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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 2
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Fettmilch, Vincenz: Das Hessendenkmal zu Frankfurt am Main
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0066

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Das Hcssendenkmal zu Frankfurt a. Main.

Die preußische Hauptarmee, mit den Hessen ver-
einigt, war den gesamten Streitkräften Custines völlig
überlegen; aber man gab sich aus beiden Seiten an
Kopflosigkeit durchaus nichts nach, und es entstand
ein Würfelspiel, anmutig anzuschauen, zwischen zwei
gleich unfähigen Kriegspielern, welches durch simple
Handwerksburschen entschieden werden mußte. Custine
konnte Frankfurt nicht halten, er hätte sich über-
haupt hinter den Rhein zurückziehen müssen; aber
die liebe Seele mag sich ungern von schönen Träumen
scheiden, und so ließ er eine ganz kleine Besatzung in der
Stadt, um sie zu behaupten, zog sich selbst aber, ebenso
vorsichtig wie tapfer, um ein bedeutendes bis nach
Höchst, von der Stadt gegen Mainz hin zurück. Dahin-
gegen versäumten auch die Preußen nicht, sich diese
günstige Gelegenheit entgehen zu lassen. Statt Frank-
furts Wälle links liegen zu lassen, und Custine
ganz über Main und Rhein zu treiben, worauf ihnen
dann Frankfurt von selbst in die Hände gefallen wäre,
ließen sie ihre Kolonnen stracks gegen die Stadtwälle
vorrücken. Das geschah am Morgen deS 2. Dezember
1792, einem für Frankfurt ewig denkwürdigeu Tage.
Der Herzog vo» Braunschweig zögerte freilich, wie
innner, auch mit diesem Entschluß; aber Friedrich Wil-
helm >l. befahl selber den Angriff. Und so ging cS
denn los gegen Frankfurt; hessische Kolonnen voran.
Wie aber erstaunten sie, als ein idyllischer Last-
wagen noch vor ihren Augen aus dem Tore fuhr. Um
ein Haar wären sie richtig hereingekommen. Die Gatter
und Zugbrücken sperrten sich noch im letzten Augenblick
vor den Anstürmenden. Oben auf den Wällen standen
die paar Hundert Franzosen, die der Kommandant
van Helden behalten hatte. Sie schossen, ohne viel
sich mit Zielen abgeben zu müssen, und selber gut ge-
deckt, in die dichten Haufen der Hessen, die sich vor
den Zugbrücken am Friedberger und Allerheiligen-Tor
stauten und weder vorwärts konnten, denn über Graben
und Tor hätte es Flügel benötigt, noch auch rückwärts,
weil immer neue Truppen von hinten nachschoben, in
der sicheren Erwartung, irgendwie in die Stadt zu kommen.
Die Kommandierenden taten nichts dazu; die Soldaten
standen wie die Mauern und ließen sich niederknallen,
die hessischen Jäger in den Gärten rechts und links
konnten ebenso wenig ausrichten wie die Artillerie, die
sich begnügte, statt gegen die Tore in die Stadt selber
Bomben zu werfen, um die Einwohner ein bißchen zur
Nachhilsetätigkcit aufzumuntern. Den» die Frankfurter
hatten ihre Beihilfe zugesagt, da sie bis zum letzten
Moment ungehindert durch die Tore halten passieren
können. ES war gar nicht abzusehcn, wie lange man
noch in dieser Tragikomödie stecken konnte, wenn nicht
die HandwerkSburschc» drinnen die Retter gespielt hätten.
Die Bürger freilich — es war am Sonntag — hatten
sich beim ersten Schießen aus den Kirchen eiligst nach
Hause begeben, hielten sich mäuschenstill und überließen
die Heldenhaftigkeit gern den auswärtigen Handwerks-
gesellen. Die rotteten sich, wie schon an früheren Tagen,
in Massen aus der Zcil zusammen lind hinderten zu-
nächst das Anfahren der zwei (zwei!) Kanonen, die
Custine für van Helden zurückgelassen hatte. Dann
aber, als das Schießen ohne ein Resultat immer sort-

