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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Pecht, Friedrich: Neue Bücher
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0115

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86

Arnold Böcklin, Eine Auswahl der hervorragendsten
Werke des Künstlers. Dritte Folge. (München, Photo-
graphische Union, gebd. oder in Mappe 100 M, Ausgabe vor
der Schrift 200 M.) Wie Richard Wagners ist auch Böcklins
Ansehen seit einem halben Jahrhundert fortwährend gestiegen.
Diese dritte Folge aber von ausgewählten Werken des großen
Schweizer Meisters, in der sich einige ganz frühe mit den
neuesten Bildern mischen, beweist uns dadurch unter anderem
auch, daß selten ein Künstler sich im Laufe seiner Entwicklung
so wenig verändert hat, als er, dessen starke Persönlichkeit sich
gleich von allem Anfang an mit merkwürdiger Bestimmtheit
ausprägte. Er war aber nicht nur ein geborner Maler, sondern,
was komischerweise — wohl aus Unkenntnis der Art — fast
nie betont wird, vor allem ein spezifischer Schweizer Maler,
der seine mannhafte und feste Landesart in allem und jedem
ausprägt. Ob er uns das Tyrrhener Meer oder griechische
Göttinnen, Tritone und Faune oder heilige Haine schildere, immer
wird man die Heimat der Damen wie bocksfüßigen Herren am
Zürichersee und in den Berner Alpen leicht herausfinden — aber
freilich nur, wenn man Menschen und Landschaft dort genau kennt.
Dann aber wird man auch augenblicklich sehen, daß selbst sein
Nessus samt der Dejanira ihren schweizerischen Heimatschein in
der Tasche tragen und Charon am Thunersee die Damen über-
fährt. Diese starke Lokalfarbe, die Böcklin mit den großen
Künstlern aller Zeiten teilt, sie giebt seinen Werken jene merk-
würdige Lebenskraft, die sie vor fast allen modernen voraus
haben. Schon die meisterhaften Selbstbildnisse des Künstlers
zeigen uns in ihrem herausfordernden Trotz, in ihrer Abwesen-
heit jeder Sentimentalität, in dem durch und durch mannhaften
Wesen den echten Schweizer und gebornen Republikaner, der,
Gottfried Keller durchaus verwandt, diesem doch noch an Reich-
tum der Phantasie und Urwüchsigkeit der Gestaltungskraft wie Ge-
sundheit bei weitem übertrifft. Der so reichbegabte als hart-
köpfige alemannische Stamm, dem Schweizer, Elsässer und
Schwaben gleichmäßig angehören, hat uns von Holbein bis
Schiller und Uhland, von Viktor Scheffel bis zu Gottfried Keller
und unserem Böcklin eine Unzahl von Dichtern und Künstlern
geschenkt, deren Grundzug immer die gewisse herbe Männlichkeit
ist, die uns bei einer so überaus reichen und ideal angelegten
Natur, wie die unseres Baselers es ist, so unwiderstehlich fesselt.
Das bleibt aber jedenfalls eine der größten Wohlthaten unserer
Zeit, daß sie uns ein Reproduktionsverfahren geschenkt hat,
welches die Wirksamkeit einer solchen Kernnatur wie Böcklin ver-






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Ä'WN!,


Aeue Wucher.

vom Herausgeber.

hundertfacht, so daß sie erst zum Allgemeingut wird, was bisher
ja nur der Dichtung, der Malerei aber nie gelang, was aber
eine solche Erscheinung wie unseren Künstler erst recht segensreich
und fruchtbar macht. Das aber ist gewiß ein sehr günstiges
Zeugnis für die innerliche Gesundheit unserer Nation, daß sie
eine so durch und durch männliche Kunst wie die Böcklins all'
dem sentimentalen und lüsternen Zeug vorzog, was man ihr seit
dreißig Jahren als ideal pries.

