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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 12 (Septemberheft 1923)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0286

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etwas mühsam losringen, schwingt sich
Mien leichtbeflügelt an die Spitze:
„Ich bin allhier!" Denn es hat die
launische Freiheit nie ganz preis--
gegeben. Und versteht sich nach Jahren
der Klärung nun' glänzend auf die
schöpferische Freiheit! Noch fällt
mein Blick auf eine Stickerei „Winter"
von Erich Büttner und Elsa Hoff-
mann — was ist das? Stickerei? Nun,
es ist echte Voll-Kunst! Und doch
'Stickerei! Durchaus Zeugnis einer dicht
bevorstehenden Zeit, in der jener ab-
solut künstlerische Sinn des Kunst-
handwerks wieder entdeckt und maß-
gebend sein wird.

So wandert sich's behaglich gedanken«
voll durch diesesBilderbuch. DiePhotos
von der Münchener Gewerbeschau erin-
nern gewichtig jan einNnternehmen, des-
sen künstlerischer und kunstgeschichtlicher
Ertrag ein aufrichtigerKenner und Phi-
losoph im vorigen Sommer im Kunstwart
eingehend würdigte. Da war noch vie-
les fragwürdig. Inzwischen ist manches
durch Lat und Gedanken geklärt wor-
den. Den Eindruck hinterläßt Kochs
erlesene, buchförmige „Gewerbeschau im
Kleinen" mit den Bildern wie mit den
sehr lebendigen Textteilen, welche von
allgemeinen und besonderen Fragen
des Kunsthandwerkes handeln, bald
Bekenntnisse, bald lehrreiche Hinweise
sind, bald der Theorie, bald der Praxis
gelten, gleicherweise: daß wir zu immer
wachsender Freiheit des Schaffens hin-
gelangen, zu immer klarerer Scheidung
und Abgrenzung der vorwiegend indu-
striellen, vorwiegend gewerblichen, vor-
wiegend handwerklichen und handwerk-
künstlerischen Arbeitsgebiete und damit
zur Entfesselung aller Kräfte minde-
stens aus dem Banne starrer Prinzi-
pien und Lehrmeinungen. Man sagt
unserer Zeit nach, ihre schöpferische
Kraft sei in der Er-schöpfung begriffen.
Es ist fraglich, ob der fühlsame Be-
trachter eines Werkes wie des vorlie-
genden, das eine Fülle von Geschaffe-
nem mit all seinen tausend wirksamen
Energien zu verdoppelter Wirkung in
sich vereint und dem nachsinnenden wie
dem tätigen Teil des Volkes eindring-
lich mahnend zuführt, diese Meinung
bestätigt. Doch wie dem sei, ob wir
nun aus quellenden Urtiefen schöpfen
und auf unahnbaren Gewinn hoffen,

oder uns begnügen müssen mit Zeit-
lich-Allzuzeitlichem, verächtlich ist nicht,
was die Besten einer Epoche hervor-
bringen, verächtlich nur vorschneller
Verzicht und kunstwidrige Selbstbe-
schränkung. Ie weniger einer hofft,
umso leidenschaftlicher möge er zur
Entfesselung der Kräfte beitragen und
sie fördern; sie ist unser letztes Mittel.
Kochs Werk wird, je weiter es in Fach-
und Liebhaberkreisen nach Verdiensl
verbreitet wird, zu diesem ganz gewiß
höchst lebendigen Geschehen das Sei-
nige beitragen. S.

Schiefe Schlagworte

ie „Logik der Tatsachen" spielt
in den Zeitungen eine größere Rolle
als die bedeutendsten Geister der inter-
nationalen Politik. Amd ist doch eine
höchst zweifelhafte Angelegenheit! An-
ter Logik versteht man eine Wissen-
schaft; aber die Latsachen treiben keine
Wissenschaft . . Die Logik einer Gedan-
kenreihe kann untersucht werden, falls
zweifelhaft erscheint, ob sie den Ge-
setzen jener Wissenschaft entspricht; aber
noch nie hat man die Befolgung ihrer
Sätze verlangt von „Tatsachen". Die
Logik eines Denkers kann größer oder
geringer sein im Sinne jener Wissen-
schaft; aber was wäre eine „geringe
Logik", wenn man sie „Datsachen" nach-
sagen würde, anderes als eine lächer-
liche Redewendung? Nein, Tatsachen
haben keine „Logik"; sie denken nicht,
sie sind; wenn ihre Nnerbittlichkeit aus-
gesagt werden soll — denn von ihrer
„unerbittlichen Logik" ist immerzu die
journalistische Nede! —, so wäre am
Ende zu raten zu „unerbittlicher
Zwangsläufigkeit"; oder falls man aus
die bedeutsame Verkettung zielt: zu
„lehrreicher Zwangsläufigkeit". Mehr
als dies drückt „Logik" nicht aus, und
man sollte am Ende -die Tatsachen nicht
mit dem schlechten Ruf belasten, durch
die Gelehrtenschule gegangen zu sein.

Auch die „Mhstik" wird viel miß-
braucht. Man verwechselt das Wort zu
diesem Zwecke zunächst mit „Myste-
rium"; denn dies Wort bezeichnet Ge-
heimes. Dann aber schreit und schreibt
nran regelmäßig „Mystik!", wenn man
etwas nicht versteht und zugleich arg-
wöhnt, eine Weltanschauung sei im
Spiel, die etwas andere Gedanken als

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