dauerte, begaben sie sich zu den beiden allgegriffenen
Toren, überwältigten Offiziere und Wache, schlugen die
Tore einfach entzwei und ließen die Zugbrücke herunter.
All der Primitivität der homerischen Kämpfe hatte sicb
in Frankfurt allem Anschein nach noch nichts geändert!
Diese brave Hilfe kam den Hessen in ihrer Not
recht: nun stürmten sie unaufhaltsam durch die Tore
hillein und aus die Wälle und in die Stadt, mit wildem
Geschrei: Schurri druff! Schurri druff! Tod dem
CustinuS, Custinus soll sterben! Denn sie hatten ihm
den Tod geschworen, weil er sie ihrem Landgrafen ab-
spenstig machen wollte lind den guten Landcsvatcr —
es ist derselbe, der seine Landeskinder schockweise an die
Engländer verkaufte — ein Ungeheuer und einen Tiger
genannt hatte. Aber leider bekamen sie den Custinus
nicht zu Gesichte, der in Höchst saß, wofür sie sich an
den französischen Soldaten schadlos hielten und sie in
ziemlicher Anzahl in der Stadt und aus den Wällen
erschlugen und verwundeten; die meisten aber nahmen
sie gefangen, und der Rest entfloh aus dem Bocken-
heimer Tor. Die Frankfurter bewiesen bei dieser Gelegen-
heit ein gutes Herz; die fliehenden Feinde schützten sie,
ja sie verhalsen ihnen zu Versteck und Flucht, und die
Verwundeten und Gefangenen bekamen es gut in ihrer
Pflege. Das war ihr Glück! Denn als Custine sein
berühmtes Messer an den Konvent schickte, und dieser
in Wut gegen Frankfurt losheulte, daß die Stadt vom
Erdboden verschwinden müsic, waren eS die Briese und
Protokolle der gefangenen Franzosen, welche ihren Lands-
leuten eine bessere Meinung von den Frankfurtern bei-
brachten und die Verleumdungen zersprengten.
Frankfurt war und blieb ein Schoßkind der Fortuna,
und über Kontributionen kam es auch in den ganzen
21 Kriegsjahren nicht hinaus, die sich beständig an seinen
Mauern vorbeitricben.
* *
*
Als Napoleon nach der Schlacht bei Hanau die
Nacht vom ZI. Oktober I8IZ im Bethmannschen Land-
hause vor dem Friedberger Tore zubrachte und die
geschlagene, verwilderte xranäs armoo in düsterem Zuge
sich unter seinem Fenster vorübcrwälzte, der Heimat zu,
unaufhörlich und dumpf in der düsteren Nacht sich um
die Stadt herumschob, die sie mir begehrlichen Augen
anschauten, aber scheu, wegen des strengen Verbots, sie
zu betreten: konnte er dicht vor seinen Augen das
Denkmal erblicken, das der seltsamen Erstürmung des
Friedberger Tores gesetzt worden war. Vielleicht war
es die beste Tat Friedrich Wilhelms II., ganz sicher
eine, die ihm mit Mäecnatenruhm von den Frank-
furtern gelohnt werden soll, als er die Errichtung jenes
Mals der Erinnerung an den Sturm und das mutige
Ausharren der Hessen vor den Stadtwällen, wie nennt
man es doch — „befahl". Man kennt auch nicht mehr
den künstlerischen Urheber des Denkmals; es mag viel-
leicht der Baumeister Langhans, vielleicht der Bruder
des Freiherrn von Stein gewesen sein: so muß der
Hauptanteil des Ruhmes an den Auftraggeber fallen,
der sich allen Helden seines ersten Kriegserfotges sehr
generös erwies, Handwerksburschen und Hessen gnädig-

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