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Zachariae, Theodor
Kleine Schriften zur indischen Philologie, zur vergleichenden Literaturgeschichte, zur vergleichenden Volkskunde — Bonn, Leipzig, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.50105#0284

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Scheingeburt.

die Fäuste ballend1, ohne ein Wort zu sprechen, in der Flüssigkeit
zu. Am nächsten Morgen werden an ihm vom Vater alle die Zere-
monien (Sakramente) vollzogen, die an einer schwangeren Frau ver-
richtet zu werden pflegen. Dann wird der Totgesagte aufs neue ge-
boren, indem er die Wanne auf der hinteren Seite verläßt. Endlich
werden noch die Geburtszeremonien an ihm vollzogen, er heiratet
in optima forma seine frühere Gattin wieder, oder er nimmt eine andere,
und er legt mit ihr wieder die sakralen Feuer an.
Der Hiranyagarbha kann nicht anders aufgefaßt werden als
der eben geschilderte Ritus. Der Hiranyagarbha ist ein Regene-
rationsritus. Mit Bewunderung müssen wir feststellen, daß Lieb-
recht schon vor Jahren, gestützt auf höchst dürftiges Material, mit
genialem Blick den Zusammenhang erkannte, der zwischen dem in-
dischen ,Ernjagherpum‘ und der symbolischen Wiedergeburt1 der
voveQoytOT^oi in Griechenland besteht (Zur Volkskunde S. 397).
Warum Frazer im Golden Bough 1, 22, wo er unter der Überschrift
‘Simulation of birth‘ von der Wiedergeburt der Totgesagten in
Griechenland und Indien handelt, nicht auch den Hiranyagarbha-Ritus
(der ihm wohl bekannt ist; vgl. 1, 307) erwähnt hat, vermag ich
nicht zu sagen. Neuerdings hat übrigens Crooke, wie ich mit Be-
friedigung gesehen habe, bei seiner Behandlung des Hiranyagarbha
(Things Indian p. 501) unter anderem auch auf Frazer, Golden Bough
1, 22 verwiesen; d. h. also, Crooke zweifelt nicht daran, daß der
Hiranyagarbha und der Ritus, der an einem Totgesagten vollzogen
wird, eng zusammengehören. Und noch eins. Wenn Liebrecht den
indischen Ritus, ,genannt Ernjagherpum‘, bei seiner Erklärung des
Durchkriechens heranzog und das Durchkriechen als eine symbo-
lische Wiedergeburt auffaßte, so hat derselbe Crooke eine Äußerung
getan, die darauf schließen läßt, daß er Liebrechts Standpunkt durch-
aus teilt. Crookes Äußerung ist deshalb besonders wertvoll, weil
sie wahrscheinlich in keiner Weise, weder mittelbar noch unmittel-
bar, durch die Liebrechtsche Wiedergeburtstheorie beeinflußt ist.
Crooke schreibt in seinem Buche Things Indian S. 500: We may
perhaps connect rites like these2 with the custom common in Europe
and elsewhere of passing people through the holes in a dolmen, or
through a cloven ash-tree as a eure for rupture or rheumatism,
1) Zum Ballen der Fäuste vgl. die Bemerkungen von Caland im Archiv
für Religionswissenschaft 11, 128.
2) D. h. den Hiranyagarbha und andere, später von mir zu erwähnende
Riten. Den Namen Hiranyagarbha erwähnt Crooke a. a. O. nicht, wohl aber
in seinem Buche: The Populär Religion2 2,231.
 
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