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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 12 (Septemberheft 1923)
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Schumann, Wolfgang: Deutschlands Weg
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0251

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und wühlt in deutschem Fleisch, das ohnedies schon Wunde und Weh
war. . . Weiter trägt mich der Traum; gedankenreich, wunderlich verspon-
nen, falschlos und kindhaft lachen Schwaben mir zu, stadtsremd, weltfern
in ihrem goldnen Land der Früchte, Hügel, Flüsse, kleinen Städte, holden
Dörfer und singenden Wälder. . . Bodensee, blaues Auge Europas, stol-
zen Gebirges Spiegel, heiße Ufer, sattes, südlich umhauchtes Volk, wein-
duftende Abende am alten Schloßgemäuer. . . Frankenland! Sinnbild ge»
segneten Wohlstands deutscher Dörfer, Rothenburgs Märchenalter, Bam-
bergs reine Schönheit, Würzburgs volle Reife am Strom, und ihr Franken,
aufrechtes, mannbares, schönstes Geschlecht klangvoller Sprache. . . Thü-
ringens sanftes Gehügel, ländliche Städte, einsame Flüsse, kühle Wälder
grüßen herüber von leichten Träumen übersponnen. . . Sachsens ameis-
fleißiges Volk, klug und wachsam. . o, unermeßlich bist du, Deutschland!
wo mein Fuß hintritt, wird mir meine Sprache entgegenklingen, in
einem Sinne haben die Völker diesen Erdraum gestaltet zu großer tzeimat,
überall erkennbar eines Wesens Land, zu einem Chor klingen zusam-
men die Lieder von West, Süd, Nord und Ost, und eine Ahnung anderer
Welten träumen alle Stämme. . . Vergaß ich etliche? Donauland, das
herrlichste Stromland, einsam und voll großer Bewegung, ehe es sich breitet
in friedevoll-reicher Fläche, bis der SLrom durch harte Felsen bricht, Burg
an Burg tragend, Schroffen und Uferdörflein vorüber, zuletzt die Ebene
durchwallt, welche Wiens tzerrlichkeit trägt, ich vergaß dich nicht. . . Alpen-
hoheit, Bergeinsamkeit, wildgroßes Rrgebirge voll Schnee, kalkige Wände
aufgezackt in den tzimmel, urgesteinige Massen reglos im Wolkentreiben,
Matten, Schluchten, rauschend grüne Bergwässer, kleine Seen-Augen, wer
vergißt sie je? Schweiz, tausendfältiges Land von Gebirge, Seen, Flüssen,
Ebenen, Tälern, tzügeln, seeumarmendes Zürich, flußüberlagerndes Bern,
stromstolzes Basel, und das starke, jahrhundertüberdauernde Gehäus der
Eidgenossen, stark, fest, eng, ehrenreich. . . Deutschland, Deutschtum überall
— fasse dich, tzerz, wenn du dieses alles sinnst, sänftige dich, Sinn, der
du dieses alles faßt, daß nicht törichte Tränen ausbrechen über so viel
Schönheit und Besitz!

Und ist es denn irrende Liebe, die wir tragen zu dem Deutschen in der
Welt? Denkt euch, Völker der Welt, Deutschland und Deutschtum aus der
Geschichte gestrichen, vom Boden der Erde vertilgt, was fällt damit? Die
Frage bedarf einer Vorklärung. Wir wollen nur lebendiger Werte
gedenken. Nicht alles, was ergreifende Erinnerung weckt, was einmal
heißes Leben oder blühender Tag war, Leben und Tag hier wie auf
andern Erdstrichen und bei andern Völkern, sei als Zeugnis angerufen.
Daß einmal Kaiserherrlichkeit in Pfalzen und Reichsstädten sich entfaltete,
daß in Schlachten rotes Blut vergossen wurde, daß deutsches Volk Raum
eroberte und preisgab, verlor und gewann, daß es Schätze raffte und ver-
zehrte, daß es in Wohlstand gedieh und im Elend kümmerte, daß es Land
rodete, Feld bebaute, Städte gründete, Dörfer anlegte, Meere befuhr —
das alles und vieles mehr taten andere Völker nicht minder. Es war der
zeitliche Bedingungraum und der materielle tzintergrund für die Schöpfun-
gen, die deutsches Wesen zum unvergänglichen Bestand der Menschheit bei-
steuerte. Von diesen Schöpfungen des Geistes und der Seele ist zu reden.
Wir achten Wohlstand, Macht und festes Volksgehäuse nicht gering; ohne
sie erblüht nichts Blühendes. Doch ihre Formen wandeln sich und fordern
nicht Verehrung, sondern Aberlegung. Sie betrachten nährt nicht, es belehrt.

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