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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Heft 9
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Die große Berliner Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0161

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ssuchte Kritiker“ hat mich wieder nicht erwähnt. Und
dabei hat dieser Mann vollständig recht. Denn man hätte
ihn in einer solchen Ausstellung ebensogut nennen können
wie irgend einen anderen. Aber es muß geschrieben
werden. Die Blätter wollen es, das Publikum will es, die
Maler wollen es. Am wenigsten wollen es die Kritiker.
Sie, diese Bösen, möchten eigentlich nur dann schreiben,
so es gilt, Probleme zu formulieren. Nichts liegt ihnen
ferner, denn den Maler zu schädigen, und deshalb sei das
kaufende Publikum darauf hingewiesen, daß in einem
solchen Bildermarkt eigentlich alle Bilder gleichwertig
sind. Nur sehr wenige sind aus anderem Holze. —
Eigentümlich und ein wenig amüsant war es für den
Kenner Berliner Kunstverhältnisse, zu sehen, daß man
sich herbeigelassen hat, ein kleines Kabinett mit Bildern
jener verhaßten Franzosen zu füllen, die der Elitestamm
der „Sezession“ sind. Ich nenne: Jongkind, Cezanne,
Monet, Pissaro, Sisley, Renoir und den großen Puvis de
Chavannes. Cezanne, dieser ganz exklusive Künstler, der
selbst in Frankreich erst seit kurzem etwas gilt und dort
etwa jene Rolle einnimmt wie der spleenige van Gogh in
Holland, ist mit einem exquisiten kleinen Landschaftsbilde
vertreten. Man muß bei ihm ja hin und wieder Schrullen
in Kauf nehmen, dafür verhilft er Einem dann zu hohen
Genüssen: sein Strich ist so knapp und klar, seine An-
schauung so verblüffend nackend, seine Farbe manchmal
grausam und unerbittlich unmittelbar. Er gehört zu jenen
Künstlern, die die Kunst so restlos im Zeichen einer un-
abwendbaren Selbstverständlichkeit um ihrer selbst willen
üben, daß sie kaum ihren Namen unter die Leinwand
schreiben. Von den übrigen Franzosen will ich nicht
sprechen, nur noch von Puvis de Chavannes. Er hat zwei
ausgezeichnete Studien da, und vor ihnen dachte ich:
wenn doch von dir, großer Meister der dekorativen Kom-
position, das Gros der sogenannten Naturalisten lernen
wollte, daß es noch ein Anderes gibt denn deskriptive
Landschaftslyrik, daß man die in unseren Tagen so eng
gezogenen Grenzen der Kunst doch sehr bald wieder
hinausschieben möge; und man kann es, auch ohne in
Akademizismus zu verfallen.
Vor zwei Jahren war es, da verließen 16 Mann die
„Sezession“. Wir wollen an den Zwist und die Gründe
nicht wieder erinnern. Sie haben seitdem zweimal in
einem Sondersaal als Gruppe am Lehrter Bahnhof aus-
gestellt. Unter ihnen fallen besonders die Werke von
O. H. Engel und Julie Wolfthorn auf. Jener gibt einige
märkische Bäuerinnen in Festtagskleidung unter einem
Baume, ein Bild, das koloristisch und seelisch gut
zusammenklingt. Diese ein sehr charakteristisches Porträt
einer alten Dame.
Von jüngeren Berlinern bemerkte ich die Land-
schaften von Richard Eschke, wohl ein Sohn des ver-
storbenen Landschafters, die von einem redlichen Streben
künstlerischen Wollens zeugen. — Bei den Düsseldorfern
sah ich manches bekannte Bild, dem man auf früheren
Ausstellungen schon begegnete. Bergmann, Hardt, Her-
manns und Otto fielen mir besonders auf. Auch stand
ich eine Weile vor einer Landschaft von Max Hunten
und dachte: dieser Maler ist gewiß kein Stürmer und
Dränger, keiner, der auch nur den Willen hat, eine neue
Sprache zu reden. Aber das ist bei schwachen Be-
gabungen oft von Übel. Seiner Art aber, die durchaus
nicht vom Hergebrachten abweicht, haftet dennoch eine
Innigkeit, Ehrlichkeit und Gründlichkeit an, die dem
Kennerauge seine Bilder wesentlich unterscheidet von
der ihnen zum Verwechseln ähnlichen Alltagsware. Würden
diese Bilder vor 50 Jahren gemalt sein, man würde sie
heute schätzen, denn der Maler hat ein eigenes Gefühl
zur Natur. Vorjahren sah ich mal ein Bild des Künstlers,
das mir noch mehr gefiel: gerade in die Landschaft hinein
führte ein kahler Bahndamm mit Telegraphenstangen und
über diesen weg ssog ein Hase. Das Bild-war wirklich
originell gesehen und mir lieber als die Bilder so Mancher,
die sich die Maske der Modernität leihen. — Ich sprach
eben von der Telegraphenstange auf einer Landschaft: wenn
doch einer Telegraphenstangen malen wollte, ich liebe sie

über alles. Aber es ist nicht leicht, es müßte mit der Innig-
keit der Primitiven geschehen und der zeichnerischen und
tektonischen Delikatesse der Japaner. So hätten wir ein
Bild, das uns zu gleichen Teilen alte Naturromantik und
den Zauber moderner Elektrizität suggerieren würde. Man
lache nicht oder denke höchstens mit Hamlet: ist es
zwar Unsinn, so hat es doch Methode! —• Soll ich noch
von den Belgiern reden? Ich sollte es nicht, denn ich
könnte ebensogut noch von manchem andern der 1896
sogenannten Kunstgegenstände reden. Aber ich will es
doch tun, und sagen, daß ich sie nüchtern fand und zwar
den Farasyn, den ich früher schätzte, den Leon Frederik,
der noch immer vortrefflich zeichnet, aber grauenhaft hart
und bunt in der Farbe ist und dessen Bilder unruhig
und bizarr sind wie eine dornige Hecke. Khnopff, dieser
Salonmystiker, der zarte Strophen an hysterische Frauen-
zimmer dichtet, wirkt diesmal dünner wie je: wie wachsen
wir aus unseren Jugendidealen! — Nur, daß ich dich
nicht vergesse, Gari Melchers, dein „Mann im Mantel“
ist eine prächtige Leistung.
Blieben noch die Skulpturen. Meuniers herrlichen
„Hafenarbeiter“ sahen wir in seiner Donatello-würdigen
Freiheit und Größe in Antwerpen vor dem Museum stehen
und vor zwei Jahren das Modell in der „Sezession“.
Diesmal begegnen wir hier einem kleinen Abguß. Eine
Verkleinerung tut speziell dieser Figur übrigens Abbruch,
sie ist lebensgroß gedacht und entworfen. Und Vinpottes
Porträtbüste der verstorbenen Königin der Belgier muß
jeden entzücken, der bei allen Konzessionen an zarte
Frauenschönheit eine künstlerische Ausdrucksweise so
rein erhalten sieht. — Von deutschen Bildhauern sind vor
allen Maison, Brütt und Lederer zu nennen. Nichts be-
weist mehr die Notwendigkeit dessen in der Kunst, das


IX

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Isaac Israels, Amsterdam.
Geschwister Dainef. Ölgemälde.
 
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