der Verkaufsstube ob, die jeweilen schon früh
viel Besuch empfing, da die ganze Oberstadt,
soweit sie ein wohlgebackenes und fein ge-
arbeitetes Brot liebte, es bei Mutter Bächlin
bezog und frisch vom Ofen wegholte. Auch
beim Ausziehen war sie zugegen, nicht nur,
weil sie die Brötchen- und Weckenarten gleich
sondern und auf die verschiedenen Kunden ver-
teilen konnte, vielmehr auch, weil ihr der Duft
des warmen Ge-
bäcks, an den sie
sich seit Jahr-
zehnten gewöhnt
hatte, ein Genuss
und ein Bedürf-
nis geworden war.
Nur wie einHauch
berührten ihre
Hände, die weich
und zum Geben ge-
macht schienen,
die neugebacke-
nen Dinger, wenn
der Sohn sie feu-
rig heiss heraus-
zog und mit dem
Schieber auf das
bereitliegende
Brett ablud. „Wie
herrlich duftet
das!“ rief sie ein
Mal über das an-
dere und sog den
Wohlgeruch gie-
rig ein. „Schön
geraten sind die
Wecken, das muss
ich sagen, Hein-
rich. Gründlich
durchgebacken,
glänzend braun
und keines ange-
brannt. Ja, ja,
du verstehst dein
Fach beinahe so
trefflich wie der
Vater selig“ —
„Hans,“ rief sie
dem Lehrjungen
zu, „sieh dirs recht
an, so müssen die
Brötchen glänzen, eins wie’s andere, keines zu
braun und keines zu bleich.“ Und sie blickte mit
zärtlichem Wohlgefallen über die in Reih und
Glied geordneten Wecken hinweg, wie der Bauer
am Sonntag mit inbrünstigem Wohlgefallen und
weihevollen Anwandlungen über das wallende
Kornfeld, das die Sonne gebräunt und zu goldener
Reife gebracht hat. Tag für Tag besorgte sie
diese kleine Arbeit mit gleicher Gemütsruhe und
gleicher Liebe zur Sache, obschon sie in den
letzten Jahren gebrechlich geworden war. Ein
Gewichtsstein war ihr auf den rechten Fuss ge-
fallen und hatte eine tiefe Wunde hinterlassen,
die nicht heilen wollte und sie häufig empfind-
lich schmerzte. Allein das tägliche Brot zu be-
reiten, erschien ihr als eine heilige Kunst, die
man ausdauernd und mit Ernst und Würde be-
treiben muss. Und es war ihr Stolz geworden,
eine feine und zuverlässige Kundschaft heran-
zuziehenund diese
ihrem jüngsten
Sohne, der das ihr
liebgewordene
und wohlberufene
Geschäft überneh-
men sollte, zu er-
halten.
Er war ihr für
ihre fürsorglichen
Dienste innerlich
dankbar. Allein in
letzter Zeit war es
zwischen den bei-
den zu einigen
kleinen Reibungen
gekommen, die da-
her rührten, dass
der Sohn anfing,
Abends ins Wirts-
haus zu gehen,
lange auszublei-
ben u. sogar tags-
über sein Schöpp-
chen auswärts zu
trinken. Heute
machte er ihr den
Vorschlag, im Ro-
ten Haus zu früh-
stücken, er sehne
sich nach einer
währschaften
Mehlsuppe mit ei-
nem guten Glase
Wein, was er in
der Fremde ge-
wohnt gewesen
sei. Da machte
sie ihm ein paar
grosse Augen und
sagte, etwas
schmerzlich: „Du
sängst an, deiner Mutter Kost zu verschmähen.“
„Man muss seinen Kunden auch etwas zu
verdienen geben, muss ihnen nachgehen,“ er-
widerte er, leicht gereizt.
„Wir können ja nachher darüber sprechen!“
Als dem Lehrjungen die Brötchen und Wecken
zum Austragen in den Korb eingezählt waren und
er sich entfernt hatte, nahm die Mutter das Ge-
spräch wieder auf: „Oben steht das Frühstück für
uns beide bereit. Willst du mithalten, Heinrich?“
Albert Löw.
