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Zachariae, Theodor
Kleine Schriften zur indischen Philologie, zur vergleichenden Literaturgeschichte, zur vergleichenden Volkskunde — Bonn, Leipzig, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.50105#0315

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Ein Gottesurteil.

301

iudicium feretri, das ,Bahrgerichtund eine ganz eigentümliche
Blutprobe, die Lilek unter der Überschrift ,Des Vaters Bein saugt
des Kindes Blut auf‘ verzeichnet. Über dieses Ordal weiß Lilek
nichts weiter mitzuteilen als eine Erzählung, die ihm Hadzic Ef feudi,
Softa an der Scheriatsrichterschule in Sarajevo, aufgeschrieben hat.
Die Erzählung lautet: ,Nach dem Tode eines Königs wurde ihm ein
Kind geboren. Es war zweifelhaft, ob dies sein rechtmäßiges Kind
sei oder nicht. Der Mostarer Scheih Jujo, in dieser Angelegenheit
um Auskunft gefragt, bedeutete die Frager, man möge ein Bein
aus dem Grabe des Königs nehmen, dem Kinde am Leibe einen
Schnitt machen und des Kindes Blut auf des Vaters Bein träufeln.
Wenn das Bein das Blut aufsaugen würde, so sei das Kind recht-
mäßig, wenn nicht, so stamme es von einem andern. Und wahr-
haftig, bei diesem Versuche sog des Vaters Bein das Kindsblut auf,
was bei einem andern fremden Beine nicht der Fall war/ (Scheih
Jujo war geboren in Mostar 1061 nach der Hedschra und starb 1119.)
Friedr. S. Krauss (Globus 62, 268f.) bemerkt zu dieser Erzäh-
lung, daß sie keineswegs slawischen Ursprungs sei. Nähere An-
gaben macht er nicht. Vielleicht ist die Erzählung jüdischen
Ursprungs. Wenigstens kenne ich nur eine jüdische Parallele zu
der von Hadzic Effendi mitgeteilten Erzählung. Unter den Gleich-
nissen des Königs Salomo‘, die A. Jellinek, Bet-ha-Midrasch IV,
145ff. veröffentlicht hat, steht an erster Stelle die folgende Er-
zählung.1 ,Tn den Tagen des Königs David lebte ein reicher Mann,
der nur einen einzigen Sohn besaß. Der Mann kaufte viele Waren
und gab sie seinem Sohne. Der Sohn bestieg ein Schiff, ging nach
Afrika und blieb daselbst viele Jahre. Innerhalb dieser Jahre starb
sein Vater und hinterließ sein Besitztum einem Knechte, der bisher
Verwalter seines Schatzes gewesen war Nach einiger Zeit
kehrte jener Jüngling von den Küstenstädten des Meeres nach
Hause zurück und fand, daß sein Vater gestorben war. Als er
aber das väterliche Haus betreten wollte, da wehrte ihm der Knecht
den Eintritt.2 Es erhob sich ein großer Streit, und der Jüngling

1) Den Hinweis auf die in Jellineks Bet-ha-Midrasch vorliegende Erzäh-
lung verdanke ich Herrn Prof. A. Wünsche in Dresden. Die obige Analyse der
Erzählung gründet sich auf die Übersetzung, die Wünsche in seinem Buche Aus
Israels Lehrhallen; kleine Midraschim zur späteren legendarischen Literatur des
Alten Testaments, II (Leipzig 1908), S. 13f. geliefert hat.
2) Wenn sich der Knecht für den wahren Sohn des Alten ausgibt und
dem Sohne den Eintritt ins väterliche Haus wehrt: so erinnert diese Situation
 
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