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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Kirchbach, Wolfgang: Das Modell, [1]
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Ausstellungen und Sammlungen - Kunstliteratur u. vervielf. Kunst Personal- u. Atelier-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0159

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120

Das Modell.

einem Standbein den Widerhalt beim Umfahren scharfer
Ecken Herstellen mußten, mochte diese leichte Böschung
des Beines sich öfters ausbilden. Apollo war der Gott
all dieser Spiele; natürlich, daß der Künstler, um ihn
zu charakterisieren, sich auch in solcher Umgebung sein
Modell suchte. Und so sehen wir denn auch in der Ge-
sichtsbildung überall Typen, die noch heute häufig genug
Vorkommen, wo nahverwandte Rassen, beziehungsweise die-
selben indogermanischen und sonstigen Urrassen, unvermischt
erhalten sind. Der Kopf des Zeus von Otricoli mit seinen

m. Fischers Aunstanstalt, Berlin. sslakat für Fleckenwasser.

Gesetzlich geschützt. CH. Th. Heine fec.

Stirnbuckeln und seinem epikuräischen Munde wird noch
heute in Deutschland in immer erneuten lebendigen Exem-
plaren gefunden. Die Gesichtsbildung der Satyre aber,
wie z. B. der schöne Satyr des Praxiteles, ist augen-
scheinlich sarmatischcn, d. h. slavischen Gesichtern ent-
nommen, die man unter dem Namen der Skythen, ein-
schließlich vieler germanischer Stämme des Nordens, in
Griechenland sehr wohl kannte. Und daß die Spitzohren
nur eine Uebertreibung derjenigen Spitzohren sind, die
man noch heute bei vielen Menschen sieht, möchte im
Vorübergehen leicht angemerkt sein.

Wir sehen die griechische Kunst jedenfalls durch
lange Jahrhunderte nicht nur im fortwährenden Verkehr
mit der Natur überhaupt, sondern wissen aus zahlreichen
Nachrichten und von den erhaltenen Bildwerken selbst,

daß man die schönen Akte und Modelle auf's sorgfältigste
studierte, daß man ihnen schöne und charakteristische Zu-
fälligkeiten der Bildung gern absah, um entweder den
Gott dadurch sozusagen aus seinem „Milieu" heraus
zu charakterisieren oder auch sonst den Kennern der Schön-
heit und Natur allerhand damit zu verraten. Vom
Schematisieren der Schönheit, wie es sich wohl manche
noch heute vorstellen, von einer eklektischen Auswahl
schöner Gliedmaßen war keine Rede. Diese Vorstellung
schreibt sich von einigen anakreontischen und sonstigen
Liedern her, deren fein-poetisches Spiel man wörtlich
genommen hat. Man hatte vielmehr sehr schöne Modelle,
man idealisierte sie nicht, sondern ahmte gewisse besonders
schöne oder bezeichnende Eigentümlichkeiten von Formen
und Proportionen nach und wo die Natur etwa ver-
sagte, durch eine Verkümmerung oder mangelhafte Bildung,
rekonstruierte man sie aus den an den gesunden
Gliedern gegebenen Bedingungen, wie wir etwa heutzu-
tage die zerbrochenen Figuren selbst zu „ergänzen" suchen.
Daß man aber Werke, die auf die Entfernung wirken
sollten, dekorativ behandelte — was uns oft schematisiert
erscheint, weil wir nicht an den Zweck dieser breiten
Behandlung denken — darf uns an dem außerordentlichen
Feingefühl dieser alten Meister für ihre Modelle nicht
irre machen. Wir dürfen uns fragen dem gegenüber,
wie halten wir es denn heutzutage mit den Modellen?

Es ist da freilich noch ein großer Unterschied zwischen
dem Modell des Malers und dem des Bildhauers. Ein
Bildhauer, der ein wirklich schönes Modell hat, kann
dessen Erscheinung sozusagen direkt in die Sprache des
Marmors übersetzen. Er gießt es gewissermaßen ab;
er läßt das weg, was man im Thon, Erz, Marmor
nicht versinnlichen kann, um dafür seinem Material die
gleiche Raumschönheit zu entlocken, die er als Natur
vor sich sieht. Er ist gewissermaßen Uebersetzer nach
der Originalhandschrist. Der Maler aber hat nur eine
Fläche vor sich und wendet deshalb das Modell noch zu
ganz anderen Zwecken an. Er muß z. B. studieren,
wie er eine Ueberschneidung von Körperteilen unter eineni
gewissen Gesichtswinkel zur Täuschung auf der gleichen
Fläche zu projizieren hat. Dieser Kunst der Projektions-
wirkung sind Hunderte von Handzeichnungen gewidmet, die
wir von den Malern der großen italienischen Kunstcpoche
noch besitzen. Studien von Lionardo, von Michel-Angelo und
allen anderen, wer kennte sie nicht, wer schätzte sie nicht?
Wir sehen da die Künstler sehr eifrig am Werke Ueber-
schneidungen, räumliche Verkürzungen von Körperteilen auf
ihren Augenschein zu studieren. Wir können an ihren
Originalwerken noch heute sehen, wie sie das Studium
in das Bild übertrugen. Wir betrachten mit besonderer
Pietät auch all jene anderen Handzeichnungen und Akte
der Maler, auf denen sie sich die Kenntnis der Körper-
formen und ihrer Verhältnisse, der anatomischen Gestalt
des Muskelsystems aneignen. Gewandstudien, Studien,
welche die Formen des Körpers unter dem Gewand durch-
zeichnen, um auch hieraus richtige Verkürzungen, Per-
spektiven, Proportionen des bekleideten Ganzen im Bilde
zu gewinnen, sind uns von zahlreichen großen Meistern
erhalten. Und nicht minder natürlich die Handzeichnungen
von Köpfen, schönen und häßlichen Gesichtern, bald
Skizze, bald ausgeführt, bald mit dem Rötel, bald mit
der Feder, mit der Kohle und Kreide und dem Blei,
mit der Farbe selbst festgehalten. Hierzu kommen die
 
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