Gelehrsamkeit, eure Bücher verwischen und
verschieben alles, drängen sich dazwischen,
das mans Wirkliche und Eigentliche nicht
mehr sieht. Da ist euch ein Kerl wie
Rienzi gleich ein Brutus, da seid ihr vor
euren gelehrten Freunden allemal ein neuer
Virgil, ein zweiter Cicero. Sieh, hier bin
ich, der alte Bruno, der noch so viel, so
viel an sich abzulegen hat, und da das
Kreuz: das ist die Gnade, die nach ihm die
Arme ausstreckt. Davon hat er jeden Tag
zu lernen, das kann er nie ausschöpfen, es
ist Gott, und den müßt ihr zum Menschen
leiten. Gott kommt, Gott ssießt über, aber
er versickert, wo ihr ihn nicht findet. Siehst
du, wie der Sonnenschein schwindet? So
ist auch die Gnade fort, sowie der Betrach-
tungshimmel anfängt sich zu bedecken. Das
sind die bleiernen, sorgenvollen Bekümmer-
nisse der Welt. Und diese leichten, ssat-
ternden Segelwölkchen haben sie heran-
geholt. Sieb, so wollen und müssen wir
uns hier halten. Darum Gebet, darum
keinen Wein, davon lärmendes Fleisch.
Gedanken sind nicht zollfrei, Gedanke ist
schon Tat, und ein Unglück der Seele, ein
Unheil des Willens ist mehr zu befürchten,
als ein Unfall des Erdenlebens. Bisweilen
aber führt gar ein ernster Rückschritt uns
am weitesten. —
(Draussen begegnen einander zwei Mönche, der eine
mit Giesskanne, der andere mit Schaufel, sie segnen
einander.)
Das Wort haben wir an die Kette gelegt,
wie einen bissigen Hund. Unsere arbeit-
geheiligte Hand weiß besser zu segnen, als
unser müßiger, geschwätziger, gieriger Mund.
Und unsere Freundschaft wird wieder geistig,
wie die aus Göttlichem sprießende Freund-
schaft der Knabenzeit, die engelhaft ist, auch
wenn sie mitsammen fischt und balgt. Sieh,
wir leben, wir beginnen zu leben, darum
brauchen wir nicht den Lärm, daß er erst
von unserm Dasein uns überzeuge. Wir
haben keine Furcht, keine Angst und Bangig-
keit, daß wir uns mit Gespräch und hohler
geselliger Bekanntschaft umgeben müßten.
Wir haben nur zwei, mit denen wir um-
gehen. Den einen habe ich dir gezeigt.
Er ist zugleich meine Bibliothek. Der
andere ist da drunten der Totenkopf. Der
spricht Ernst, wenn der Erhabene zu sehr
uns tröstet. Daß wir nicht leichtfertig
werden. Daß wir hindurch müssen durch
die enge Pforte. Daß wir immer sterben,
um später in jenem furchtbaren Augenlichte
der Ewigkeit nicht wirklich sterben zu
brauchen. Da brennt der Schein.
Petrarca: Mors — ich weiß, es ist verkehrt,
doch denke ich dabei immer an Biß, an
morsus, mordere. Und doch kommt’s von
moriri, das Wort mors, von dem Zeitwort
sterben. Die Zeitwörter, die Zeichen des
Handelns und der Vergänglichkeit sind die
Hauptsache für das Erdenleben.
(Beide sinnen.)
Zweite Szene.
(Mailand. — Strasse. — Nacht.)
Walter: Das ist das letzte Lebewohl, lieber
Junge, das ich dir hiermit sage. Denn ich
und Benno ziehen nach Deutschland zurück
und wenden uns nach Westfalen. In die
Heimat werde ich fürs erste wohl nicht
kommen, denn sie hat ein Maul, wenigstens
mein vielliebes Nest erfreut sich eines
solchen - und da bleibt man lieber fern
bei allem Heimweh. Ein Jugendfreund von
mir ist Kanonikus in Münster worden,
weit, weit im Norden. Da ernten die Leute
nur Buchweizen, so schnippisch gelb wie
ihr Haar, und Brot essen sie so braun,
wie der Boden, darauf es wächst.
Giovanni: Ja, wächst das Brot denn da so
wie im fernen Süden, wo es sogar Brot-
bäume geben soll?
Walter (lachend): Heilige Einfalt du, das war
ein Bild, eine Metapher oder so was. Und
was das Merkwürdigste ist, da stricken dir
die Schäfer wie alte Weiber, haben ganz
weiße Haare und sehen alle Leichenzüge
und Brände voraus. Ja, also da sollen wir
hin und Schulmeister spielen an der Dom-
schule. Ich der Scholarch und Benno mein
Grammatikus. Vielleicht, daß man da ein
paar Jungen darunter findet, aus denen man
was machen kann. Das Wiederplappern
alter Weisheit muß doch endlich mal auf-
hören, diese Papageienzeiten stinken ja schon
475
Schloss Merveldt.
