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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 8.1934

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Nr. 9 (4. März)
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DIE WELTKUNST

Jahrg. VIII, Nr. 9 vom 4. März 1934


Madonna aus St. l’ilt bei Schlettstadt
Um 1500
Linde, H. 138 cm — Sammlung Dr. Mulert, Berlin
Ausstellung mittelalterlicher Plastik:
Basel, Kunst halle
nem Realismus eng verwandt ist der Kopf
eines alten Mannes mit Fazialislähmung, in
der Nähe der Straßburger Thomaskirche ge-
funden, aus dem Straßburger Frauenhaus.
Das nämliche Museum lieh die auf nieder-
ländische Vorbilder zurückgehende Geburt
Christi aus der Straßburger Kartause, die
neuerdings dem Lukas Kotter zugeschrieben
wird. Das berühmteste Werk der elsässischen
Gruppe, die Dangolsheimer Maria aus dem
Deutschen Museum zu Berlin, durfte in diesem
Zusammenhang nicht fehlen (Abb. „Welt-
kunst“, Nr. 7). Eine große stehende Mutter
Gottes aus S. Pilt (s. Abb.) wurde aus der
Sammlung Mulert in Berlin zur Verfügung
gestellt, ein Vesperbild, das Christus am Bo-
den liegend zeigt, während die Mutter sich
über ihn beugt, aus Freiburger Privatbesitz.
Das Historische Museum in Basel hat einen
großen Teil seiner schönsten Werke aus dem
ausgehenden 15. Jahrhundert dargeliehen; es
sei bei diesem Anlaß auf die soeben erschie-
nene gute Veröffentlichung der schönsten
Stücke des Museums hingewiesen, die Fritz

Kunst in Spanien
Pedro Flo res
Das Spanien von heute ist innerhalb der
bildenden Kunst nicht mehr imstande, der
heute tätigen Generation von Malern und Bild-
hauern ein geistiges Refugium zu bieten, einen
Ortega oder einen Unamuno der Malerei hervor-
zubringen, der den Weg zu einer neuen, dem
Geiste Spaniens verbundenen künstlerischen
Tradition weisen könnte. Die Tradition, die
von Goya bis über die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts fruchtbar weitergeführt wurde, ist
erloschen. Und über die Schinkenresultate der
Geschichtsmalerei, über die Siegesallee von
Schlagsahne-Denkmälern, mit denen das Stadt-
bild Madrids Konditorherzen erfreut, geht der
Weg der spanischen Malerei in jene geistige
Agonie, die heute auf den meisten Kunstaus-
stellungen Madrids spürbar wird.
So wenden sich die Begabten unter den
spanischen Malern (bis auf wenige Ausnahmen,
wie Solana) aus dem luftleeren Raum der
traditionslos gewordenen künstlerischen Sphäre
Spaniens nach Frankreich, und Juan Gris und
Picasso stehen Patenschaft am künstlerischen
Werden jener ihrer Landsleute, die nicht die
Kraft zur Gestaltung aus der Atmosphäre des
eigenen Landes zu ziehen vermochten.
Zu diesen Künstlern gehört Pedro Flores,
ein kleiner schwarzäugiger Südspanier mit dem
Temperament der Andalusier, mit der ur-
sprünglichen, vitalen Kraft der Menschen
dieser Provinz. Für Flores wurde das Erlebnis

