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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 8.1934

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Nr. 10 (11. März)
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DIE W E L T K U N S T

Jahrg. VIII, Nr. 10 vom 11. März 1934

Orientalischer Bucheinband
Farbige Lackledermalerei
Leipzig, Deutsches Buchniuseum


gemusterten Renaissancebänden, der hoch-
entwickelte sächsische Bucheinband des
16. Jahrhunderts, wie er etwa durch Namen wie
Jäkob Krause und Caspar Meuser bezeichnet
wird, die Grundlage alles dessen, was später


Hessischer Zeugdruck auf Leinen
Um 1700
Leipzig, Deutsches Buchmuseum
an Höchstleistungen geschah, nimmt eine Son-
derstellung ein. Frankreich und Italien fehlen
natürlich nicht und die prachtvollen buntfar-
bigen Lederbände mit reicher Goldpressung und
Wappenschmuck zeigen die außerordentliche
Höhe und Durchdringung mit künstlerischem
Geist, die das damalige Handwerk besaß.

Äußerst reizvoll auch die
orientalischen Einbände (s.
Abb.) und die reiche
Sammlung gestickter Ein-
bände, die sich heute nur
noch in Residuen volks-
tümlerischer Betätigung
(Perlstickereien) vorfin-
den, aber noch vor 150 Jah-
ren sich zu dem Ehrgeiz
verstiegen, auf den Einbän-
den Bildnisse der Besitzer
des Buches in porträt-
getreuer Stickerei wieder-
zugeben. Mit einzelnen
Sondergebieten, wie etwa
der Bemalung des Buch-
beschnittes — es gibt hier
Beispiele, auf denen der
Buchbeschnitt als Grund
zur Aufnahme ganzer Mi-
niaturgemälde dient —,
wie man sie nur hier fin-
det, hat sich m. W. bisher
noch niemand eingehender
beschäftigt.
Eine Quelle künstleri-
scher Eindrücke und ein
stilgeschichtliches Bilder-
buch (in diesem Sinne fast
ein Ableger des in unserem
letzten Aufsatz behandel-
ten Tapetenmuseums) stel-
len die Sammlungen be-
druckter Papiere dar.
Hauptsächlich aus der
allein über 12 000 Bogen
umfassenden Sammlung
des Zahnarztes Seegers
aus Hannover und des
Wiener Hofrates Bartsch
hervorgegangen, ist hier
eine fast unerschöpfliche
Muster- und Vorbildsamm-
lung der graziösen und er-
findungsreichen Welt der
Kleister-, Marmor-, Kattun- und Brokatpapiere,
der handgestempelten und der Spritzmuster in
allen nur erdenklichen Techniken vorhanden.
Dazu kommen noch die ausgedehn-
ten Vorbildersammlungen, die Ex-
librissammlung, die Sammlung der
Originalgraphik, die berühmte
Brockhaussche Sammlung früher
Litographien, die Plakat- und Zei-
tungssammlungen, aus deren Be-
ständen auf die Sammlung frühe-
ster Nachrichtenblätter und auf die
wertvollen Feld- und Schützen-
grabenzeitungen hingewiesen sei.
Die „Forrersammlung“ endlich,
die der bekannte Fachmann dieses
Namens begründete, zeigt das Ge-
biet der bedruckten Stoffe. Man
wird sich zunächst fragen, was
denn eine solche Sammlung mit
einem „Museum für Buch und
Schrift“ zu tun habe. Wenn man
aber bedenkt, daß der Zeugdruck
überhaupt eines der ältesten Druck-
verfahren ist und dem Bilddruck
nicht nur den Weg gezeigt hat, son-
dern der Vater des mittelalterlichen
Papierdruckes ist (hier wäre die
Rolle des Spielkartendruckes noch
zu verfolgen), so ergibt sich
daraus die außerordentliche Be-
deutung dieses Gebietes, das in
Leipzig mit ganz einzigartigen
Stücken auftritt. Die im vorigen
Jahre vom Museum veranstaltete
Ausstellung „Sechs Jahrhunderte
Zeugdruck“ bewies, welche Schätze
da noch schlummern. Man sollte
öfters solche Ausstellungen vor-
nehmen, sollte diese reisen lassen,
sie haben mindestens ebenso ein
Anrecht darauf, gezeigt zu werden,