Aufnahme Baurat Ludorff.
verschieben alles, drängen sich dazwischen,
das mans Wirkliche und Eigentliche nicht
mehr sieht. Da ist euch ein Kerl wie
Rienzi gleich ein Brutus, da seid ihr vor
euren gelehrten Freunden allemal ein neuer
Virgil, ein zweiter Cicero. Sieh, hier bin
ich, der alte Bruno, der noch so viel, so
viel an sich abzulegen hat, und da das
Kreuz: das ist die Gnade, die nach ihm die
Arme ausstreckt. Davon hat er jeden Tag
zu lernen, das kann er nie ausschöpfen, es
ist Gott, und den müßt ihr zum Menschen
leiten. Gott kommt, Gott ssießt über, aber
er versickert, wo ihr ihn nicht findet. Siehst
du, wie der Sonnenschein schwindet? So
ist auch die Gnade fort, sowie der Betrach-
tungshimmel anfängt sich zu bedecken. Das
sind die bleiernen, sorgenvollen Bekümmer-
nisse der Welt. Und diese leichten, ssat-
ternden Segelwölkchen haben sie heran-
geholt. Sieb, so wollen und müssen wir
uns hier halten. Darum Gebet, darum
keinen Wein, davon lärmendes Fleisch.
Gedanken sind nicht zollfrei, Gedanke ist
schon Tat, und ein Unglück der Seele, ein
Unheil des Willens ist mehr zu befürchten,
als ein Unfall des Erdenlebens. Bisweilen
aber führt gar ein ernster Rückschritt uns
am weitesten. —
(Draussen begegnen einander zwei Mönche, der eine
mit Giesskanne, der andere mit Schaufel, sie segnen
einander.)
Das Wort haben wir an die Kette gelegt,
wie einen bissigen Hund. Unsere arbeit-
geheiligte Hand weiß besser zu segnen, als
unser müßiger, geschwätziger, gieriger Mund.
Und unsere Freundschaft wird wieder geistig,
wie die aus Göttlichem sprießende Freund-
schaft der Knabenzeit, die engelhaft ist, auch
wenn sie mitsammen fischt und balgt. Sieh,
wir leben, wir beginnen zu leben, darum
brauchen wir nicht den Lärm, daß er erst
von unserm Dasein uns überzeuge. Wir
haben keine Furcht, keine Angst und Bangig-
keit, daß wir uns mit Gespräch und hohler
geselliger Bekanntschaft umgeben müßten.
Wir haben nur zwei, mit denen wir um-
gehen. Den einen habe ich dir gezeigt.
Er ist zugleich meine Bibliothek. Der
andere ist da drunten der Totenkopf. Der
spricht Ernst, wenn der Erhabene zu sehr
uns tröstet. Daß wir nicht leichtfertig
werden. Daß wir hindurch müssen durch
die enge Pforte. Daß wir immer sterben,
um später in jenem furchtbaren Augenlichte
der Ewigkeit nicht wirklich sterben zu
brauchen. Da brennt der Schein.
Petrarca: Mors — ich weiß, es ist verkehrt,
doch denke ich dabei immer an Biß, an
morsus, mordere. Und doch kommt’s von
moriri, das Wort mors, von dem Zeitwort
sterben. Die Zeitwörter, die Zeichen des
Handelns und der Vergänglichkeit sind die
Hauptsache für das Erdenleben.
(Beide sinnen.)
Zweite Szene.
(Mailand. — Strasse. — Nacht.)
Walter: Das ist das letzte Lebewohl, lieber
Junge, das ich dir hiermit sage. Denn ich
und Benno ziehen nach Deutschland zurück
und wenden uns nach Westfalen. In die
Heimat werde ich fürs erste wohl nicht
kommen, denn sie hat ein Maul, wenigstens
mein vielliebes Nest erfreut sich eines
solchen - und da bleibt man lieber fern
bei allem Heimweh. Ein Jugendfreund von
mir ist Kanonikus in Münster worden,
weit, weit im Norden. Da ernten die Leute
nur Buchweizen, so schnippisch gelb wie
ihr Haar, und Brot essen sie so braun,
wie der Boden, darauf es wächst.
Giovanni: Ja, wächst das Brot denn da so
wie im fernen Süden, wo es sogar Brot-
bäume geben soll?
Walter (lachend): Heilige Einfalt du, das war
ein Bild, eine Metapher oder so was. Und
was das Merkwürdigste ist, da stricken dir
die Schäfer wie alte Weiber, haben ganz
weiße Haare und sehen alle Leichenzüge
und Brände voraus. Ja, also da sollen wir
hin und Schulmeister spielen an der Dom-
schule. Ich der Scholarch und Benno mein
Grammatikus. Vielleicht, daß man da ein
paar Jungen darunter findet, aus denen man
was machen kann. Das Wiederplappern
alter Weisheit muß doch endlich mal auf-
hören, diese Papageienzeiten stinken ja schon
475
Schloss Merveldt.
Aufnahme Baurat Ludorff.