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VIII. JAHRGANG, Nr. 2

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ILLUSTRIERTE WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST / EUCH / ALLE SAMMELGEBIETE UND IHREN MARKT
OFFIZIELLES ORGAN DES DEUTSCHEN REICHSVERBANDES DES KUNST- UND ANTIQUITÄTENHANDELS E. V. MÜNCHEN

Erscheint jeden Sonntag im Weltkunst-Verlag, G. m. b. H.,
Berlin W62, Kurfürstenstr. 76-77. Telegramm-Adresse: «Weltkunst Berlin».
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führten Länder sfrs. 7; Übersee $ 1,50; Sammelmappen pro Jahrgang Mk. 4,5fr

Internationale
und regionale Kunst
Ein Gespräch mit Dr. Ernst Hanfstaengl
Von Professor Rudolf Großmann

Von einer großen Pariser Tageszeitung be-
kam ich kürzlich eine Anfrage, wie es um die
Kunst in Deutschland stehe. Die Tageszeitung
stellte mitten in der „Umwertung aller Werte“,
in der Deutschland begriffen ist, sehr direkte
und neugierige Fragen. Sie wollte zunächst
wissen, wie jetzt die Kunst in Deutschland aus-
sieht oder aussehen wird. Dann, ob es wahr
sei, daß der demokratische Staat bisher die
französische Kunst begünstigt habe und ob das
unter der neuen Regierung so bliebe oder die
Grenzen für französische Bilder gesperrt wür-
den. Und wer die nationalsozialistischen
Künstler seien.
Eine andere Anfrage kam vom Herausgeber
einer großen französischen Kunstzeitschrift
(Forces). Dieser interessierte sich für die
theoretische und praktische Stellungnahme der
neuen Regierung in Deutschland gegenüber der
modernen Kunst. Er schickte mir gleichzeitig
seinen Aufsatz „Un Bilan et un Programme“.
Darin konstatierte er, daß die ästhetische In-
flation, wie er die Nachkriegskunst in Frank-
reich nennt, ihren Kulminationspunkt längst
überschritten habe, daß Picasso, dieser Karne-

luzinatorisch entstehen, von dem verstorbenen
Dr. Prinzhorn aus deutschen Irrenanstalten zu-
sammengestellt und gezeigt worden. Das bour-
geoise Frankreich, diese Festung des Konser-
vativismus, habe sich nach langem Sträuben
1927 entschlossen, seinerseits französische
Irrenkunst zu zeigen.
Die Intellektuellen in Paris, an die Exzesse
der „normalen“ modernen französischen
Künstler gewöhnt, waren enttäuscht, schreibt
er. — Sie hatten mehr erwartet von den In-
sassen der großen französischen Irrenanstalten
Charenton und St. Anne. Die Verrückten
waren im Vergleich zu ihren nordischen Brü-
dern in Deutschland nicht genug verrückt. Er
liquidiert dann die Nachkriegskunst, indem er
mpn.qrhhV’hpn nnd. frei
zu Recht einsetzen will und für einen neuen
Humanismus kämpft. Die Erzeugnisse der
modernen Architektur und des modernen
Kunstgewerbes sieht er als menschenunwürdige
Schemen.
Es dürfte nicht uninteressant sein, daß das
Interview, das mir Herr Dr. Ernst Hanf-

Große Sch warzrlackkom mode, Louis XV, bez. Chevallier
Paris, um 1745 — Kat. Nr. 220
Versteigerung: Paul Graupe, Berlin, 29.—30. Januar 1930


valsprinz und Zauberer, entthront sei. Ferner,
daß die zahllosen Ausstellungen der Neger und
ozeanischer Kunst, die nach dem Kriege in
Paris gezeigt wurden, zu Ende seien, und daß
die weiße Rasse, wenn sie Griechen und goti-
sche Kunst für Negerfetische opfern konnte,
damit ihr eigenes Todesurteil unterschrieben
habe. Auf dem Höhepunkt ihrer Krise habe
die Inflationsepoche auch Bildnereien französi-
scher Irren gezeigt. In Deutschland seien diese
Dokumente, die ohne jede Logik und rein hal-

st a e n g 1, Chef der Auslandspresse, der lange
Zeit künstlerischer Leiter der bekannten Firma
Hanfstaengl in New York war, sich mit den
Ausführungen des Franzosen in weitem Sinne
deckt. Wir sprechen zunächst vom Boden-
ständigen, Volkstümlichen deutscher Kunst.
Ein Volk, führt er aus, besteht seelisch und
körperlich aus einer Ineinandermischung von
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn
wir an Spenglers Theorien des Ablaufes der
Kulturen denken, bietet unsere Gegenwart

