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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 35 - Nr. 39 (7. September - 28. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44275#0144
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dem ſterbenden Jüngliug auf dem Bilde außerordentlich
ähnlich iſt?“
„Er war e8!“ rief Rubens aus, „o, laßt uns gehen.
Der Manı hat Recht. Sein Ruhm iſt mehr werth als der
meine! Laſſen wir ihn im Frieden ſterben!“
Drei Tage ſpäter kehrte Rubens ganz allein nach der
kleinen Kapelle zurück, um das wunderbare Bild noch einmal
zu betrachten und mit dem vermuthlichen Schöpfer desſelben
zu ſprechen Doch das Gemälde war nicht mehr an ſeinem
Platze Statt deſſen ſtand im Hauptſchiffe der Kirche ein
offener Sarg auf dem Boden, umgeben von der ganzen Ge—
meinde, die das Traueramt beging. Er trat näher, um das



‚, „je6t gleicht er noch mehr ſeinem Werke!“

Katholiſche Anklänge im Proteſtantismus.

Vor einiger Zeit brachte die Köln Volk3ztg.“ aus
der Lutherſtadt Wittenberg die Nachricht, daß in der Nähe
dieſer Stadt noch drei Muttergottesfeſte in evangeliſchen
Kirchen gefeiert würden. Darob großer Zorn bei den An—
hängern der ſog. Reformation in Wittenberg, welche die
„Magdeburger Ztg.“ benutzen, um in Schimpfworten ihren
gepreßten Herzen Luft zu machen. Die Mißachtung, mit
welcher ſelbſt in ſonſt gläubigen proteſtantiſchen Kreiſen von
„Dder Marta“ geſprochen wird, muß jedes chriſtliche Gefühl
tief verletzen; erlebten wir es doch kürzlich, daß evangeliſche
Schulkinder in der denkbar roheſten, gemeinſten, ja unfitt—
lichen Weiſe von der Mutter unſeres Erlöſers ſprachen.
Wie kamen wohl dieſe Kinder dazu? In der Kaͤtecheſe
ihres Herrn Predigers hatten ſie gehört, wie reſpektirlich
der Herr von der fündhaften Maria geſprochen. Sie zogen
die Konſequenzen daraus und brachten es leider zu Blas-
phemien. „Es ijt“, bekennt der Proteſtant Ditlein (Ave
Maria, Halle 1863, XIL), „ein Verhältniß beſtändiger
Flucht vor der Mutter Gottes, ſteter Angſt davor, ihr auch
nur ein Wort des Grußes zu gönnen, welches ihr doch
der ewige Vater durch Engelsmund zuſandte, um damit
den erſten Riß in den alten Fluch zu reißen, der uns von
ihm und ſeiner Liebe trenute. Jedem andern Menſchen—
kinde, wenn es in die ewige Heimath voraufgegangen ift,
dürfen wir ein Ave pia anima nachrufen, ſo oft wir wollen,
— nur der Mutter Jeſu nicht, denn das wäre — katho—
liſch!' Die blinden Vorurtheile werden bei den Prote—
ſtanten wohl noch ſo lange andauern, als das Volk ſich in
denſelben erziehen läßt.

Uın aber auf obigen Zorn der Magdeburgerin zurück—
zufommen, beweiſt die „Köln. Vlksztg.“ durch mehrere Zu—
ſchriften, wie Unrecht die Herren von Wittenberg gehaͤbt,
ihren Zorn auf ſie abzuladen. Ein Unbetheiligter ſchreibt
dem genannten Blatte (Nr. 220, 10 Auguſt 1886):

Ich lebte in den ſiebenziger und achtziger Jahren in
Wittenbexrg. Da ich etwas anliquariſch angehaucht bin, ſo
ſtöberte ich mit meinem Freunde vielfach in den oft nicht
unintereſſanten proteſtantiſchen, früher natürlich katholiſchen
Kirchen der weiten Umgebung herum. Bei einem wieder—
holten Beſuch der proteſtantiſchen Pfarrkirche in Lieben—
werda fiel es mir auf, daß eine an der Oſtwand des ſüd—
lichen Querſchiffes ſtehende Statue der Mutter Gottes friſch
mit Blumen umſtellt und mit einem Kranz friſcher Blumen
geſchmückt war. Ich machte meinen Freund auf dieſes
auffallende Vorkommen aufmerkſam, worauf derſelbe erwi—
derte, Liebenwerda ſei zu katholiſchen Zeiien ein viel be—
ſuchter Wallfahrtsort geweſen, und auch jetzt noch kämen





