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Zachariae, Theodor
Kleine Schriften zur indischen Philologie, zur vergleichenden Literaturgeschichte, zur vergleichenden Volkskunde — Bonn, Leipzig, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.50105#0321

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Ein salomonisches Urteil.

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rechten Ann zur Ader lassen. Danach fragte der König die Brüder,
wo ihr Vater begraben sei. Sie antworteten: , An dem und dem
Orte1. Da ließ der König den Leichnam ausgraben, einen Knochen
aus der Brust herausnehmen und den Leichnam wieder beerdigen.
Darauf rief er seine Diener und sprach zu ihnen: ,Nehmt den
Knochen und taucht ihn in das Blut des Erstgeborenen, damit der
Knochen so viel Blut äufsaugt als er nur kann. Dann setzt ihn
der Sonne und dem Winde aus, damit das Blut fest daran haftet!1
Die Diener taten, wie ihnen geheißen war. Ais aber das Blut ein-
getrocknet war und der Knochen ganz blutig aussah, da befahl der
König, den Knochen mit Wasser zu waschen. Und so geschah es.
Kaum aber hatte das Wasser den Knochen berührt, da verschwand
das Blut, und der Knochen sah aus wie zuvor. Ebenso wurde der
zweite Bruder zur Ader gelassen, und der Knochen wurde mit
seinem Blute bestrichen und der Sonne und dem Winde ausgesetzt.
Als man aber den Knochen wusch, da verschwand das Blut, und
der Knochen gewann sein früheres Aussehen wieder. Endlich ver-
fuhr man ebenso mit dem Blute des Jüngsten. Aber als das Blut
in den Knochen gedrungen und gut eingetrocknet war, da gelang
es nicht, das Blut von dem Knochen herunterzubringen, man mochte
reiben und waschen so viel man wollte. Der Knochen blieb durch-
weg blutig. Da sagte der König zu dem Jüngsten: ,Wahrlich, du
bist der rechtmäßige Sohn des Kaisers, denn dein Blut ist aus
diesem Knochen hervorgegangen1; deine Brüder sind Bastarde. Dir
und deinen Erben überweise ich den Baurn.4 Und alles Volk pries
die Weisheit des Königs, der ein so kluges Urteil gefällt hatte. —
Wir fragen jetzt: woher stammt dieses kluge Urteil? Woher
stammt die Blutprobe, die zur Feststellung der Echtheit des jüngsten
Sohnes dient? Nach" Grässe in den Anmerkungen zu seiner Über-
setzung der Gesta (2, 280) wäre unsere Erzählung ,völlig mystisch
und selbsterfunden4; übrigens ist sie, fügt Grässe hinzu, ähnlich
der Erzählung der lateinischen Gesta, wo die drei Söhne nach dem
Leichnam ihres Vaters schießen (nr. 45 Oesterley; nr. 103 Dick).
Die Erzählung ,Schießen4, wie sie Oesterley, oder /Herzschießen4,
wie sie Klapper2 * nennt, wird von Grässe mit Recht zum Vergleich
herbeigezogen. Ich werde weiter unten auf diese Erzählung zurück-
kommen. Die Erzählung aber, die uns hier beschäftigt und die
man nach Oesterleys Vorgang ,Baumerbe4 zu nennen pflegt, ist
]) Herrtage p. 433: this blöde is of tlie nature of this bone.
2) Erzählungen des Mittelalters hsg. von Joseph Klapper 1914 8. 392.
20*
 
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