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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Kirchbach, Wolfgang: Das Modell, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0157

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DaK Modell.

von wolsgang Lirchbach.


> alt wie die Kunst, so alt ist auch der Gebrauch
des Modells durch den Künstler. Schon auf den
ältesten archaischen Resten griechischer Kunst, schon an
ägyptischen Porphyrbildern der Pharaonen, auf assyrischen
Reliefs meint man durch die konventionelle Allgemeinheit
der Gestalten die Spuren bestimmter Vorbilder zu er-
kennen. Freilich mochte es wichtiger sein, hierbei die

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königliche Haartracht, die hervorstechenden Eigentümlich-
keiten der Lanze, des Leibrocks wiederzugeben, als eine
völlige Aehnlichkeit des Gesichts zu erreichen. Ist es
doch heute für einen Porträtmaler sehr wichtig unter
Umständen, daß die Orden des Konterfeis womöglich
noch ähnlicher sind als das Gesicht.

Von dem Augenblicke an, wo in Griechenland die
Kunst aus der Gebundenheit der hierarchischen Anschauung
heraustritt und durch schöne Natürlichkeit der Formen
ihre Beobachtungsfreiheit verkündet, haben wir auch viele
bestimmte Nachrichten alter Schriftsteller, welche uns ver-
melden, daß die Künstler sich des Modells bedienten. Wir
wissen, daß schöne Hetären den Künstlern sogar für Göttinnen
als Modellakt saßen. In Winckelmanns Geschichte der
Kunst des Altertums kann jedermann Stellen nachge-

wiesen finden, wo uns antike Dichter, Historiker und
Kunstschriftsteller hiervon Meldung thun. Man weiß,
daß außerdem in den Gymnasien die Bildhauer fort-
während Gelegenheit hatten die unbekleidete Natur im
Zustande der Bewegung zu studieren. In Sparta spielten
die jungen Damen ihr „Lawn-Tennis" und andere Ringel-
rosenkränze unter Verzicht auf jegliche Kleidungsstücke.

Die atheniensischen Bürgerfrauen, wenn sie
spazieren gingen und Gründe hatten, ein
wenig zu kokettieren, pflegten „ausge-
schnitten" zu gehen, aber nicht wie unsere
Damen um den Nacken, sondern seitlings
von den Lenden herab, wobei es für be-
sonders anziehend galt, im Gehen das Bein
so zu bewegen, daß auch das Profil des
Leibes ab und zu sichtbar wurde. Wer
Näheres darüber wissen will, braucht nur
die „Lysistrate" des Aristophanes zu lesen.

Und zwar erkennen wir, daß die
griechischen Künstler, bei aller bestimmten
Charakteristik ihrer Götter und Göttinnen,
welche z. B. regelmäßig die Göttin der
Jagd und der Keuschheit zu jenen schlanken,
hochbeinigen Wesen macht, doch die Zufällig-
keiten des Modells sehr harmlos und natür-
lich festhielten. Nicht, daß sie ihre Modelle
nun verfälscht oder sich von allen möglichen
Seiten schöne Teile zusammengesucht hätten!
Sondern sie suchten sich ein schlankes Mäd-
chen aus, wenn es galt, solch eine Diana
zu schaffen, und wohlgepflegte Priesterinnen
der Venus, wenn sie eine Aphrodite bilde-
ten. Wir erkennen sogar, daß sie in den
Proportionen ihrer Gestalten, in gewissen
anatomischen Eigentümlichkeiten ganz be-
stimmte individuelle Eigenschaften ihrer Mo-
delle mit übernahmen, Eigenschaften, die
wir noch heute als die Rasseeigenschaften
europäischer Menschenstämme ganz genau
wiedererkennen. Ja, wir können beobachten,
wie in verschiedenen Zeiten der griechi-
schen Kunst, je nach Oertlichkeit und Um-
gebung, auch bestimmte Rassentypen den
Schönheitscharakter der Figuren bestimmen.

Gestalten, wie jene herrlichen Schöpfungen der Epoche
des Phidias und des Polyklet, welche in einer Zeit ge-
schaffen sind, wo die Griechen mit Persern und Thrakern,
jenen großgewachsenen, breitschulterigen indogermanischen
Blondmenschen in fortwährender Berührung waren, sehen
wir gerade noch heute mitten unter uns. In Berlin,
in London läuft noch heute solch ein Geschlecht von hoch-
gewachsenen Frauen herum, wie es die Venus von Milo
ist oder die Amazone des Polyklet. Wer jene großartigen
Balletts zu London gesehen hat, in denen man massen-
weise die natürlichen Proportionen weiblichen germanischen
Körperbaues studieren kann, wird verwundert sein, wie
sehr gewisse griechische Ideale des Gesichtsschnittes und
der ganzen Körperbildung sich gerade in England
erhalten haben. Zur Zeit des Phidias haben wir uns
 
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