6./7. HEFT
R.FORRER, SCHWERTINSCHRIFTEN IN ROMANISCHEN MINIATUREN
199
ganz einzig dastehendeDarstellungder romanischen
Kunstperiode. Uns interessiert hier nur die mit
spitzem Helm, mit Ringbrünne, Schild und Schwert
gerüstete weibliche Gestalt der Dialectica der
Vorderseite. Die Brünne erregt unser Interesse,
weil sie das Panzerhemd mit aufgenähten Ringen
darstellt, ähnlich dem vorhin behandelten Bilde;
auch der Helm ist formverwandt, scharf spitz zu-
laufend, im übrigen mit Schienen und Platten nach
Art der merowingischen verstärkt. Der Schild ist
oben oval und bietet uns seine Innenseite mit dem
Riemenwerk der Handhabe in detallierter Dar-
stellung. Das Schwert hat einen in die Breite
gehenden Knauf und nahe der kurzen Parierstange
auf der Klinge das Zeichen IIV.
Ich habe daraufhin Miniaturenreproduktionen
durchgesehen, welche ich gerade zur Hand habe,
und festgestellt, dafs meine Beobachtung „Schwert-
inschriften auf romanischen Miniaturen“, auch noch
anderwärts, wenn auch relativ selten, zu machen
ist. Im Hortus deliciarum der Herrad von
Landsberg, der um 1175 — 80 entstanden ist
und auf den ich schon früher in dieser Zeitschrift
aufmerksam gemacht habe, fand ich auf dem
grofsen Schlufsblatt der apokalyptischen Frau
(pl. 76 des Werkes) eine an jene Frau herauf-
blickende Teufelsfigur, welche ein 13 cm langes
Schwert in den Händen hält, das sie nach jener
Gestalt zückt (Abb. 3). Das Schwert, das ich hier
Abb. 3i 4) 5- Aus Miniaturen des Hortus deliciarum
der Herrad von Landsberg, 12.Jahrhundert (ehern.
Stadtbibliothek Strafsburg, 1870 verbrannt)
Abb. 6. Miniatur aus dem Hortus deliciarum der
Herrad von Landsberg
als Teil des 4ix/2 cm grofsen Bildes verkleinert
reproduziere, zeigt nahe der Parierstange grofs
und deutlich zwei Buchstaben, ein O und ein N
= ON.
Auch auf zwei anderen Blättern desselben
Manuskriptes (bzw. der allein noch vorhandenen
Reproduktionen, da das Original 1870 im Bom-
bardement zu Grunde ging) fand ich noch Schwert-
inschriften. Auf Tafel 31 schlagen zwei Gewapp-
nete auf einen am Boden liegenden König ein
(Abb. 6). Unterhalb der Parierstange des linken
Kriegers steht auf der Klinge deutlich: OPOC.
Weniger deutlich ist die Schwertinschrift auf der
Kopie der Miniatur Fol. 27 lesbar. Diese stellt
den Kindermord zu Bethlehem dar. Ein Krieg'er
packt ein Kind am Schopf und stöfst ihm sein
langes Schwert bis zur Schwertaufschrift durch
den Rücken; die Buchstaben sind undeutlich und
lesen sich wie V [sicher] und IX [unsicher] (Abb.5).
Der andere Krieger holt eben zum Hieb gegen
ein zweites Kind aus; auf seiner Schwertklinge
steht eine lange, aber leider unleserliche Inschrift;
sie scheint mit einem Kreuze zu beginnen (Abb.4).
— Weitere Schwertinschriften habe ich im Hortus
deliciarum trotz der sonst noch vielen Darstellun-
gen, in denen Schwerter eine Rolle spielen, und
auch in zahlreichen anderen Miniaturenwerken, die
ich daraufhin durchzublättern Veranlassung nahm,
nicht gefunden.
