9. DEZEMBER 1934
ART»y*WORLD
VIII. JAHRGANG. Nr. 49
MST
LMONDEfoARK
ILLUSTRIERTE WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST / BUCH / ALLE SAMMELGEBIETE UND IHREN MARKT
OFFIZIELLES ORGAN DES BUNDES DER DEUTSCHEN KUNST- UND ANTIQUITÄTENHÄNDLER E. V. MÜNCHEN
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führten Länder sfrs. 7; Übersee $ 1,50; Sammelmappen pro Jahrgang Mk. 4,50
Die Entstehung der Galerie
Von
Dr. Kurt Karl Eberlein
I.
Da es eine wissenschaftliche Geschichte des
Museums und der Museumskunde bei uns nicht
gibt, und da die Entstehung der Galerie fast
überall falsch erklärt wird, möchte ich hier
den Weg zeigen, der zu unserer Kunstgalerie
geführt hat.
Man muß drei Begriffe für drei Räume
scharf unterscheiden: Etüde, Cabinet,
Galerie. Alle drei enthalten Kunstgegen-
stände und finden sich in den fürstlichen
Schlössern, für die Frankreich schon so früh
führend war. Wir finden zunächst die Etüde.
Halb Schatzkammer, halb Museum, ist dies
Studierzimmer nicht mit der intimeren „Gar-
derobe“ zu verwechseln, die mehr dem Cha-
rakter des Cabinets nahekommt, auch wenn
sie zuweilen recht groß war. Seit dem 14. Jahr-
hundert haben die königlichen Schlösser ihre
Etüde; Karl V. hat sie im Hotel St. Pol in
Melun, in St. Germain en Laye, Karl VI. im
Louvre, Rene in Angers und Pertuis. Diese
Etudes, die wir als kunstreiches „Studiolo“ in
Italien finden, werden mit Kunstgegenständen
aller Art geschmückt im 16. Jahrhundert
immer allgemeiner, hauptsächlich mit Büchern
und Bildern gefüllt zum Arbeitszimmer der
Fürsten, Gelehrten, Ärzte, Künstler. Um
1650 wurde aus dieser modischen Etüde das
Büchercabinet. So kommt es, daß das Ar-
beitszimmer bis ins 19. Jahrhundert hinein
und bis in unsere Tage immer noch Kunst-
werke enthält, und daß diese Kunstwerke
dem Raum einen ganz besonderen Wert
und Charakter geben. Zugleich erzählen sie
uns von dem Geist des Besitzers, zumal wenn
er eine berühmte Persönlichkeit war oder ist,
mehr als manches seiner Werke. Diese Etüde,
dies alte museale Studierzimmer ist eigentlich
der Vorläufer des Raumes, den man dann Ca-
binet nannte.
Der Wunsch, sich zurückziehen, einschlie-
ßen, ausruhen oder vergessen zu können ist
wahrscheinlich so alt wie das weibliche Ge-
schlecht. Bedurfte es doch immer des Spie-
gels und der Schönheitsmittel. Was im Mittel-
alter die „Garderobe“ ermöglichte, das erlaubt
seit der Renaissance das Cabinet. Die Dame
will sich aus den großen Sälen zurückziehen
können, um eng und gemütlich bei sich selbst
zu sein. Das Cabinet
st deshalb '.-.nnächst
klein und enthäi'Wenige,
auserwählte Möbel und
Dinge. Vor allem ein
Ruhebett, Spiegel, Bil-
der, Bücher. So wird
es eine Mischung von
Ruheraum und Kunst-
cabinet. Nur die Ver-
trautesten dürfen es be-
treten. Seit etwa 1500
ist es ein intimes, abge-
trenntes Damenzimmer-
chen der höfischen
Schlösser und Hotels.
Die Cabinetmode wird
nun besonders in Frank-
reich von den eleganten,
in Molieres Spiel herr-
lich verspotteten „Preci-
euses“ weiterentwickelt,
und für Frankreich wer-
den besonders die ton-
angebende Madame de
Rambouillet und ihre
Tochter Julie d’Angen-
nes vorbildlich. Hell ge-
halten, mit weißen Vorhängen, mit kostbaren
Bildern, Porzellanen, Sitzmöbeln, werden diese
getäfelten mustergültigen Cabinets die große
Mode bis ins Bürgertum hinein. Wenn der
Sonnenkönig einer seiner Freundinnen oder
„Impures“ das fürstliche Geschenk eines Ca-
binets machte, so war das ein sehr kostspieli-
ges Geschenk, weil es ein kleiner Salon mit
David Teniers d. J., Bildercabinet
Wien, Sammlung Prof. Schindler
Willem van Haecht, Das Museum des Cornelis van der Geest. 1615
Sammlung Esmond C. Harmsworth
allen Möbeln und Tapis¬
serien war. Es gibt da
berühmte Beispiele.
