Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 4.1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.62257#0525
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Heft 5
DOI Artikel:Zimmer, Heinrich Robert: Winke für Katzenzucht
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Dieselbe Szene spielt sich seither mit großer Einförmigkeit in der
Geschichte deutscher Bücher, deutscher Träume ab, nur daß der
fiedelnde Tanzmeister und die sehnsüchtige Seele in ein und derselben
Brust hausen, und darum die Verblüffung wegfällt, die dem jungen
Chateaubriand aufbehalten war.
Der Geburtstag des Kulturkaters fällt in das Ende des Rokoko, er
ist ein Bastardbruder des modernen Historismus. Bis ins Rokoko
spannen sich antike
Formen naiv
wandlungsfroh
ganz allgemein
fand man sich
Werner Heuser
und
fort,
emp-
unbe-
fangen als antikisch,
als Cäsar oder Schäfer,
und noch Camille
Desmoulins durfte in
seiner Rede für die
Enthauptung Louis
XVI. naiv den Konsul
Brutus tragieren und %
republikanisch -väter-
lich mit einer Livius-
Pirouette schließen:
„i Lictor et deliga ad
palum!". Aber schon
hatte Winckelmann
die Antike gegen den
Barock heraufbe-
schworen und mäh-
lich wachsender Histo-
rismus wandelte das
Altertum zum Tum-
melplatz gelehrter Ro-
mantik, den beklommene Sehnsucht nach höherem Menschentum, die
an sich selber litt, weimaranisch-mild oder dionysisch-übermenschlich
bevölkerte.
Dieser Gegenwartskater entsprang einer unausbleiblichen Liaison
des Kulturkaters mit der Geschichte. Ein zeugungsfroher Bursche. Zu
seinen ersten Vermehrungsproben gehörte ein lyrisch-romantisches
Kätzchen von ausgesprochen gotischem Stil. Wackenroder und an-
dere zogen es auf, Novalis schmückte es mit blauer Blume, und nach-
dem es Tiecks mondbeglänzte Zaubernacht mit Lockgesang erfüllt
375
Geschichte deutscher Bücher, deutscher Träume ab, nur daß der
fiedelnde Tanzmeister und die sehnsüchtige Seele in ein und derselben
Brust hausen, und darum die Verblüffung wegfällt, die dem jungen
Chateaubriand aufbehalten war.
Der Geburtstag des Kulturkaters fällt in das Ende des Rokoko, er
ist ein Bastardbruder des modernen Historismus. Bis ins Rokoko
spannen sich antike
Formen naiv
wandlungsfroh
ganz allgemein
fand man sich
Werner Heuser
und
fort,
emp-
unbe-
fangen als antikisch,
als Cäsar oder Schäfer,
und noch Camille
Desmoulins durfte in
seiner Rede für die
Enthauptung Louis
XVI. naiv den Konsul
Brutus tragieren und %
republikanisch -väter-
lich mit einer Livius-
Pirouette schließen:
„i Lictor et deliga ad
palum!". Aber schon
hatte Winckelmann
die Antike gegen den
Barock heraufbe-
schworen und mäh-
lich wachsender Histo-
rismus wandelte das
Altertum zum Tum-
melplatz gelehrter Ro-
mantik, den beklommene Sehnsucht nach höherem Menschentum, die
an sich selber litt, weimaranisch-mild oder dionysisch-übermenschlich
bevölkerte.
Dieser Gegenwartskater entsprang einer unausbleiblichen Liaison
des Kulturkaters mit der Geschichte. Ein zeugungsfroher Bursche. Zu
seinen ersten Vermehrungsproben gehörte ein lyrisch-romantisches
Kätzchen von ausgesprochen gotischem Stil. Wackenroder und an-
dere zogen es auf, Novalis schmückte es mit blauer Blume, und nach-
dem es Tiecks mondbeglänzte Zaubernacht mit Lockgesang erfüllt
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