Porträt des Dichters Adols Vögtlin.
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viel Besuch empfing, da die ganze Oberstadt,
soweit sie ein wohlgebackenes und fein ge-
arbeitetes Brot liebte, es bei Mutter Bächlin
bezog und frisch vom Ofen wegholte. Auch
beim Ausziehen war sie zugegen, nicht nur,
weil sie die Brötchen- und Weckenarten gleich
sondern und auf die verschiedenen Kunden ver-
teilen konnte, vielmehr auch, weil ihr der Duft
des warmen Ge-
bäcks, an den sie
sich seit Jahr-
zehnten gewöhnt
hatte, ein Genuss
und ein Bedürf-
nis geworden war.
Nur wie einHauch
berührten ihre
Hände, die weich
und zum Geben ge-
macht schienen,
die neugebacke-
nen Dinger, wenn
der Sohn sie feu-
rig heiss heraus-
zog und mit dem
Schieber auf das
bereitliegende
Brett ablud. „Wie
herrlich duftet
das!“ rief sie ein
Mal über das an-
dere und sog den
Wohlgeruch gie-
rig ein. „Schön
geraten sind die
Wecken, das muss
ich sagen, Hein-
rich. Gründlich
durchgebacken,
glänzend braun
und keines ange-
brannt. Ja, ja,
du verstehst dein
Fach beinahe so
trefflich wie der
Vater selig“ —
„Hans,“ rief sie
dem Lehrjungen
zu, „sieh dirs recht
an, so müssen die
Brötchen glänzen, eins wie’s andere, keines zu
braun und keines zu bleich.“ Und sie blickte mit
zärtlichem Wohlgefallen über die in Reih und
Glied geordneten Wecken hinweg, wie der Bauer
am Sonntag mit inbrünstigem Wohlgefallen und
weihevollen Anwandlungen über das wallende
Kornfeld, das die Sonne gebräunt und zu goldener
Reife gebracht hat. Tag für Tag besorgte sie
diese kleine Arbeit mit gleicher Gemütsruhe und
gleicher Liebe zur Sache, obschon sie in den
letzten Jahren gebrechlich geworden war. Ein
Gewichtsstein war ihr auf den rechten Fuss ge-
fallen und hatte eine tiefe Wunde hinterlassen,
die nicht heilen wollte und sie häufig empfind-
lich schmerzte. Allein das tägliche Brot zu be-
reiten, erschien ihr als eine heilige Kunst, die
man ausdauernd und mit Ernst und Würde be-
treiben muss. Und es war ihr Stolz geworden,
eine feine und zuverlässige Kundschaft heran-
zuziehenund diese
ihrem jüngsten
Sohne, der das ihr
liebgewordene
und wohlberufene
Geschäft überneh-
men sollte, zu er-
halten.
Er war ihr für
ihre fürsorglichen
Dienste innerlich
dankbar. Allein in
letzter Zeit war es
zwischen den bei-
den zu einigen
kleinen Reibungen
gekommen, die da-
her rührten, dass
der Sohn anfing,
Abends ins Wirts-
haus zu gehen,
lange auszublei-
ben u. sogar tags-
über sein Schöpp-
chen auswärts zu
trinken. Heute
machte er ihr den
Vorschlag, im Ro-
ten Haus zu früh-
stücken, er sehne
sich nach einer
währschaften
Mehlsuppe mit ei-
nem guten Glase
Wein, was er in
der Fremde ge-
wohnt gewesen
sei. Da machte
sie ihm ein paar
grosse Augen und
sagte, etwas
schmerzlich: „Du
sängst an, deiner Mutter Kost zu verschmähen.“
„Man muss seinen Kunden auch etwas zu
verdienen geben, muss ihnen nachgehen,“ er-
widerte er, leicht gereizt.
„Wir können ja nachher darüber sprechen!“
Als dem Lehrjungen die Brötchen und Wecken
zum Austragen in den Korb eingezählt waren und
er sich entfernt hatte, nahm die Mutter das Ge-
spräch wieder auf: „Oben steht das Frühstück für
uns beide bereit. Willst du mithalten, Heinrich?“
Albert Löw.
Porträt des Dichters Adols Vögtlin.
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