G y s i n in der im Verlag Emil Birkhäuser,
Basel, erscheinenden Folge „Die historischen
Museen der Schweiz“ als Heft 12 hat erschei-
nen lassen. Neben den genannten oberrheini-
schen Werken kommen die Bildwerke aus dem
übrigen Deutschland nicht recht auf. Immer-
hin muß der mächtige klagende Johannes aus
einer bayerischen Kreuzgruppe um 1480 ge-
nannt werden, in dem die Kraft der alten
Mystiker neu zu erstehen scheint, Leihgabe
der Städtischen Galerie Frankfurt a. M., sowie
eine Mutter Gottes aus Schwaz, Werk eines
tirolischen Meisters von ähnlich unruhiger
Formgebung wie die Dangolsheimer Maria.
Auch Werke der letzten Phase der Spät-
gotik, in der Malerei und Plastik am Ober-
rhein noch einmal einen mächtigen Auf-
schwung nehmen, fehlen nicht. Die Kirche in
Niederrothweil lieh die beiden Flügel ihres
mächtigen Schreines, das Germanische Mu-
seum die beiden Johannes des Meisters H. L.,
der als Schöpfer des Breisacher und Nieder-
rothweiler Schreines bekannt ist. Mit Recht
wurden diesen ausdrucksvollsten Werken der
spätestmittelalterlichen oberrheinischen Pla-
stik einige Schöpfungen des Hans Leinberger
aus dem Bayerischen Nationalmuseum gegen-
übergestellt, die den großen Gegensatz der
zuweilen verwechselten Meister von Lands-
hut und Breisach zeigen. Einige weitere ober-
rheinische Werke wie der gewaltige Breis-
gauer Sebastian mit dem flatternden Tuche
aus dem Augustiner-Museum in Freiburg und
die zwei von Vöge wiedergefundenen Bauern-
figuren des Isenheimer Altares von Niclas
Hagnower runden das Bild, das die Basier-
Ausstellung von der mittelalterlichen deut-
schen Plastik gibt, wirksam ab.
Gewiß, ein Handbuch der deutschen Kunst-
geschichte kann die Ausstellung nicht erset-
zen, und eine vollständige Belehrung über
sämtliche Richtungen der deutschen Bildner-
kunst kann in ihr nicht gewonnen werden. Die
so gut ausgewählten Bildwerke aber sprechen
eine so beredte Sprache, daß auch der nicht
vorgebildete Kunstfreund diese Basler Schau
mit einem ganz tiefen und nachhaltigen Ein-
druck verlassen wird.
Prof. Dr. Julius Baum
AUSSTELLUNGEN
Emil Nolde
Der Gesamteindruck diesei- Ausstellung von
etwa sechzig, meist auf schwere und doch
strahlendreiche, sinnliche und zugleich symbol-
hafte Farbenwirkung ausgehenden Blättern in
der Galerie F. Möller in Berlin ist un-
gemein stark. Wer sie im einzelnen betrachtet,
findet z. B. bei den „Blauen Blumen“, in dem
Bild der sich im Wasser tummelnden Hechte
oder in dem Sonnenblumenstück malerische
Lösungen, die mit unsagbar einfachen Mitteln
und dabei mit einer triebhaften Kraft, einer- be-
hutsam strömenden Zartheit gestaltet worden
sind, die in fast suggestivem Sinne überzeugt.
Wer bei dem „Italienerknaben“ und anderen
Köpfen noch an die unerhörte Technik denken
mag, mit der diese Bildeindrücke niedergeschrie-
ben worden sind, empfindet dort und z. B. auch
vor der Wand mit den Wolkenbildern die leiden-
schaftliche Orchestrierung des Farbigen wie
Musik. Irgendwie sind diese Darstellungen im-
mer Gesicht, Vision, erdhaft und hymnisch zu-
gleich. In den Menschendarstellungen darum
von phantastischem, oft spukhaftem Zug. Im
Landschaftlichen ganz frei und groß da, wo,
wie in „Wasser und Erde teilen sich“, das
Formdeutende, Dingliche zurücktritt und
das unbändige Naturgefühl des Malers in dem
Blühen, Glühen und Klingen des Farbigen zum
Ausdruck kommt. Daß dies hier mit der
leichteren Farbenstofflichkeit des Aquarells ge-
schieht, vermag wohl vielen den Zugang zu der
schwer deutbaren und, wie es scheint, auch nicht
leicht zugänglichen Kunst Noldes zu ermög-
lichen, deren ungemein koloristische Betonung
ein Näherbringen durch Reproduktionen ohne-
hin ausschließt. Zk.