außerordentlich wichtige Fingerzeige. Die
Kunst hat die Aufgabe, die uns umgebende
Wirklichkeit in irgendeiner Art bildmäßig zu
erfassen und ideenmäßig zu sublimieren. Und
diese Wirklichkeit ist weltanschaulich gesehen
heute von ganz neuen Inhalten erfüllt.
Worum wir kämpfen? — Um das jeweilig
spezifisch Deutsche in dem fast allzu bunt
schillernden Proteushaften deutschen Wesens
der verschiedenen Stämme und Bevölkerungs-
schichten. Deutschland, das so übernational
empfinden gelernt hat, wird lernen müssen
intranational zu empfinden, und zwar auf der
Basis eines völkischen Nationalstaates. Der
deutsche Mensch muß sozusagen nationalistisch
in die Kur genommen werden. •— So eine Art
von Nachexerzieren! — Eine Blutkur! —
Goethe hat einmal gesagt: „Die Römer und
Griechen Shakespeares muten uns an wie edle
Lords. Und Shakespeare hat das Recht dazu“.
Sie verstehen mich, warum ich Sie an diesen
Ausspruch erinnere. Goethe will eben damit
sagen, daß Shakespeare bei der Betrachtung
der Antike sowohl als bei der Renaissance
blieb, was er war — Angelsachse. Das gleiche
ließe sich von Moliere, Dante, Veronese, Dela-
croix, Breughel, Albrecht Dürer sagen. Diese
Menschen hatten sich selbst gefunden und
sehen Provinziellen treu. Sie sehen: die Treue
ist nicht nur eine militärische, sondern auch
eine künstlerische Tugend. Sokrates verlangte
von jedem: „Erkenne Dich Selbst“. Nur auf
dieser Grundlage kann ein eigener, persön-
licher und zugleich nationaler Stil empor-
wachsen. Dann sprachen wir von der Kunst
vor und nach dem Kriege. Das schillernde
kosmopolitische Bild europäischer Kunst,
führt Dr. Hanfstaengl aus, war in den ver-
gangenen Jahrzehnten gekennzeichnet durch
Paris. Paris hat auch bei deutschen Künstlern
der Vor- und Nachkriegszeit seine Spuren
hinterlassen. Oft nicht ganz zum Vorteil, da
die französischen Importationen, von Deutschen
nachgeahmt, nur noch Klischees darstellten,
weil natürlich das spezifisch Französische ohne
inneres Maß und ohne innere Wucht, das Re-
gionale eines Manet, Corot, Cezanne usw. von
den Deutschen in seiner Totalität weder see-
lisch noch klimatisch miterlebt, noch plausibel
umgewertet werden konnte.
Wenn sie an die deutsche regionale Kunst
denken, an die Worpsweder Maler, an die
Dachauer Gruppe mit Leibi, an den Bodensee-
Bund, an die Gruppe im Schwarzwald und
Thoma, an Egger-Linz in Tirol, wird Ihnen
ungefähr klar werden, wie ich mir die zukünf-
tige Entwicklung der deutschen Kunst vor-
stelle. Am Schluß von Voltaires entzückender
Novelle „Candide“ findet sich der Satz: „ein
jeder bestelle seinen eigenen Garten“. Sie ver-
stehen wohl, was ich meine. Das kleine Heim-
gärtchen bildet die Urzelle für all die Wunder,
die folgen. Denken Sie an Moritz von Schwind
in dieser Verbindung, an Christian Andersen,
an Franz Schubert, Wilhelm Busch, an Caspar
David Friedrich, Runge und Kügelgen. Aus
diesem Grund lehnen wir auch ab allen prisma-
tischen Leerkrampf der modernen Kunst. Das
ist alles unorganisch, gequält und verlogen
und führt zu der glatten nichtssagenden
Fassadenkunst, die für jeden gesunden Men-
schen nur auf eines eine Wirkung ausübt, auf
die Gähnmuskeln.
*
Hanfstaengls Persönlichkeit ist ganz Rhyth-
mus. Er gehört zu jenen Künstlernaturen, die
ihr Talent zeitgemäß in die Tat umsetzen, aber

R. Grossmann, Bildnis Dr. E. Hanfstaengl


die Zeit erfordert heute andere künstlerische
Taten als früher. Sie fordert gemeinverständ-
liche Formulierungen des großen Weltge-
schehens. So ist er der Schöpfer der bekannten
Märsche der neuen Hitler-Jugend geworden.
Instinktiv fühlte er, daß nicht mehr die alten
Parade-Märsche einer Zeit der Reserveoffiziers-
mentalität und des Säbelgerassels zu der ge-
waltigen Sehnsucht der heutigen Hitler-Jugend
passen. Aus der drängenden, brandenden Emo-
tion dieser neuen deutschen Jugend konzipierte
'er eine Reihe ausgezeichneter deutscher
Märsche wie „Jugend marschiert“, „Jugend
träumt“, „Deutscher Föhn“, „Schlageter-
Marsch“, „Junge Helden“, und zwar konzipierte
er diese Märsche bildmäßig.
Er sieht irgendeinen Vorgang, z. B. den
Einzug der SA durchs Brandenburger Tor,
eine Grabesszene im Schnee oder flatternde
Wimpel und blonde Kinder vor Hitler stehen
oder eine Mutter am Fenster, die auf der
Straße dem jüngsten Sohn nachsieht. So ein
Bild verfolgt ihn dann, bis er es geformt hat,
bis ihm der Rhythmus einer solchen Szene die
Prägnanz gibt und wie von selber den Weg
zur Melodie zeigt.
Hinter seiner scheinbaren, exzentrischen
sprunghaften Zerstreutheit, die natürliche Ab-
wehr seines Künstlertums gegen äußerliche
Störungen ist, steckt ein tiefes Wissen um
menschliches und weltpolitisches Geschehen.
Er hat erst kürzlich in einem ausgezeichneten
geschichtlichen Werk „Von Marlborough bis
Mirabeau“ mit weitem Blick den Versuch unter-
nommen, von ganz neuen Gesichtspunkten aus
die Geschichte des 18. Jahrhunderts wie zu
einer großen Wagnerschen Oper zusammen-
zuwingen, indem er die Groß-. Mittel- und
Kleinstaaten Europas machtpolitisch, wirt-
schaftlich und geistesgeschichtlich betrachtet,
entlang der Diagonale Rhein-Donau, die eine
europäische Diagnose stellt, die von Calais
ausgehend bis Konstantinopel und weiter
hinaus blickt.

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GUSTAV CRAMER

ANTIQUITÄTEN

Berlin IV 9, Lennestr. 8

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