Wären diese Schwertinschriften auf später-
zeitlichen Miniaturen angebracht, so könnte man
nach Analogien an versteckte Künstlermono-
gramme denken. Hier aber, bei Miniaturen, die
durchweg dem Kunstkreise des XII. Jahrhunderts
angehören, liegt eine derartige Deutung weniger
R.FORRER, SCHWERTINSCHRIFTEN IN ROMANISCHEN MINIATUREN
199
ganz einzig dastehendeDarstellungder romanischen
Kunstperiode. Uns interessiert hier nur die mit
spitzem Helm, mit Ringbrünne, Schild und Schwert
gerüstete weibliche Gestalt der Dialectica der
Vorderseite. Die Brünne erregt unser Interesse,
weil sie das Panzerhemd mit aufgenähten Ringen
darstellt, ähnlich dem vorhin behandelten Bilde;
auch der Helm ist formverwandt, scharf spitz zu-
laufend, im übrigen mit Schienen und Platten nach
Art der merowingischen verstärkt. Der Schild ist
oben oval und bietet uns seine Innenseite mit dem
Riemenwerk der Handhabe in detallierter Dar-
stellung. Das Schwert hat einen in die Breite
gehenden Knauf und nahe der kurzen Parierstange
auf der Klinge das Zeichen IIV.
Ich habe daraufhin Miniaturenreproduktionen
durchgesehen, welche ich gerade zur Hand habe,
und festgestellt, dafs meine Beobachtung „Schwert-
inschriften auf romanischen Miniaturen“, auch noch
anderwärts, wenn auch relativ selten, zu machen
ist. Im Hortus deliciarum der Herrad von
Landsberg, der um 1175 — 80 entstanden ist
und auf den ich schon früher in dieser Zeitschrift
aufmerksam gemacht habe, fand ich auf dem
grofsen Schlufsblatt der apokalyptischen Frau
(pl. 76 des Werkes) eine an jene Frau herauf-
blickende Teufelsfigur, welche ein 13 cm langes
Schwert in den Händen hält, das sie nach jener
Gestalt zückt (Abb. 3). Das Schwert, das ich hier
Abb. 3i 4) 5- Aus Miniaturen des Hortus deliciarum
der Herrad von Landsberg, 12.Jahrhundert (ehern.
Stadtbibliothek Strafsburg, 1870 verbrannt)
Abb. 6. Miniatur aus dem Hortus deliciarum der
Herrad von Landsberg
als Teil des 4ix/2 cm grofsen Bildes verkleinert
reproduziere, zeigt nahe der Parierstange grofs
und deutlich zwei Buchstaben, ein O und ein N
= ON.
Auch auf zwei anderen Blättern desselben
Manuskriptes (bzw. der allein noch vorhandenen
Reproduktionen, da das Original 1870 im Bom-
bardement zu Grunde ging) fand ich noch Schwert-
inschriften. Auf Tafel 31 schlagen zwei Gewapp-
nete auf einen am Boden liegenden König ein
(Abb. 6). Unterhalb der Parierstange des linken
Kriegers steht auf der Klinge deutlich: OPOC.
Weniger deutlich ist die Schwertinschrift auf der
Kopie der Miniatur Fol. 27 lesbar. Diese stellt
den Kindermord zu Bethlehem dar. Ein Krieg'er
packt ein Kind am Schopf und stöfst ihm sein
langes Schwert bis zur Schwertaufschrift durch
den Rücken; die Buchstaben sind undeutlich und
lesen sich wie V [sicher] und IX [unsicher] (Abb.5).
Der andere Krieger holt eben zum Hieb gegen
ein zweites Kind aus; auf seiner Schwertklinge
steht eine lange, aber leider unleserliche Inschrift;
sie scheint mit einem Kreuze zu beginnen (Abb.4).
— Weitere Schwertinschriften habe ich im Hortus
deliciarum trotz der sonst noch vielen Darstellun-
gen, in denen Schwerter eine Rolle spielen, und
auch in zahlreichen anderen Miniaturenwerken, die
ich daraufhin durchzublättern Veranlassung nahm,
nicht gefunden.
Wären diese Schwertinschriften auf später-
zeitlichen Miniaturen angebracht, so könnte man
nach Analogien an versteckte Künstlermono-
gramme denken. Hier aber, bei Miniaturen, die
durchweg dem Kunstkreise des XII. Jahrhunderts
angehören, liegt eine derartige Deutung weniger