Die Meisterwerke der kgl. älteren Pinakothek in
München. 75 Pigmentdrucke mit erläuterndem Text von
vr. Fr. Haack. (München, Verlagsanstalt F. Bruckmann, gebd.
100 M.) Betrachtet man diese durchweg vorzüglichen, oft unüber-
trefflichen Pigmentdrucke, welche ihre Originale mit einem durch die
Einheit des Tons oft noch sehr erhöhten Reiz wiedergeben, so
muß man doch sagen, daß unsere Zeit einem das Studium wie
den Genuß der Werke unserer alten Kunst eigentlich doch in ganz
ungeahnter Weise ermöglicht hat. Denn mit der Ausbildung
der Technik fiel auch noch der Preis, so daß diese herrlichen
Blätter jetzt jedem zugänglich sind. Da kann man also die alten
Meister ganz ruhig daheim studieren und wird dabei gewiß oft
zu einer wesentlich verschiedenen Meinung über sie wie über ihre
Zeit kommen. Denn das ist gar keine Frage, daß hier gerade die
Altniederländer wie die Altdeutschen oft durch den Wegfall der
Buntheit des Kolorits noch sehr an Deutlichkeit gewinnen. So
ist z. B. des Rogier van der Wehden Darstellung der Anbetung
der hl. drei Könige geradezu entzückend in ihrer naiven Schilderung
des damaligen niederländischen Lebens, während man an der
Geburt Mariä von einem anderen Alten gar deutlich sehen kann,
wie sich die damaligen Antwerpener Damen in ihrer Art auch
schon recht gut aufs Kokettieren verstanden. Kommt man aber
erst zu ihren Enkeln, den Rubens und Van Dyk, so erstaunt man
über die feine Ausbildung eines sinnlichen, aber auch höfisch zier-
lichen Genußlebens, während einem unmittelbar vorher Albrecht
Dürer noch unwiderleglich bewiesen hatte, daß die damaligen
deutschen Philister womöglich noch eigensinnigere Pedanten waren
als die heutigen, ja daß seine berühmten vier Apostel zweifellos
sich vortrefflich für unseren Reichstag geeignet hätten. Sieht
man doch selbst, zwei Jahrhunderte später, der Frau Angelika
Kaufmann noch ganz genau die Herkunft aus dem Bregenzer
Wald an! Kurz, wer Sittengeschichte studieren will kann keine
unvergleichlichere Quelle finden als diese herrlichen Lichtbilder,
während davon bei unseren früheren Reproduktionsmethoden gar
keine Rede sein konnte. Der damaligen Litteratur aber sind diese
Schilderungen an Feinheit wie an Zuverlässigkeit
vollends ganz ungeheuer überlegen.

Goethes Gedichte, illustr. von Frank
Kirchbach. 8.—12. (Schluß)-Lieferung. (Leipzig,
Adolf Titze, kvmpl. gebd. 45 M.) Hat die schöne
Arbeit Kirchbachs mit der zwölften Lieferung
nunmehr glücklich ihr Ende erreicht, so stellte sich
in ihrem Verlauf auch immer deutlicher ihr durch-
aus moderner Charakter heraus, zeigt uns in
allem und jedem deutlich das Ende des Jahr-
hunderts, dessen Anfang einst Goethe so glänzend
verherrlichte. Sie weist uns nicht nur eine gänz-
lich veränderte, künstlerische Sprache auf, sondern
markiert auch das ganz andere Verhältnis der
jetzigen Zeit zu unserem größten nationalen
Dichter sehr deutlich. Sie zeigt uns ihn nicht
wie er war, sondern so wie er uns heute er-
scheint, d. h. vielfach anders als seine Zeitgenossen
es empfinden und mitfühlen könnten. Natürlich
erstreckt sich das nicht auf die vielen Gedichte, die
keiner besonderen Zeit gehören, weil sie eben für
alle bezaubernd bleiben, hier bringt auch Kirch-
bach die lieblichsten Dinge. Um so fühlbarer aber
wird das Jahrhundert, das den Poeten vom
Maler trennt, bei allem Persönlichen und Lokalen.
Wer kann sich heute noch Sesenheim oder gar
Frankfurt, wer vollends das kleine Weimar so
denken, wie sie damals waren, ohne daß ihm
sofort der ungeheure Unterschied zwischen dem
Einst und Jetzt ausfiele? Glücklicherweise ist bei
diesem Unterschied doch der Vorteil ganz auf unserer
Hermann Katsch ckci. Seite, wenn auch die damals so harmlos dahin-
 
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