wie etwa die Ausstellungen französischer Im-
pressionisten, um derentwillen man im ver-
gangenen Deutschland Eröffnungsreden von
Ministern und Sonderzüge vielfach nötig zu
haben glaubte — und dabei waren diese Aus-
stellungen gerade meist als modisch litera-
rische Angelegenheiten aufgezogen. Hier aber
in dieser „Zeugdrucksammlung“ (siehe Abb.)
gibt es ein vielsagendes, kulturhistorisches An-
schauungsmaterial, das uns mehr erzählt,
wenn erst einmal Zusammenhänge aufgezeigt
werden. Wer weiß z. B., daß die bunte Fabel-
welt von geflügelten Drachen und Riesen-
schlangen, Basilisken und exotischen Fratzen,
die sich hier in Verbindung mit urheimischem
Ornament auf den niederrheinischen Stoffen
austobt, Niederschlag der Kreuzzüge ist? Wo-
her kommt die immer wieder durchbrechende
byzantinische Ornamentik dieser bedruckten
Stoffe, die durch die Jahrhunderte hindurch-
geht?
Reiche Schausammlungen führen uns von
den Vorstufen des Schrift- und Buchwesens der
frühgeschichtlichen Völker durch die einzelnen
Kulturkreise, die in einzelnen Schauräumen,
wie z. B. in denen des chinesischen Hauses
(Abb. S. 1), auch in der Inneneinrichtung viel
Sehenswertes für den Kunstfreund enthalten.
Welche Ueberraschungen, z. B. sich bei der
Durchsicht mancher Abteilungen dieses wich-
tigen Museums, das sich in seinem, von H.
Bockwitz, der übrigens auch seit einem Jahr-
zehnt das „Archiv für Buchgewerbe und Gra-
phik“, eine ganz ungewöhnlich reichhaltige,
kostbar ausgestattete Zeitschrift, um die uns
das Ausland beneidet, herausgibt, geleiteten
trefflichen „Jahrbuch für Buch und Schrift“
und dem dazugehörigen „Literarischen Beiblatt“
ein wichtiges Organ schuf, ergeben, zeigt ein
Aufsatz der „Weltkunst“ vom August 1933, der
einen im Buchmuseum auf gefundenen, ver-
schollenen Druckstock Utamaros behandelte.
Dieses Museum, dessen Aufgabe es ist, auf
wirklich breite Schichten weit über das Fach-
liche hinaus, Anregung, Werkkenntnisse und
Augenfreude zu übertragen, gehört viel stärker
in den Vordergrund des öffentlichen Interesses
gerückt. Trotz der beschränkten Mittel, die
diesem privaten Vereinsunternehmen (dessen

Leitung übrigens auch in sinnvoller Weise mit
der der deutschen Bibliothekarschule verbun-
den ist, die ja in den Sammlungen des Mu-
seums das prächtigste Anschauungs- und Un-
terrichtsmaterial besitzt) zui- Verfügung
stehen, wurden in den letzten Jahren eine
ganze Reihe von Sonderausstellungen in ver-

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„WELTKUNST“

schiedenen deutschen und ausländischen
Städten durchgeführt. Bis nach Tokio und
Peiping erstreckte sich diese, im besten Sinne
werbende, Tätigkeit. Noch mehr aber müssen
diese Wanderausstellungen in Deutschland her-
umgehen, sie müssen auch in die kleinen Pro-
vinzstädte kommen. Dadurch kann edelstes,
altes Kulturgut, das in besten Beispielen dort
gezeigt werden kann, auf viele Gewerbe und
Zweige des Kunsthandwerks befruchtend wir-
ken und zugleich die Leipziger Bestände aus
dem „Musealen“ herausreißen. Die Raumfrage
des deutschen Buchmuseums ist nämlich ge-
radezu zu einer Zwangslage geworden, die
einstweilige Unterbringung im Westflügel der
deutschen Bücherei in Leipzig läßt es nur zu,
einen Bruchteil der Sammlungen zu zeigen.
Und das, was wir, sicherlich im Sinne der
rührigen Leitung dieses Museums, immer wie-
der wünschen müssen, das ist ja, loszukommen
von dem Eingekastelten, Aufgestapelten, dem
Magazinhaften und dem Speichergeruch des
heutigen Museumsbetriebes. Hier wäre das
Einsetzen der staatlichen Kunstpflege eine
wichtige Aufgabe, denn von einer, solchen
Sammlung läßt sich eine Wirkung in die Breite
erzielen, lassen sich mit dem sicheren Wissen
um die besten Leistungen der Vergangenheit
die neuen Gestaltungen von geistigem Aus-
druck und Lebensform durchführen, läßt sich
jene gesunde Basis schaffen, auf der alles
Neue und Revolutionäre mit Schlagkraft für
den Durchbruch zur Sinndeutung nationalen
Wollens wachsen kann.

