Feuerprobe bestanden hatte, in Köln und Berlin
vorgeführt wurde, an schlimmen Fehlern. Sie
enthält grobe Zusätze, die bei der zweiten Be-
arbeitung (1881) zum Teil getilgt wurden. Sie
gibt statt des Maskenzugs ein Ballett, statt der
Walpurgisnacht wenige Bilder; aus der Auf-
lösung der Gefährtinnen der Helena wird wiederum
ein Ballett, die Glorie am Schluss erscheint in
mattester Form. Man braucht es daher als kein
grosses Unglück zu betrachten, wenn diese Be-
arbeitung trotz ihrer grossen geschichtlichen
Bedeutung allmählich verschwunden ist und
vielleicht nur in Weimar noch pietätvoll ge-
wahrt wird.
Kaum hatte Devrient geredet, so meldete
sich Dingelstedt zum Wort; der geschickte
Macher, der vieles konnte, traute sich alles zu.
Aber zum Faust reichte seine Kraft nicht aus.
Die einzelnen Vorschläge zeigen den praktischen
Bühnenmann, sind aber zum Teil sehr bedenk-
lich. Aus dem Studierzimmer soll Faust und
Mephisto auf einem Flugwerk hinausssiegen und
währenddessen das ganze Zimmer abbrennen
und einstürzen; in Auerbachs Keller sollte jeder
Student einen anderen Dialekt reden. Geradezu
antigoethisch ist der Vorschlag, dass in der
Hexenküche nicht ein Bild erscheinen, sondern
eine wirkliche Schönheit dargestellt werden
sollte, die zuerst schläft, dann die Arme aus-
streckt und aus dem Bilde herauszuwachsen
scheint, oder gar die Anweisung, Gretchen solle,
nachdem sie sich ausgezogen, aus dem Vorhang
herausblinzeln nach der Stelle, wo Faust und
Mephisto ständen. Brauchbar ist nur die An-
wendung der Wandeldekoration für die Walpurgis-
nachtszene und einzelne andere. Die Willkür-
lichkeiten im zweiten Teil sind ungeheuer; im
zweiten Akt bleibt nach Dingelstedts Angabe
kein Stein auf dem anderen. Gestrichen sind
die Homunculus-, Wagner-, Baccalaureus-, Eu-
phorion-Szenen. Von der klassischen Walpurgis-
nacht bleibt nur ein kurzes Spiel, das hinter
einem durchsichtigen Gazevorhang dargestellt
wird. Auf diese Weise werden die fünf Akte
der gewaltigen Tragödie in vier zusammen-
gezogen. Der Lust des Dekorateurs und Musikers
wird Genüge getan.
Was Dingelstedt nur andeutete, führte Wil-
brandt, einer seiner Nachfolger am Burgtheater,
aus. Seine Kürzungen sind bedeutend: von der
klassischen Walpurgisnacht ist wenig übrig ge-
blieben; aus dem vierten Akt ist nur ein Drittel
beibehalten. Für die Auslassung des Gesprächs
zwischen Kaiser und Erzbischof waren wohl,
ebenso wie für alle die kleinen Änderungen im
ersten Teil, die bei den die Wohlanständigkeit
verletzenden Stellen vorgenommen wurden, Rück-
sichten auf die Zensur wirksam. Schlimmer als
die Auslassungen sind die Zusätze. Sie bekunden
nicht selten den Halbgelehrten, der die an einer
Stelle ausgelassenen Verse an anderer unpassen-
der anbringt, oder den Halbdichter, der im zweiten
Teil noch mehr als im ersten sich an Goethe
stark versündigt.
Seitdem wurde teils nach der einen, teils
nach der anderen bereits erwähnten Bearbeitung
der zweite Teil und damit die ganze Faustdich-
tung häufig gegeben. Von L’Arronges Versuch,
„Fausts Tod“, ist, trotz seines glänzenden Er-
folges, in diesem Zusammenhang nicht zu reden,
da es sich dabei nicht um eine Gesamtbearbei-
tung, sondern nur um ein Bruchstück handelt.
1895 bot Possart in München zauberhafte Bilder
mit schöner Musik; 189g das Schillertheater in
Berlin eine Vorführung der gesamten Dichtung
an vier Abenden, die Wiederaufnahme eines
bereits 1877 in Hannover unternommenen Ver-
suches.
