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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 1
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Jessen, Peter: Wohin treiben wir?
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Riehl, Berthold: Der Alterthümler und das moderne Kunstgewerbe, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0019

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Freude an der Kunst und ihrem Ganzen thun müssen.
Wer erst einmal zu seinem Bilde den Rahmen, zu seiner
Statue den Sockel erfindet, wird bald auch die Tapete
und den Stuhl dazu nach seinem eigenen Kopfe zu ge-
stalten wünschen. Bon ihrer eigenen Wohnung, von dem
Saale, den sie ausmalen, wird ihre Arbeit auch in die
Werkstube des Tischlers, in das Atelier des Decorateurs
hinüberwirken. Das deutsche Kunsthandwerk hat schon in
der vorigen Generation den Bortheil gehabt, enger mit
den Künstlern, besonders den Architekten, zusammen zu
arbeiten. Darum hat uns auch England weniger iin Hand-
werk als in der Großindustrie überholt. Unsere Industrie,
unsere Fabrikanten werden daher vor allem Anderen ihre
künstlerischen Ansprüche, ihren Aufwand und ihr Ver-
ständniß höher als bisher spannen müssen, Hier liegt ein
springender Punkt der ganzen Frage. Unsere Keramik,
unsere Malerei, unsere Tapetenindustrie, unser Buchdruck
müssen in Fragen der Kunst lauter mitsprechen. Ihre Pro-
ducts sind eines der wirksamsten Bildungsmittel der Masten.

Freilich wenn wir die Künstler und Industriellen
bitten, Gpfer zu bringen, müssen wir zugleich dahin
arbeiten, daß ihnen ein verständnißvolles Bolk entgegen-
komme. Man hat neuerdings mehrfach treffend entwickelt,
wie wir die künstlerische Bildung der ganzen Nation tiefer

zu gründen haben. Unser Zeichenunterricht wird weder
so geachtet, noch so geübt, wie es die Kunst unserer Zeit
erheischt; wenn wir die Handfertigkeiten in den Schüler-
werkstätten ernster und breiter pflegten, könnten wir das
neue Geschlecht wenigstens zur Achtung und Liebe für
künstlerische Arbeit erziehen; noch fehlt unserer Malerei
die breite Schaar der Dilettanten, die sich durch eigene
Arbeit das Auge und das Berständniß schult; noch weiß
man nur-jan wenigen Stellen in Reich und Landen, daß
die -Kunst an den öffentlichen Bauten die größte Schule
auch [bes ehrbaren Handwerks und der nutzbringenden
Kunstindustrie bildet. Noch erhebt sich in: Reichstag kaum
eine Stimme, wenn über die wichtigsten künstlerischen Auf-
gaben des deutschen Bolkes verhandelt wird; noch gilt an
den Regierungstischen der Gips als echtes Material. Noch
bleibt viel Raum zur ausdauernden Arbeit im Großen
und iin Kleinen, ehe wir für unsere Kunst ein Bolk und
für unser Volk ein Kunstgewerbe haben.

Aus diese Arbeit werden auch die Kreise und Kräfte,
die sich >heute pstegestätten des deutschen Kunstgewerbes
nennen, sich stimmen müssen. Wir möchten Niemanden
missen. Die Zeit ist ernst, das Ziel weit, der Weg schwer.
Aber es handelt sich um Sein oder Nichtsein des deutschen
Kunstgewerbes.

M MrWiickk uni) M nioüerne KmWlimöe. )

Von Prof. Or. ltzerthold Riehl.

uf einer Anhöhe am Ufer des Bodensees
liegt eine Villa, zu welcher der Weg von
Norden her durch einen kleinen Fichten-
und Buchenwald führt, während man von
ihr aus gegen Süden über die sorgfältig
gepflegten Blumenbeete eines Rococo-
gartens nach dem See und den duftigen, fernen Bergen
jenfeit desselben sieht. Die Villa ist die Freude und der
Stolz ihres Besitzers, aber nicht nur wegen ihrer reizenden
Lage, wegen des schattigen Parkes und der prächtigen
Blumenbeete, sondern vor Allem auch wegen ihrer Ein-
richtung mit alten Möbeln und Kunstwerken aller Art.
Da der Besitzer, welcher der Entwicklung unserer Kunst
und unseres Kunstgewerbes mit regstem Interesse folgt,
bereits etwas über 60 Jahre alt ist, da ferner ein Theil
der Alterthümer schon von seinem Vater erworben wurde,
so erzählt die Sammlung im lebensvollen Bild von dem
Wechsel des Geschmackes gegenüber der alten Kunst in
den letzten etwa 50 Jahren.

Den Anfang der Sammlung bildeten, wie so häufig,
einige Alterthümer, welche der Vater des jetzigen Besitzers

ff Gbigen Aufsatz, welcher den Anschauungen der „Alten" und
der „Modernen" gerecht wird und beiden die Grenzen ihrer Berechtigung
zuweist, bringen wir namentlich deßhalb zum Abdruck, weil derselbe den
Weg verzeichnet, auf welchem die zur Zeit auf kunstgewerblichem Gebiet
auftretcnden Gegensätze zur Versöhnung gelangen können. D. Red.

gelegentlich erwarb und die er, um sich stets ihrer zu
freuen, in seinem Studirzimmer ausstellte; sie regten ihn
dann an, zunächst dies Zimmer vollständig mit alten
Möbeln auszustatten, und der Sohn dehnte dies weiter
auf das ganze Haus aus, in dem dadurch eine interessante
Sammlung alter Kunstwerke sich anhäufte, das aber vor
allem durch seine alte Einrichtung ein feines, stimmungs-
volles Kunstwerk werden sollte — und auch geworden ist.

Der älteste Theil der Sammlung — wie gesagt das
Studirzimmer — ist natürlich im gothischen Stil ein-
gerichtet; denn das Mittelalter war ja die Zeit der wahren
Blüthe deutscher Kunst, nach den Anschauungen der Roman-
tiker, welche damals in .diesen Fragen noch unbedingt
herrschten. Der stimmungsvolle Eindruck dieses Raumes
wird aber auch heute noch jeden entzücken. Es ist ein
kleines, gar behagliches Zimmer, in das durch die Butzen-
scheiben und Glasgemälde der kleinen Fenster ein an-
genehm gedämpftes Licht fällt; die Vertäfelung von Decke
und Wand besitzt einen herrlich warmen Ton, in den vor-
züglich der alte, dunkelgrüne Kachelofen stimmt. Eine
besondere Zierde des Zimmers aber bilden zwei spät-
gothische Thüren aus dem Kreuzgang eines Tyroler
Klosters, die gar originell mit Malerei und Schnitzwerk
geschmückt sind. Die Bibliothek birgt ein Schrank von
sq;8s, der aus der Sakristei einer nahegelegenen Pfarr-
kirche stammt, und die hübschen Kupferstiche, meist werth-
 
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