Lukas van Valkenborgh, Marktszene in Passau
Signiert, datiert 1594
Ausstellung: Galerie Stern, Düsseldorf


Das antiquarische
Rom
Rom ist und bleibt ohne Zweifel noch im-
mer der Mittelpunkt aller Interessen für die
Antike. Schon daß in dieser Stadt so viel ge-
buddelt wird wie kaum in einer zweiten Stadt
der Welt, hängt sicher mit den alten archäolo-
gischen Instinkten zusammen. Während mit
bewundernswürdiger Energie ringsherum eine
neue Weltstadt entsteht, umwirbt die gleiche
Leidenschaft die urbs, das alte Rom, und er-
sehnt seine immer breitere Wiederherstellung.
Nach wie vor ist in Rom die Archäologie die
Königin aller Wissenschaften. Ein deutscher
Archäologe, Professor Curtius, genießt hier
eine schwärmerische Verehrung, deren sich in
der Heimat nur Musiker oder Schauspieler zu
erfreuen haben, kaum aber gelehrte Profes-
soren; seine Vorträge, wie in diesen Tagen
über die Kaiserbüsten, sind überfüllt, man ahmt
sein Wesen nach — die runden Hüte, die er trägt,
sind richtig Mode geworden. In den Biblio-
theken der gebildeten Römer findet man bände-
reiche gelehrte Werke über das Inschriften-
wesen, die in bürgerlichen Privatbibliotheken
Deutschlands kaum begehrt wären. Und zu-
gleich fehlt es dem sehr realistischen Römer
— schon daß die seit Hekler ja auch bei uns
gewachsene Schätzung der Büsten hier populär
wurde, beweist seinen Realismus ■—- selbst in
der Liebe keineswegs an Kritik. Er hat sich
gewöhnt, alte Büsten einfach „die Nasen“ zu
nennen, und er berührt damit offen den Wun-
den Punkt des ganzen Restaurierens hier.
Ein Student der Physiognomik aus der alten
Schule Lavaters könnte aus den unvermeid-
lichen Schwächen naseölogischer Ergänzungen
allerhand Tiefsinniges über die Einmaligkeit

jeder wirklichen Physiognomie folgern. Noch
heute wie zu Goethes Zeiten führt das Alter-
tum seine schwärmerischsten Verehrer an der
Nase herum.
Dennoch hört man hier in den alten Kreisen
Roms recht bewegliche Klagen darüber, daß
die Zeiten eigentlich vorüber wären, in denen
Rom der natürliche Mittelpunkt des großen anti-
quarischen Betriebes der Welt und das römische
Antiquariat das maßgebende war. Rom, so
sagen diese Kritiker, gleiche heute ganz dem
alten Künstlercafe unweit der Piazza di
Spagna, dem Greco, das, neu hergerichtet und
modernisiert, kein Original mehr beherberge
als seinen berühmten Kellner mit der Antwort
an jeden fremd akzentuierenden Gast: „In
Deutschland spreche ich die Sprache Goethes,
in Italien die Sprache Dantes“. Womit denn
also endgültig das Problem der Sprache Dantes
gelöst ist, über das eine Bibliothek im doppelten
Umfange von Hirzeis Goethe-Bibliothek zusam-
mengeschrieben wurde. Aber es gibt noch an-
dere originelle Menschen in Rom. Noch sitzen,
wenn auch nicht gerade in der via del Babuino,
dieser Mischung' von Wilhelmstraße und Schili-
straße, alte Antiquare mit glühenden Augen in
ihren dunklen Höhlen neidisch über Schätzen,
die keine sind. Noch besucht einen wie vor
20 Jahren heimlich der kleine Mann, der einem
immer die Ausgrabungen vom Forum anbot, die
gerade am Tage zuvor in den römischen Bild-
hauerateliers fertig geworden waren. Noch hält
an der Seitenfront des Collegium Romanum der
Conte Rossetti seinen halb rührenden, halb
kläglichen Trödel feil, mit Zeichnungen wie: der
Conte Rossetti in seinem Studio oder der Conte
Rossetti und seine Gattin. Ein zerrissener
Bettler mit lang herabhängendem greisen Haar
wankt, der letzte Nachkomme aus dem Ge-
schlecht des großen Dante Gabriel, als eine
erschütternde Ruine durch die Stadt der Ruinen.
Menschliche Originale gibt es noch, mit den
künstlerischen war es aber immer in Rom für