Wie die Weltgeschichte das Weltgericht, so
ist auch die Geschichte eines einzelnen Theater-
stücks in gewisser Weise Richterin über die Art
seiner Vorführung: aus verfehlten Experimenten
zeigt sich, wie man es nicht anfangen soll oder
wie man es besser machen kann. Man kann
sehr wohl aus dem Vorstehenden folgende Sätze
aufstellen: Faust erster und zweiter Teil gehören
organisch zusammen; nicht bloss der neugierige
Theaterbesucher will wissen, was aus Faust
wird, dessen Schicksal im ersten Teil unerörtert
bleibt, sondern gerade der sinnige Dichtungs-
freund ist sich darüber klar, dass eine so gross
angelegte Charakterstudie nicht mit dem Ab-
schluss eines Liebesabenteuers zu Ende sein
kann. Wer auch keine Kommentare gelesen hat,
der weiss, dass die Wette zwischen Mephisto
und dem Herrn ausgetragen werden muss und
dass Fausts Evangelien-Übersetzung „im Anfang
war die Tat“ gewissermassen schon verkündet,
dass der Mann des Gedankens auch als tätiger
zu bewundern sei.
Diese organische Zusammengehörigkeit da-
durch zu bezeugen, die beiden Teile wirklich
an einem Abend zusammenzubringen, wäre sinn-
los. Ein Theaterabend würde niemals dazu aus-
reichen; es fragt sich aber, ob man etwa den
Sonntag durch eine lange Nachmittags- und eine
längere Abend-Vorstellung zu einem solchen
Experiment benutzen möchte, wie man es bei
Schillers Wallenstein mehrfach nicht ohne Glück
getan hat. Die Frage muss jedoch verneint wer-
den, obgleich einmal in Mannheim durch Julius
Werther das kühne Wagnis unternommen wurde.
Der Grund der Verneinung ist folgender: wenige
Stunden nach der Kerkerszene kann kein em-
pfindender Mensch neue Bühneneindrücke in sich
aufnehmen. Das gewaltige Faust-Drama an einem
einzigen Tage vor sich vorüberziehen zu lassen,
dazu würde die Aufnahmefähigkeit derWenigsten
zureichen; und wäre das Publikum auch da, wo
gäbe es einen Schauspieler, der als Faust und
fast ebenso als Mephisto über diese Kraft des
Dauerredners verfügte?
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vorgeführt wurde, an schlimmen Fehlern. Sie
enthält grobe Zusätze, die bei der zweiten Be-
arbeitung (1881) zum Teil getilgt wurden. Sie
gibt statt des Maskenzugs ein Ballett, statt der
Walpurgisnacht wenige Bilder; aus der Auf-
lösung der Gefährtinnen der Helena wird wiederum
ein Ballett, die Glorie am Schluss erscheint in
mattester Form. Man braucht es daher als kein
grosses Unglück zu betrachten, wenn diese Be-
arbeitung trotz ihrer grossen geschichtlichen
Bedeutung allmählich verschwunden ist und
vielleicht nur in Weimar noch pietätvoll ge-
wahrt wird.
Kaum hatte Devrient geredet, so meldete
sich Dingelstedt zum Wort; der geschickte
Macher, der vieles konnte, traute sich alles zu.
Aber zum Faust reichte seine Kraft nicht aus.
Die einzelnen Vorschläge zeigen den praktischen
Bühnenmann, sind aber zum Teil sehr bedenk-
lich. Aus dem Studierzimmer soll Faust und
Mephisto auf einem Flugwerk hinausssiegen und
währenddessen das ganze Zimmer abbrennen
und einstürzen; in Auerbachs Keller sollte jeder
Student einen anderen Dialekt reden. Geradezu
antigoethisch ist der Vorschlag, dass in der
Hexenküche nicht ein Bild erscheinen, sondern
eine wirkliche Schönheit dargestellt werden
sollte, die zuerst schläft, dann die Arme aus-
streckt und aus dem Bilde herauszuwachsen
scheint, oder gar die Anweisung, Gretchen solle,
nachdem sie sich ausgezogen, aus dem Vorhang
herausblinzeln nach der Stelle, wo Faust und
Mephisto ständen. Brauchbar ist nur die An-
wendung der Wandeldekoration für die Walpurgis-
nachtszene und einzelne andere. Die Willkür-
lichkeiten im zweiten Teil sind ungeheuer; im
zweiten Akt bleibt nach Dingelstedts Angabe
kein Stein auf dem anderen. Gestrichen sind
die Homunculus-, Wagner-, Baccalaureus-, Eu-
phorion-Szenen. Von der klassischen Walpurgis-
nacht bleibt nur ein kurzes Spiel, das hinter
einem durchsichtigen Gazevorhang dargestellt
wird. Auf diese Weise werden die fünf Akte
der gewaltigen Tragödie in vier zusammen-
gezogen. Der Lust des Dekorateurs und Musikers
wird Genüge getan.
