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Zachariae, Theodor
Kleine Schriften zur indischen Philologie, zur vergleichenden Literaturgeschichte, zur vergleichenden Volkskunde — Bonn, Leipzig, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.50105#0317

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Ein Gottesurteil.

303

Da ist zunächst die berühmte, im Mittelalter weitverbreitete, fast
in jeder Predigt- oder Exempelsammlung vorkommende Erzählung1
zu erwähnen, worin mehrere um eine Erbschaft streitende Söhne
aufgefordert werden, nach dem Leichnam des Vaters zu schießen.
Derjenige unter den Söhnen, der sich nicht entschließen kann, einen
Pfeil auf den Vater zu richten, wird für den echten Sohn und
rechtmäßigen Erben erklärt. Es entspricht die talmudische Erzäh-
lung2 von den zehn Söhnen, von denen der eine, der echte, erb-
berechtigt sein soll. R. Banaa gab den Söhnen folgenden Bescheid:
,Gehet und schlaget so lange auf das Grab eures Vaters, bis er
aufsteht und euch angibt, welchem von euch er das Erbe hinter-
lassen hat.4 Und sie gingen alle dahin; nur der eine, der der wirk-
liche Sohn war, ging nicht mit. Da sprach R. Banaa: ,Diesem
gehören alle Güter/ — Hierher gehört auch die Erzählung von dem
Streit des wahren und falschen Mhammed um das väterliche Erbe,
bei Alois Musil, Arabia petraea III (Wien 1908), S. 350f., eine
Erzählung, die ick vorläufig nur aus dieser Quelle kenne. Die
beiden Mhammeds brachten ihre Klage vor den berühmten Richter
ez-Zijädi. Der wußte nicht, wem er Recht geben sollte. Da über-
nahm es seine junge Frau, die Sache zu entscheiden. Sie legte
ihren Schmuck an und ging, als sich alles niedergelegt hatte und
in der Männerabteilung nur die beiden Brüder geblieben waren,
einige Male an ihnen vorüber. Da erhob sich der gefundene (un-
echte) Mhammed und wollte sich mit ihr unterhalten. Sie wies ihn
jedoch zurück mit dem Bemerken, mit ihm sei keine angenehme
Unterhaltung möglich, da er sich um sein Recht kümmern müsse.
Er erwiderte: ,Die Unterhaltung mit dir in dieser Nacht läßt mich
auf mein Recht verzichten! Dies hörte auch der wahre Sohn und
sagte: ,Ich würde mich schämen, mein Recht um einen Liebes-
handel herzugeben4. Darauf erklärte ez-Zijädi diesen Sohn für den
rechtmäßigen Erben, den anderen aber, der so leicht auf sein Recht
zu verzichten bereit war, für einen Bastard.3
1) Vgl. die reichen Literaturangaben in R. Köhlers Kleineren Schriften II,
562 f. oder bei Albert Wesselski, Mönchslatein, Leipzig 1909, S. 200 f. In seiner
Übersetzung der Gesta Romanorum (II, 260 in dem Neudruck von 1905) be-
zeichnet Grasse die Erzählung als ,eine Verarbeitung der bekannten Geschichte
von Salomos Urteil1. In der Tat führt die Erzählung als französisches Fabliau
den Titel ,Le jugement de Salomon'.
2) Der babylonische Talmud in seinen haggadischen Bestandteilen über-
setzt von A. Wünsche II, 2, 164f. Vgl. auch Revue des etudes Juives 33, 233f.
3) Hierher gehört wohl auch, was wir im Anfang der Geschichte zweier
 
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