Peter Fischer
und Karl Walther
Neue Tuschzeichnungen des aus Pommern
stammenden Peter Fischer in der Galerie
v. d. H e y d e in Berlin sind stimmungs-
volle und stille, in der Form sehr klang-
volle Stücke von der Ostseeküste. Menschliches
und Landschaftliches, meist vom Wind oder
Dunst der Dämmerung umhüllt, spricht sich in
einer leise betonten, sehr eigenen und reifen
Weise aus. Reichere, im Farbigen noch allzu
karg bleibende Register zieht der aus dem deut-
schen Malerland, dem Sächsischen, gebürtige
Karl Walther. Man hat vor diesen trotz be-
tonter Herkunft vom Impressionistischen stark
graphisch bestimmten Bildausschnitten von
Florenz und aus Franken eine etwas zwie-
spältige Empfindung. Am überzeugendsten
das Räumliche in Straßendarstellungen mit
ihrem Utrillohaften Zug. Das drückt sich ein-
prägsam, aber vorläufig noch nicht mit der
malerischen Intensität aus, die nötig wäre, um
ganz neuen Wein in die alten Schläuche zu
füllen. In zarten Aquarellzeichnungen von
Blumen, Gräsern, Kräutern und Geäst deutet
Fritz Lehmann- Köln den Ablauf der
Jahreszeiten in Wald und Wiese an und
schreibt seine Eindrücke vor dem Natur-
geschehen mit einem liebevollen Gefühl.
D. Ket
Kunstzaal van Lier, Amsterdam
Nähere Bekanntschaft mit dem Werke eines
etwa dreißigjährigen Malers, D. Ket, dessen
Arbeiten bisher auf jeder Ausstellung auffie-
len, vermittelt der Kunstzaal van Lier. Die
Fortschritte, die der Maler, der wegen Kränk-
lichkeit fast ganz auf Selbststudium angewie-
sen war, machte, sind unverkennbar, und ein-
mütig stellt die holländische Kritik fest, daß
es sich hier um eine Persönlichkeit handelt,
die wirklich selbständig großes Talent mit
großem Fleiße paart. Sein Arbeitsgebiet be-
schränkt sich weitgehend auf Stilleben und
Porträt. Im Stilleben bildet er eine Eigenart
dadurch aus, daß er auf einem Tische Tücher,
Hefte, Plakate, Bilderreproduktionen dach-
ziegelförmig übereinanderlegt, w-as dem
Ganzen eigenartig bewegte Ruhe (sit venia
verbo!) verleiht. Eines dieser Stilleben hat die
Gemeinde Amsterdam kürzlich angekauft.
Dr. W. M.
Auktionsvorschau
Wien, 5.—7. März
Albert Kende versteigert vom 5. bis
7. März Wiener Sammlerbesitz: bei den Ge-
mälden Werke von R. v. Alt, Ludwig Dill,
Marko, Pettenkofen, Waldmüller, Schindler,
Baisch, Ranftl, L. v. Hagen u. a. Gutes Kunst-
gewerbe, insbesondere eine Sammlung von Fi-
gurenporzellan und Ostasiatica, Renaissance-
Stickereien ergänzen die Bestände.
W'ien, 20.—22. März
Der März bringt eine Versteigerung ganz
besonderer Art, die des Hauses Liebiegin der
Wohnung III., Pettenkofengasse 1, durch das
Kunsthaus Artaria & Co. Baron Alfred
Liebieg und seine Gattin Therese waren in der
Wiener Gesellschaft bekannte Persönlichkeiten.
Im Laufe von Dezennien entstand die mit
geläutertem Geschmack zusammengestellte Ein-
richtung und ihre Ergänzungen mit Kunst-
werken aller Art, Gemälden, Aquarellen und
Handzeichnungen alter und neuerer Meister,
aus welchen ein Hausaltar der Holländischen
Schule um 1520, ein schönes Gesellschaftsstück
von dem Haarlemer Meister Jakob Duck, ein
Porträt von Cranach, englische Damenbildnisse
von Owen und Ramsay besonders hervor-
gehoben seien. Unter den neueren Meistem:
A. Achenbach, Jettei, R. Alt.
Ganz hervorragend ist eine anerkannte
Zeichnung von Hans Holbein d. Ä., ferner vor-
zügliche Blätter von Van Dyck, Canaletto, Jor-

