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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 5
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Gors, L.: Daß Goethes Prosa langweilig ist
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Schäfer, Wilhelm: Nach Darmstadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0174

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Der Nation erweist man keinen Dienst, wenn man
ihr den Autor deS „Wilhelm Meister" als höchstes
Muster hinstellt. Ein Mann von der ungeheuren Ver-
standesweite Goethes mag sich ungestraft in Allgemein-
heiten ergehen und doch zu brauchbaren Resultaten und
wertvollen Einsichten kommen. Aber wenn ein normaler
Mensch daö nachmachen soll, dann verliert er sich in
bodenlosen Unsinn. Die wenigen Dinge, die innerhalb
des Gesichtskreises eines normalen Menschen liegen,
die soll man sich doch bemühen, einfach und klar aus-
zudrücken, und soll sie nicht mit Dingen zu Allgemein-
heiten verbinden, die jenseits dieses Gesichtskreises liegen,
von denen man also nichts versteht. Was heute von
gemütvollen Laien zusammenphilosophiert wird, ist gerade
so schlimm und wesenlos, als das Gerede der von
Schelling und Hegel inspirierten Popularphilosophen.
Die Gefahr ist allerdings nicht groß, daß das bißchen
Denkfähigkeit normaler Menschen gerade vom Wilhelm
Meister verdorben wird, denn das Pädagogische und
Utopische in diesem Buche ist so unklar und schwer ver-
ständlich und daS Ganze so niaßloS langweilig, daß
niemand das Buch mit einiger Aufmerksamkeit lesen
wird. Die aus unechtes Büttenpapier gedruckten Briese
und Gespräche Goethes dagegen scheinen vom Publikum
ganz willig gekauft zu werden, und diese tun ihm aller-
dings Schaden, da sie doch viele Menschen dazu ver-
leiten werden, einen allgemeinen, verschwommenen Aus-
druck an die Stelle eines klaren Gedankens zu setzen.
Es ist zu wünschen, daß man bald wieder mehr den
Faust als andere Sachen Goethes lese.

ach Darmstadt
werden im Sommer zum drittenmal die Billetts
moderner Kunstfreunde lauten müssen. Ob-
wohl eö diesmal nicht die Künstlerkolonie, sondern eine
Hessische Landesausstellung ist, geben doch die Künstler
der Mathildenhöhe den bestimmenden Eindruck. Man
weiß, daß die erste Ausstellung dem kleinen Hessenland,
richtiger seinem Großherzog und den mit ihm gehenden
Mäcenen, eine schwere finanzielle Buße auferlegt hat,
daß Darmstadt für das moderne Kunstgewerbe so etwas
wie ein Winkelried gewesen ist, es hat ihm zum Sieg
verholfen, aber viele schmerzende Lanzen sind in seiner
Brust stecken geblieben; man weiß aber auch, daß z. B.
die hessische Möbel-Industrie seitdem ein bedeutender
Faktor geworden ist im Wirtschaftsleben, daß immerhin
auch im Lande Hessen mancherlei geerntet werden konnte
seit 1901, was sein Fürst mit den von ihm berufenen
Künstlern gesät hat. Diese Ernte möchte sich diesmal
selber auffahren lasten, und den Künstlern war nur er-
laubt, die Erntewagen zu entwerfen.
Man weiß, was sich in den sieben Jahren geändert
hat: das Verblüffende ist dem Sachlichen und Ge-
diegenen gewichen; Handwerker und Künstler beginnen
sich aufeinander einzuarbeiten (trotz dem Protest der
Fabrikanten überall im Reich); auS Launen und Ein-
fällen sind Grundsätze geworden; das Soziale ist längst
mit einbegriffen, Gartenstädte und Arbeiterkolonien haben
Nationalökonomen und Künstler nahe gebracht, von dieser


Ausstellunasgebäude und Hochzeitsturm in Darmstadt
' von I. M. Olbrich."

Seite aus ist die Kunst wieder im Begriff Sache der
Volksgesinnung zu werden. So wird man sich diesmal
in Darmstadt nicht mehr entsetzen, man wird nicht so viel
lachen und nicht so hitzig werden, man wird einen
rechtschaffenen Anschauungsunterricht erfahren, der dem
Dresdener vom vergangenen Jahre an Umfang nach-
steht, aber durch die Bedeutung des Ortes für das
moderne Kunstgewerbe seinen besonderen Reiz haben wird.
Das Terrain liegt oberhalb der Künstlerkolonie hinter
der russischen Kapelle. Was heute schon ziemlich fertig
steht, ist wie immer von Olbrich: ein dauerndes AuS-
stellungögebäude, das diesmal mit Werken hessischer
Maler und Bildhauer gefüllt sein wird — wobei mau
auch die Maler hessischer Motive einbegreift — und der
Hochzeitsturm, so merkwürdig genannt, weil ihn die
Residenz ihrem Fürsten zur Hochzeit schenkte. Er steht
lustigerweise, wie das ganze Gebäude, aus dem Hoch-
reservoir der Wasserleitung und ist ein merkwürdiger Bau,
der zwar au norddeutsche Iiegelbauten erinnert, aber in
seiner originelle» Durchbildung ein höchst modernes
Ding ist, namentlich in seiner Bekrönung, die alles
andere nur kein Dach im herkömmlichen Sinn scheint.
Wer aber seinem Gefühl einen Ruck geben kann aus
den landläufigen Vorstellungen heraus, wird eine Freude
haben an diesem Turm, der schon aus der Ferne durch
seine gedrungene Silhouette daö Stadtbild kräftig be-
reichert. An dem angebauten Ausstellungsgebäude
* Nach einer Deckelzeichnung auf dem neuen Führer durch
Darmstadt. Text von Prof. Werner.
 
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