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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 4.1924

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Heft 1
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Herold, Mauritius: Der Werdegang eines Schulpferdes nach der in der spanischen Reitschule zu Wien üblichen Methode
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https://doi.org/10.11588/diglit.62257#0035

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Die anderen oben genannten Seitengänge entwickeln sich sämtlich aus dem
Schulterherein und unterscheiden sich von demselben dadurch, daß bei ihnen die
äußeren Beine über die inneren gesetzt werden. Untereinander sind Kruppeherein,
Renvers und Travers nur durch die Stellung des Pferdekörpers zur Wand und durch
dessen Bewegungsrichtung im Verhältnis zu den Reitschulwänden verschieden.
Diese Richtung kann entweder parallel zu den Wänden oder, den Raum durch-
querend, unter einem mehr oder weniger spitzen Winkel an die Reitschulwand
führen.
Durch die fortgesetzte Übung in den Seitengängen, die anfänglich im Schritt,
später in den schnelleren Gangarten geritten werden, erhält das Pferd allmählich die
nötige Geschicklichkeit, um es dann zu weiteren Schulen, wie Pirouetten, Redopp,
Terre ä terre usw., kurz gesagt, zu allen sogenannten »Schulen auf der Erde« anzu-
halten. Ist der Gaul in diesen Schulen hinlänglich geübt, so wird demselben der
spanische Tritt oder die Passage gelehrt. Diese wird gewöhnlich aus der Piaffe, der
Trabbewegung auf der Stelle, entwickelt, indem das Pferd durch allmählich ge-
steigertes, taktmäßiges Vorwärtsgehen zu jener schwungvollen, erhabenen, trab-
artigen Bewegung gebracht wird, welche, besonders der Laienwelt Entzücken und
Bewunderung entlockt.
Das soweit durchgebildete Pferd kann nun »aufgezäumt«, d. h. mit dem Stangen-
zaum versehen werden und gilt jetzt als vollkommen zugerittenes Schulpferd. Es
wird je nach Bedarf nun auch als »Quadrillenpferd« gebraucht werden können, und
ist die Verwendung des jungen Hengstes zu diesem Zweck der eigentliche Prüf-
stein für den dem Pferde innewohnenden Grad des Gehorsams. Bei einem nicht
ehrlich am Zügel stehenden Pferd wäre es ganz unmöglich, die in der Schulquadrille
rasch aufeinander folgenden Wendungen und Touren exakt und gleichzeitig mit den
Partnern durchzuführen.
Es wäre aber ein großer Irrtum, zu glauben, der Reiter hätte nun nichts mehr
zu tun und könne sich auf dem Rücken des fertig gerittenen Tieres einem Dolce
far niente hingeben; diese Annahme wäre weit gefehlt, denn in keiner Disziplin
kann man das Sprichwort: »Stillestehn heißt rückwärtsgehn« mit mehr Berechtigung
anwenden, als gerade beim Schulreiten. Man muß das beim Pferd mühsam Er-
reichte mit aller Aufmerksamkeit festzuhalten suchen und stets noch auf Vervoll-
kommnung hinarbeiten, denn das Pferd ist — wie eingangs erwähnt — ebenfalls mit
Zähigkeit damit beschäftigt, gegenüber dem Reiter Vorteile zu erringen.
Ein wesentliches Ziel für den Schulreiter ist es auch stets, sein Pferd zu den so-
genannten »Schulen über der Erde« zu erziehen; dieses Ziel läßt sich aber nicht
bei allen Tieren erreichen, sondern es müssen gewisse Voraussetzungen von Natur
aus gegeben sein, nämlich Temperament und möglichst fehlerloser, kräftiger Bau.
Den Schlüssel für die Schulen über der Erde bildet die Arbeit in den Pilaren;
diese sind eine Erfindung des berühmten Reitlehrers Ludwigs XIII. von Frankreich,
Antoine de Pluvinel. Durch die Pilarenarbeit wird der junge Hengst in erster Linie
zum Piaffe erzogen; diese Schule besteht in einer gleichmäßigen, diagonal wechseln-
den Bewegung der Beine, kurz Trabbewegung auf der Stelle. Allmählich wird auf
diese Art die Nachhand des Pferdes zu immer stärkerem Unterschieben gebracht; im
gleichen Verhältnis werden die Vorderbeine entlastet und können dadurch immer
höher gehoben werden. Je nach Temperament und Leistungsvermögen des Pferdes
entstehen nun bei gesteigerten Anforderungen Momente, in denen das Pferd entweder
mit angezogenen Vorderbeinen auf den stark untergeschobenen Hinterbeinen
balanciert oder sich bei erhobener Vorhand mit den Hinterfüßen vom Boden abstößt.

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