den naiven Menschen gefährlich bestellt, nur
natürlich in einer Stadt, wo die Reproduktion
und Restauration zu besonderen Künsten wur-
den. Auch die beiden Anekdoten, die ich hier
als neu hörte, sind nicht eben originell. Die
eine betrifft den Fund eines Bodonilagers in
einer Maceria in Mailand. Da habe ein Ge-
lehrter ein Viertel Salami in einen Pergament-
bogen des Bodoni eingewickelt erhalten, und bei
der Nachforschung den Rest des Lagers ent-
deckt, das Bodoni, der Meisterdrucker von
Parma zur Napoleonszeit, in Mailand unter-
hielt. Diese Anekdote habe ich jetzt dreimal
gehört: einmal in Berlin "von der Restauflage
von Hauptmanns Promethidenlos, einmal in
Paris von der großen Ausgabe der Thais von
France jetzt von Bodoni. Wenn Grisebach
noch lebte, er könnte eine Studie über die Wan-
derung des Märchens vom bücherfeindlichen
Schlächter durch die Weltliteratur schreiben.
Und auch die namenlose Legende vom Funde
des illuminierten Psalters auf dem Campo de’
fiori, dem römischen Trödelmärkte am Mitt-
woch, auf dem auch die Antiqare ihre Stände
haben, ist nicht einmal bene' trovato. Es ist
die uralte Legende von der trouvaille, die ja
immer einen Kern Wahrheit enthält und genau
so über die Münchener Dult umlief oder über
die Seinequais. Ach, gerade auf dem campo
de’ fiori wird man sich des großen Material-
mangels im römischen Antiquariat schmerzlich
bewußt, und die vielen geistlichen Herren, die
hier von 9 Uhr morgens ab den Privatleuten
eine schmerzliche Konkurrenz machen, suchen
wohl auch mehr billige Gelegenheitsware als
bibliophile Seltenheiten.
Die führenden italienischen Antiquare haben
natürlich immer noch wie alle Weltfirmen ge-
waltige Kostbarkeiten in Besitz und ihre Klage
gilt heute m. E. wenigstens mehr den geschwun-
denen Absatzmöglichkeiten für solche Einzig-
artigkeiten als ihrem Verschwinden. Als die
letzte große römische Bibliothek von Bedeu-

tung, die Rospligliosa — ein Rospigliosi war
Papst gewesen — mit ihren kostbaren Einbän-
den in Antiquarshand überging, waren ihre
Hauptstücke schnell genug verkauft. Die all-
gemeine Anklage gegen die Amerikaner, sie
hätten erst wie Hearst den römischen Markt
verdorben und ihn dann sitzen lassen, ist wohl
heute eine allgemeine europäische Klage. Im
18. Jahrhundert waren das einmal die Deut-
schen und vom Baron Stosch, dem großen
deutschen marchand amateur in Rom, sagten
die Römer, erst habe er Rom ausgeraubt und
ihm hinterher noch durch seine Briefe Kunst-
gesetze vorgeschrieben. Aber immerhin läßt
sich nicht bezweifeln, daß der amerikanische
Aufkauf den römischen Markt stark ver-
knappte, und daß ein Teil der wichtigeren
Stücke, die man hier trifft, erst vom Auslande
wieder eingeführt wurden, und zwar mitunter
mit starkem Seitenblick auf den Fremdenver-
kehr.
Alles das zugegeben und unter der Berück-
sichtigung aller Momente wie der wachsenden
Seltenheit erstrangiger Stücke im Kunsthandel,
der nachgelassenen Konjunktur im Antiquariat,
soweit das vor allem Inkunabeln und kostbare
Einbände angeht, gibt es doch auch ein erfreu-
liches Moment, das die Knappheit des römi-
schen Antiquars etwas rechtfertigt. Rom, so-
lange nur gebender Teil, ist nämlich mit seiner
sonstigen Erneuerung auch wieder mehr zu
einem sammelnden Rom geworden. Es gibt
heute von der Antike bis zu dem neuesten
Sammelgebiete, der römischen Lithographie,
eine ganze Reihe sehr bedeutender römischer
Privatsammlungen, von denen man vor
20 Jahren noch nichts wußte. Das selbst sam-
melnde Rom, die alten Geschlechter wie die
Faktoren der neuen wirtschaftlichen Regsam-
keit, sind zu einer gefährlichen Konkurrenz
geworden und machen dem „forestiere“ die
Funde nicht mehr ganz so leicht wie etwa in den
Tagen Bodes und Adolf von Beckeraths. B.
 
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