Was Dingelstedt nur andeutete, führte Wil-
brandt, einer seiner Nachfolger am Burgtheater,
aus. Seine Kürzungen sind bedeutend: von der
klassischen Walpurgisnacht ist wenig übrig ge-
blieben; aus dem vierten Akt ist nur ein Drittel
beibehalten. Für die Auslassung des Gesprächs
zwischen Kaiser und Erzbischof waren wohl,
ebenso wie für alle die kleinen Änderungen im
ersten Teil, die bei den die Wohlanständigkeit
verletzenden Stellen vorgenommen wurden, Rück-
sichten auf die Zensur wirksam. Schlimmer als
die Auslassungen sind die Zusätze. Sie bekunden
nicht selten den Halbgelehrten, der die an einer
Stelle ausgelassenen Verse an anderer unpassen-
der anbringt, oder den Halbdichter, der im zweiten
Teil noch mehr als im ersten sich an Goethe
stark versündigt.
Seitdem wurde teils nach der einen, teils
nach der anderen bereits erwähnten Bearbeitung
der zweite Teil und damit die ganze Faustdich-
tung häufig gegeben. Von L’Arronges Versuch,
„Fausts Tod“, ist, trotz seines glänzenden Er-
folges, in diesem Zusammenhang nicht zu reden,
da es sich dabei nicht um eine Gesamtbearbei-
tung, sondern nur um ein Bruchstück handelt.
1895 bot Possart in München zauberhafte Bilder
mit schöner Musik; 189g das Schillertheater in
Berlin eine Vorführung der gesamten Dichtung
an vier Abenden, die Wiederaufnahme eines
bereits 1877 in Hannover unternommenen Ver-
suches.
Wie die Weltgeschichte das Weltgericht, so
ist auch die Geschichte eines einzelnen Theater-
stücks in gewisser Weise Richterin über die Art
seiner Vorführung: aus verfehlten Experimenten
zeigt sich, wie man es nicht anfangen soll oder
wie man es besser machen kann. Man kann
sehr wohl aus dem Vorstehenden folgende Sätze
aufstellen: Faust erster und zweiter Teil gehören
organisch zusammen; nicht bloss der neugierige
Theaterbesucher will wissen, was aus Faust
wird, dessen Schicksal im ersten Teil unerörtert
bleibt, sondern gerade der sinnige Dichtungs-
freund ist sich darüber klar, dass eine so gross
angelegte Charakterstudie nicht mit dem Ab-
schluss eines Liebesabenteuers zu Ende sein
kann. Wer auch keine Kommentare gelesen hat,
der weiss, dass die Wette zwischen Mephisto
und dem Herrn ausgetragen werden muss und
dass Fausts Evangelien-Übersetzung „im Anfang
war die Tat“ gewissermassen schon verkündet,
dass der Mann des Gedankens auch als tätiger
zu bewundern sei.
Diese organische Zusammengehörigkeit da-
durch zu bezeugen, die beiden Teile wirklich
an einem Abend zusammenzubringen, wäre sinn-
los. Ein Theaterabend würde niemals dazu aus-
reichen; es fragt sich aber, ob man etwa den
Sonntag durch eine lange Nachmittags- und eine
längere Abend-Vorstellung zu einem solchen
Experiment benutzen möchte, wie man es bei
Schillers Wallenstein mehrfach nicht ohne Glück
getan hat. Die Frage muss jedoch verneint wer-
den, obgleich einmal in Mannheim durch Julius
Werther das kühne Wagnis unternommen wurde.
Der Grund der Verneinung ist folgender: wenige
Stunden nach der Kerkerszene kann kein em-
pfindender Mensch neue Bühneneindrücke in sich
aufnehmen. Das gewaltige Faust-Drama an einem
einzigen Tage vor sich vorüberziehen zu lassen,
dazu würde die Aufnahmefähigkeit derWenigsten
zureichen; und wäre das Publikum auch da, wo
gäbe es einen Schauspieler, der als Faust und
fast ebenso als Mephisto über diese Kraft des
Dauerredners verfügte?
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