daens, H. Robert, meist aus der berühmten
Wiener Sammlung Klinkosch stammend. Dazu
kommen französische und englische Stiche und
Farbstiche des 18. Jahrh., darunter Seltenheiten
von Bonnet, Demarteau, Bigg, Morland, Ward,
Baudouin, Freudenberg, Bartolozzi u. v. a.
Unter den Skulpturen ist eine hervorragende
Arbeit von Bourdelle, zwei feine Holzskulpturen
des Hans Klocker (Brixen um 1540), ein dem
Tullio Lombardi nahestehendes Madonnen-
relief in Stein. Sieben prächtige Tapisserien,
Kleinkunst in Gold, Silber, Glas, Keramik,
Metall, ferner Miniaturen, China- und Japan-
kunst, Keramik aus Delft, Italien und Spanien,
Möbel, ergänzen das Bild dieser Sammlung.
Zum Schluß sei auf die wertvolle Sammlung
von Musikerautographen, dabei eigenhändige
Briefe und einige Manuskripte von Beethoven,
Haydn, Mozart, Schubert, R. Wagner, Brahms,
hingewiesen.
London, 22. März
Am 22. März versteigern Christie’s
die zahlenmäßig beschränkte, qualitativ auf
hoher Stufe stehende Sammlung von Möbeln
und Kunstgewerbe des verstorbenen Mr. Henry
Hirsch. Neben ostasiatischen Porzellanen,
italienischen Bronzen und Teppichen sei vor
allem das wundervolle Chippendale-Mobiliar
hervorgehoben.


Madonna aus Adelwil. 12. Jahrh.
H. 95 cm — Zürich, Landesmuseum
Ausstellung mittelalterlicher Plastik:
Basel, Kunsthalle

der Kunst Picassos entscheidend. Seine Bilder
zwischen 1926 und 1928 tragen das Signum
jenes Klassizismus, der von Picasso stammt.
Flores versuchte, die gebändigte Statik und die
heroische Haltung dieses Klassizismus in sich

aufzunehmen. Doch nur in wenigen Bildern
ist ihm das gelungen. In den meisten der
Arbeiten dieser Zeit steht sein andalusisches
Temperament im Kampf mit der klassizisti-
schen Haltung und der großen Linie, die er

sucht. Und so wirken die meisten dieser Bilder
unfrei und oft maniriert; man spürt die Dis-
krepanz zwischen der Ursprünglichkeit des
künstlerischen Wollens und dem Zwang der an-
genommenen Haltung.
Immerhin verraten
Bilder wie das des
Gitarrenspielers schon
die selbständigere Ver-
arbeitung des Picasso-
sehen Klassizismus. Die
heroische Haltung
scheint aufgegeben, die
Gestalt mit der Gitarre
ist in den Bildrahmen in
einer Weise hineinkom-
poniert, die weder dem
Gesetz der Realität noch
dem der klassizisti-
schen Statik folgt. Hin-
ter der Dreidimensio-
nalität der körperlichen
Rundungen wird ein
Rhythmus spürbar, der
die Kuben der Gestalt
in die selbständige Be-
ziehung eines komposito-
rischen Gleichgewichts
setzt, das den ur-
sprünglichen Klassizis-
mus aufgeben wird, um
sich eindeutig einem
Kubismus zu nähern.
Die späteren Werke
Flores’ bestätigen diese
Entwicklung. Er gibt die Realität in seinen
Bildern nicht auf, doch sie unterliegt einem
Umformungsprozeß, der die Synthese einer
neuen Bildrealität aus dem Rhythmus der
ineinandergreifenden Farbflächen schafft. Un-


verkennbai- tragen diese Bilder, die von einer
duftigen Farbigkeit sind, in der das Rosa vor-
herrscht, den Stempel des Pariser Aufent-
haltes. In dem lockeren Bildgefüge lebt, wenn
auch nicht die geistreiche Eleganz, so doch die
Leichtigkeit der Bilder eines Raoul Dufy. Und
die geistige Unbeschwertheit und innere
Spannungslosigkeit, mit der die graziös
kostümierten Menschen Flores’ beieinander-
stehen, ist Montmartre, •— dort, wo er sich am
harmlosesten und lustigsten gibt.
Zwischen Flores und Goya stehen der
spanische Biedermeier, die Geschichtsmalerei
und die Schlagsahnedenkmäler. Während die
deutsche Flores-Generation sich im Schatten
der Nolde, Schmidt-Rottluff und Barlach weiß,
sieht diese Generation in Spanien nichts hinter
sich als den soliden Salon-Realismus der Vor-
kriegsjahre. So setzen sie sich mit Picasso
und dem Montmartre auseinander, und so ent-
steht ein vielfältig buntes Nebeneinander von
künstlerischen Individualitäten, von gewiß
starken Begabungen, die, wie Pedro Flores,
über Frankreich den Weg zu sich suchen, doch
nicht den Weg zu einer spanischen Tradition.
W. G.

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