Auch wurde es nun guter
Ton, daß man in diesem
Cabinet dinierte. Alles,
was in diesen Cabinets
an kostbaren, raren und
kuriosen Kunstgegen¬
ständen zusammenge¬
stellt war, wurde im
Schloß Versailles in Ein-
zelcabinets verteilt, so
daß also ein Cabinet der
Bücher, der Medaillen,
der Antiquailles, der
Bijoux usw. entstand.
So trennt sich im könig¬
lichen Schloß das Kunst-
cabinet von dem Ca¬
binet, in dem man
alles beisammen hatte
und essen, ruhen,
schauen, lesen konnte.
Die berühmtesten Ca¬
binets waren damals im
17. Jahrhundert: Sully’s Cabinet des Illustres
in Villebon, die von ersten Künstlern geschaf-
fenen C ibinets Toulouse. T.oro-o RoirHIm
ixanmert, CruzaL im 18. Jahrhundert trennen
sich nach dem Vorbild des Hofes die Einzelkabi-
nette je nach Inhalt, Benützung, Stil. Und so
entsteht mustergültig für Europa die Ordnung
der Spezialcabinets: de Travail, de Curiosite,
des Livres, de Glace, de Toilette, de Rocaille,
de Jardin. Man sieht also, wie aus einem durch
Lebensführung, Ruhebedürfnis, Eitelkeit aber
auch Erotik üblich gewordenen kleinen Da-
menzimmer schließlich ein offizielles, großes,
zugängliches Spezial- und Sammlungszimmer
entsteht, das als Kunstcabinet eine große Rolle
spielt und in unseren „graphischen Kabinet-
ten“, die doch meist gar keine Kabinette sind,
unsterblich fortlebt. Ich betone, daß die Cabi-
nets die Formen und Formate der Kunstwerke
entscheidend beeinflußt haben, so daß das Cabi-
netbild als ein bestimmtes Format für den
Kunsthandel wichtig wird. Kunstraum und
Kunsthandel bedingen nämlich die normalen
Maßgrößen, auf die zu wenig geachtet wird.
Der holländische Kunsthandel hat z. B. das
Cabinetbild für die ausländischen Cabinets ge-
radezu bestellt und exportiert. Das Kunstcabi-
net, dessen Entstehung wir hier verfolgt haben,
hat aber mit der Galerie, die etwas ganz an-
deres ist als Etüde oder Cabinet, gar nichts
zu tun.
II.
Der alte Streit, wo und wie der Raum und
das Wort Galerie entstanden sind, ist noch
nicht beendet. Im allgemeinen verlegt man die
Heimat der Galerie nach Italien, in dem man
überhaupt die Heimat des neueren Kunstsam¬
melns vermutet, und immer wieder kann man
lesen, die Galerie wäre eine Schöpfung des
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nach Frankreich und Deutschland gekommen.
Das stimmt nun alles nicht ganz. Die Frage,
ob dieser Raum nicht schon der Antike ange-
hört, ob es nicht schon in frühchristlicher Zeit
in Rom eine „galeria“ gegeben habe, ob dies
Wort aus „allerie“, „wallen“, „galer“ entstan-
den sei, würde uns hier zuweit führen. Wir
fragen uns nur: Wie ist der Raum entstanden,
welcher als Kunstgalerie allgemeine, inter-
nationale Bedeutung hat; seit wann kennt man
ihn als Sammelplatz für Kunstwerke und wie
ist daraus das selbständige Museum entstan-
den, das wir Galerie nennen ?
Der Gelehrte Havard, dem wir unsere Ein-
sicht verdanken, hat darauf hingewiesen, daß
schon im 14. Jahrhundert in den fürstlichen
Landschlössern Frankreichs Galerien nach-
weisbar sind. Sie dienten in Zeiten, wo keiner
seines Lebens sicher sein konnte und am
wenigsten der Herrscher, als Raum für den
gesicherten Spaziergang auch bei schlechtem
Wetter und als Empfangsraum für große
höfische Empfänge. Deshalb ist die Galerie
auch heizbar und deshalb wurde sie auch be-
sonders ausgeschmückt. Sie ist also ein Gang,
auch wenn sie nicht aus dem Korridor entstan-
den ist, was Violet de Duc behauptete. Sie ist
selbst eine Art Korridor, denn schon 1471
lesen wir: „galeria sive corridor domus“. Sie
ist ein Gang für die Bewegung, für das Hin
und Her, und deshalb heißt der gedeckte Zu-
schauergang im Saal des Ballspieles ebenso
Galerie, wie im Theater der Gang vor den
Logen oder der oberste Umgang, wie am
L. BERKHEIMER
MÜNCHEN LENBACHPL.3
__ MÖBEL / KUNSTGEWERBE / KAMINE / ÖFEN
ANTIQUITÄTEN: TAPISSERIEN / TEPPICHE / STOFFE / STICKEREIEN
. O STASIATI S C H E K U N ST / VE RTAF E LU N G E N etc.