außen her an die Dinge
heran und bildet sich, von der Viel-
heit ausgehend, die vereinfachenden,
über der Akatur stehenden Begriffe.

Diesem harten Anpacken der um»
gebenden Welt entspricht als küüst»
lerisches Alusdrucksmittel allein der
europäische Linearismus, d. i. die Be-
greifung des Objekts nach ihrem tast-
baren Charakter. Von Anfang an
drängte der abendländische Geist auf
dieses Ziel hin: die erste und zugleich
schärfste Formulierung fand er in der
Kunst der Griechen. Die plastische
Wiedergabe der Dinge gehört fortan
zum Wesen der okzidentalen Malerei
und Skulptur. Die Illusion der Wirk-
lichkeit sollte vorgezaubert werden. Die
plastische Wiedergabe des Raumes
durch die Zentralperspektive findet sich
in ihren Grundelementen schon auf
pompeianischen Wandgemälden. Sie
mußte bei der besonderen Veranlagung
des Europäers im Moment, wo man
zu einer geschlossenen Bildauffassung
gelangte, entstehen. Der abendländische
Geist war zufrieden, als er sein System
der Raumdarstellung mathematisch be«
weisen und begrifflich fassew konnte.

Die chinesische Weisheit macht den
scharfen Schnitt zwischen Mensch und
All nicht. Sie sah den Menschen nie
als die Krone der Schöpfung an, er
war ihr immer nur ein Teil der Na--
tur. Individualität wurde nie betont.

Dieser universistische Grundzug ist
selbst in dem positiven System des
K'ung Tse nicht zu übersehen; gleich
der Philosophie des Lao Lse ist ihm
das Tao (Bahn oder Weg, worin sich
das All bewegt, also natürliche Welt-
ordnung) der Angelpunkt allen Seins.
Dies Tao zu erkennen, um sich ihm an-
zufügen, ist das Ziel der menschlichen ^
Weisheit. Das Tao des Menschen, der
vom All gezeugt ist, mit dem Tao
des Aniversums in Einklang zu brin«
gen: das ist das Streben des wahrhaft

Gebildeten. Die Wege K'ung Tses
und Lao Tses sind verschieden, das
Ziel ist dasselbe. Höchstes Glück ist
dem anthropozentrischen Abendland
die Persönlichkeit, China findet es in der
vollkommenenHarmonie mit demWeltall.

Dieser Geist des fernen Ostens ist
überall in seiner bildenden Kunst zu
fühlen. Da der Chinese die scharfe
Lrennung von Ich und Welt nicht
dachte, bedeutete ihm die verstandes-
mäßige Beherrschung der Natur nichts;
es lag ihm mit seinem Allbewußtsein
das robuste und kritische Vorgehen un-
serer Wissenschaftler wie auch un-
serer Künstler ferne. Sio erklart sich
bei ihm das Fehlen der Plastizität
und der Zentralperspektive, die auf
die besondere geistige Bewußtseinslage
des Europäers zurückgehen.

Ein Mufiker-Buch für die Zugend

erühmte Musiker und ihre Werke,
die unsere Iugend kennen follte:
unter diesem Titel hat Richard Stern-
feld, von fünfzehn Mitarbeitern unter-
stützt, im Verlag von R. Bong in
Berlin einen Band von 362 Seiten
herausgegeben, der in einunddreißig
Abschnitten das Wichtigste aus der
Musikgeschichte mitteilen und die Ge-
stalten der großen Meister von Io-
hann Sebastian Bach bis auf die
Gegenwart so lebendig schildern will,
daß unsere Iugend ihre Freude daran
haben soll. Als Mitarbeiter bin ich
nicht befugt, die einzelnen Beiträge
zu kritisieren. Das Ganze aber glaube
ich mit gutem Gewissen empfehlen zu
dürfen. Der Ton scheint mir getrof-
fen; reiche, vielseitige Anregung wird
geboten. Besonders wertvoll ist es,
daß über dem Persönlichen die ein-
zelnen Gattungen der Musik .nicht
vernachlässigt werden; die zusammen-
sassenden Abhandlungen betonen die
stilistische Entwicklung als wichtige Er-
gänzung der Einzelerscheinungen. Aa
türlich kann man über manche dn
vorgetragenen Anschauungen und
Werturteile anderer Meinung sein,
ebenso über die Auswahl der Ab-
bildungen und Aotenbeispiele; von
letzteren wären vielleicht mehr, von
ersteren weniger und bessere zu wün-
schen. Doch kommt es darauf nicht
an. Wenn unsere Iugend mit Lust
 
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