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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Kerschensteiner, Josef: Das Modellstudium des Tiermalers
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0290

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228

Das Modellstudium des Tiermalers.

Waldschnepfen. , ). Lbr. Kröner tec.

Modellstudium deß ^iermaler^.

von Josef Lerkchenßeiiier.

as hier in Frage kommende Studium ist sicherlich
von allen Arbeiten nach dem lebenden Objekt das
komplizierteste, das am meisten Hindernisse bietende. Und
warum? Weil hier die Modelle die unruhigsten sind.
Eine Schafherde soll, wie mir unlängst ein berühmter
Tiermaler versicherte, nicht besonders stillstehen — wenn
man alle die wolligen Wiederkäuer in corpore im leuch-
tenden Glanze des Sonnenlichtes — als Farbenstudie auf
die Leinwand bringen will.

Ein einzelnes Haustier läßt sich wohl anbinden oder
halten, ist aber trotzdem immer noch hundertmal unruhiger
als ein Akt in der schwierigsten Position. Die Begeiste-
rung für das „Fach" muß beim Tierdarsteller eine be-
sonders starke sein, denn seine Geduld wird durch maß-
lose Hindernisse oft bis zum Rasendwerden gebracht.

Es möge mir gestattet sein, an einem recht eklatanten
Falle, dem Malen nach einem Exoten eines Tiergartens
zu zeigen, wie es so ungefähr bei der Sache zugeht.
Eine wimmelnde Schafherde oder frei sich bewegende
Kühe, Schweine oder Hühner werden gewiß ebensolche
Schwierigkeiten bieten und mein Beispiel, das ich an-
führe, ist nur ein einziges von den tausenden aus dem
aufregenden Berufe.

In der Mittagsstunde liegt eben die Bestie faul
hingestreckt in der Sonne; eine bläuliche Holzwand, tief
blaugrün beschattet, hebt das orangene Fell des Tigers
zum malerischen Triumph heraus, das Weiß an der Brust
des stolzen Indiers leuchtet prall, seine schwarzen Streifen
erhalten nach oben Metallglanz, während der herrliche
Kopf in einem duftigen Dunkel schlummert. Rasch ist
man mit der Feldstaffelei zur Stelle, die Farben sind
längst aufgesetzt und nun geht's los, nervös, hastig. Aber
der Schlaf dieser schönsten aller Katzen ist selten tief.
Ein Geräusch von irgend woher — sie öffnet die grün-
lichen Augen — und — erhebt sich! Armer Tiermaler,
deine Sitzung ist aufgehoben! Jedoch das geniert den

Mann sehr wenig: er wendet den geleimten Pappendeckel
um, während der Tiger sich wieder im Sonnenlicht vor
der blaugrün beschatteten Wand legt; natürlich ganz
anders wie vorher. Man beginnt von neuem. Da wieder-
holt sich das böse Mißgeschick, der Indier ist nach einer
Viertelstunde schon wieder aufgestanden. Man hat eine
zweite Pappe bereit. Aber nochmals — dann später ein
drittes und gar noch ein viertes Mal wird die Sitzung
aufgehoben — aufgehoben durch lächerlich dumme, mini-
male Geräusche im Garten, die den in dieser Beziehung
empfindlichen Asiaten stören. Gott sei Dank ist es nicht
allemal so schlimm. Es giebt Tage, an welchen solch'
ein Modell bis gegen zwei Stunden und oft in sehr
schöner Stellung liegen bleibt. Diese Fälle sind leider
selten und bedeuten für unser einen ein Fest.

Der Leser ersieht wohl, daß der Emsige, der mit
seinen Tierobjekten so viel auszuhalten hat, eine rührende
Begeisterung auch für den Stoff besitzen muß. Dieses
Stoffinteresse haben sie alle die Tiermaler, alle, aus-
nahmslos, die mindesten wie die besten. Die Liebe zum
Stoff ist sogar hier unbedingt notwendig, sonst überwindet
auch der gute Kolorist oder Zeichner kaum auf die Dauer
die extraordinären Schwierigkeiten.

Bald aber gelangen wir zu dem Standpunkte, daß,
sobald wir mit Pinsel und Palette kommen, das Tier
nur mehr dann Interesse für uns haben kann, wenn es
einer malerischen Aufgabe unterstellt ist. Schon bei der
Studie handelt es sich um Suchen, Finden und Wieder-
geben eines koloristisch gestimmten Motivs, bei dem die
Farbwerte des Bodens, der Wand, des Strohs, der
Wiese, der Luft, des Wassers, des Schlagschattens, der
Ferne, kurz aller das Tier umringenden Töne genau so
wichtig sind und streng nach der Natur einzusetzen sind,
als die Töne des Modells selber. Immer stärker und
stärker suche der ein Maler sein wollende Tierdarsteller
malerische Farbenprobleme auf, bei denen die Farben des
 
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