Das Arkundenbuch der Itadt Owieto.
Von
Jerdinand Gregorovius.
Vom Gipfel des hohen Felſenberges über dem Thale des
Fluſſes Paglia glänzt die moſaicierte Fäcade des Doms von Or—
vieto wie ein goldener Schild auf die Landſchaft herab, weithin
ſichtbar, gleich dem Parthenon auf der Akropolis Athens. Der
Grundſtein zu dieſem herrlichen Denkmal des Mittelalters wurde
im Jahre 1290 vom Papſt Nikolaus IV. gelegt, und der Bau
dauerte länger als dreihundert Jahre. Große Maler, Luca Sig—
norelli, Fra Beato Angelico, Gentile da Fabriano, Benozzo Goz—
zoli, Perugino ſchmückten das Innere der Kirche mit berühmten
Fresken, und Meiſter aus der Schule des Nicold Piſano bedeckten
die Pfeiler und Flächen der Facade mit kunſtvollen Reliefs.
Der Dom iſt die einzige große geſchichtliche That jener kleinen
guelfiſchen Republik geweſen. Alle ihre Lebenskraft ſcheint in dieſes
eine Werk der Kunſt eingeſtrömt zu ſein, ſo daß ſie ſich darin
erſchöpfte, der Agave vergleichbar, welche vergeht, wenn ſie ihren
prachtvollen Blütenſchaft emporgetrieben hat. Auch in manchen
anderen Kommunen Italiens ſind die Kathedralen als die Sarko—
phage anzuſehen, worin jene ihr geſchichtliches Leben beſtattet haben.
Ohne den Dom würde Orvieto heute keinen höheren Rang
beſitzen, als Todi und Narni, oder als Amelia und Bolſena,
Städte, die niemand aufſucht, es ſei denn der Kunſtkenner,
welcher verſteckte Gemälde des Quattrocento beſichtigt, und der
Gelehrte, der nach alten Urkunden in den Stadtaͤrchiven forſcht.
Orvieto hat keine ſo hervorragende Kirchen und Paläſte wie Pe—
rugia und Siena, aber es bietet ein Ganzes von unendlichem
1Codice Diplomatico della Città d'Orvieto, Documenti e Regesti
dal sec. XI al XV, e la Carta del Popolo .. con illustrazioni e note di
Luigi Fumi, Firenaze, G. P. Yaeusseux 1884.
Von
Jerdinand Gregorovius.
Vom Gipfel des hohen Felſenberges über dem Thale des
Fluſſes Paglia glänzt die moſaicierte Fäcade des Doms von Or—
vieto wie ein goldener Schild auf die Landſchaft herab, weithin
ſichtbar, gleich dem Parthenon auf der Akropolis Athens. Der
Grundſtein zu dieſem herrlichen Denkmal des Mittelalters wurde
im Jahre 1290 vom Papſt Nikolaus IV. gelegt, und der Bau
dauerte länger als dreihundert Jahre. Große Maler, Luca Sig—
norelli, Fra Beato Angelico, Gentile da Fabriano, Benozzo Goz—
zoli, Perugino ſchmückten das Innere der Kirche mit berühmten
Fresken, und Meiſter aus der Schule des Nicold Piſano bedeckten
die Pfeiler und Flächen der Facade mit kunſtvollen Reliefs.
Der Dom iſt die einzige große geſchichtliche That jener kleinen
guelfiſchen Republik geweſen. Alle ihre Lebenskraft ſcheint in dieſes
eine Werk der Kunſt eingeſtrömt zu ſein, ſo daß ſie ſich darin
erſchöpfte, der Agave vergleichbar, welche vergeht, wenn ſie ihren
prachtvollen Blütenſchaft emporgetrieben hat. Auch in manchen
anderen Kommunen Italiens ſind die Kathedralen als die Sarko—
phage anzuſehen, worin jene ihr geſchichtliches Leben beſtattet haben.
Ohne den Dom würde Orvieto heute keinen höheren Rang
beſitzen, als Todi und Narni, oder als Amelia und Bolſena,
Städte, die niemand aufſucht, es ſei denn der Kunſtkenner,
welcher verſteckte Gemälde des Quattrocento beſichtigt, und der
Gelehrte, der nach alten Urkunden in den Stadtaͤrchiven forſcht.
Orvieto hat keine ſo hervorragende Kirchen und Paläſte wie Pe—
rugia und Siena, aber es bietet ein Ganzes von unendlichem
1Codice Diplomatico della Città d'Orvieto, Documenti e Regesti
dal sec. XI al XV, e la Carta del Popolo .. con illustrazioni e note di
Luigi Fumi, Firenaze, G. P. Yaeusseux 1884.