häufig Proteſtanten ſelbſt aus größerer Entfernn
Liebenwerda, um vor dieſem Muttergottesbilde. zij
Daher Fomme es auch, daß das in Rede ftehend“ *p
gottesbild zu ganz beſtimuten Zeiten wiederholt Al
ſchmückt werde.! Als ich nach laͤngerer Zeit einme ;}
in die Kirche Kam, mar der vertwelfte Blumenftralad
vorhanden. Hinter dem Hochaltar der Wittenbeng $
kirche ſtehen zur Zeit, wenn ich nicht irre, noch 4
ſtühle, und nach den mir vön einem ganz zuy 4
Wittenberger Proteſtanten gemachten —
daſelbſt vör noch nicht langer Zeit noch weitere Be 1
in welchen einzelne @Gemeindemitglieder, welche DAa® *{
eine Ohrenbeicht abgelegt hHätten. Db leptereS AU“ I
noch ſtattfindet, habe ich leider nicht erfahren.“ 41
Ein Anderer ſchreibt: „So auffallend iſt *
ſolche Behauptung nicht, Der gewiß nicht ultra
Freiherr von Reinsberg-Düringsfeld ſchreibt 74
„Feſtlichen Jahr“, S. I1: In dem proteſtantiſchen
iſt Maria Verkündigung das einzige Marienfeſt,
ſich kirchlich erhalten hat.“ Soͤcher Reminiscend
der katholiſchen Vergangenheit gibt e& naturgem
So haben die proteftantiſchen Kirchen-Kalender IM
die alten Namen der Sonntage vor und nach Oſte
miniscere, judica, laetare, Quasi modo geniti unD,
bewahrt, und es wird denſelben eine gewiſſe i
beigelegi, ſo daß beiſpielsweiſe an Berliner @\Sl)mflaf1
Abiturienten in der Prüfung danach gefragt ⏑
find aber dieſe Namen nichts anderes, alz die ANGM
worte der hl. Meſſe an den betreffenden Zonnte 4
auch in der Johannisfeier in Leipzig noch ⏑
bräuche aus der katholiſchen VBorzeit ſich erhalten 94 |
bei Reinberg a. O S. 184 nachzulejen.“ gl 4
Als weiteres Beruhigungsmittel für die zornigen ; (
berger und Magdeburger, welche mit Schimpfiwort
ſich werfen, wenn man von Reſten der Marienvel
in der Gegend des proteſtantiſchen Rom zu ſor
erlaubt, ſchickt ein Freund dem erwähnten Blatt eint
marke: die Muttergottes, das Jeſukind tragend, 82
enjchein: Der Magiſtrat zu Genthin.“ Die Stad f
thin Reg. Bezirk Magdeburg) iſt vollftandig protelt®
wäre es da nicht Zeit, daß die Zionswächter dem 8
den Standpunkt klar machen? Oder ſehen die den
vielleicht jeßt ein, wie lächerlich ſie werden, wenn ſil
ſolchen Spektakel erheben? *
Wir könnten weiter noch hinweiſen auf die viel
alten katholiſchen Marienkirchen, die ſich nun iM M
der Proteſtanten befinden, ihren alten Namen abel i
halten haben, nicht zu gedeuken der vielen mittelalth
Marienaltäre (Vergl. das Prachtwerk von Munzenh
die noch beute in den proteſtantiſch gewordenen alten %.
ſich vorfinden und mit großer Sorgfalt und. Verehr!
dem früheren Zuſtande belaſſen werden. *
Trötzdem mehr als 300 Jahre vergangen NM
— Iutherifch gemacht worden ift, finden NO
noch bis zu dieſem Tage dort noch viele katholiſch
klänge, Erinnerungen, Gebräuche und Denkmäler.
heute nennt das Landvolk ganz allgemein die
Prieſter und bezeichnet das Pfarrhaus als Prieſtin
noch heute werden dort Opfergänge um den Altar 4
noch heute giebt es dort einzelne hohe Kruzifixe 4
Kirchhöfen, wie auf dem berühmten proteſtantiſchen
berger Friedhof; noch heute wird dort, Heriaſtell
Leichenbegängniſſen prozeſſionaliter um die Kirche g 4
noch heute finden ſich dort einzelne Beichtſtühle, W M
faſt in ganz Mecklenburg auch noch die — — M
längere Beichte aufſagen; noch heute wird dort vICHT M
den Kirchen an alten Klappaltäten, wie ſich z. B. 4


 
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