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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1925)
DOI Artikel:
Molo, Walter von: Mein religiöses Fühlen: skizzenhafter Versuch einer Selbstbetrachtung
DOI Artikel:
Trentini, Albert: Eine Neue Religion?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0167

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uns hier zu erfüllen, sonst wären tvir ja nicht hier! Das dauernde Sehncn nach
dem Himmel, von der Erde weg, ist sür mich wider daö Gebot Gottes, widcr die
Vernnnft des Alls, die nns hier werden ließ, die besser weiß als wir, was sie
damit in der Absicht hatte.

Als Lehtes möchte ich bekennen: Jch, der ich ans dem Süden nach dem Norden wan-
derte, der ich vom Katholizismus zum Protestantismus kam, sühle mich heute in
jeder Konsession beengt. Wenn man mit Religion ein bestimmtes Bekenntnis be-
zeichnet, und das ist nach der ursprünglichen Bedeutung des Wortes der §a!l, so muß
ich den alten Satz zitieren: „Warum habe ich keine Religion? AuS Religion." Jmmer
mehr wird mir unsaßbar, daß sich die Konfessionen befehden, daß sie immer nur daS
Trennende und nie das Einigende sehen. Das, was eine Konsession auSmacht, ist
der Mord an dem, was ihr Berechtigung zur Entstehung gab: sie will zum Ver-
stehen und Unterordnen sühren nnd verweigert dieses Verstehen der anderen Kon-
session und überordnet sich! AlleS kämpft heute mehr denn je um Weltanschammg,
um religiöses Gesühl. Jch bin allen diesen Kämpfern verbunden, und ich gehöre im
tiessten Sinne nur der Konfession zu, die nicht besteht, und die doch da ist und die
die mächtigste ist, solange sie nicht auch in Satzungen eingesperrt wird: Ehrsurcht
vor deni Leben, sehnsüchtige, sich bescheidende Unwissenheit, Bewundern'ng deS Koö-
moS, den ich nicht bewundern könnte, wenn ich, Wurm, ihn znr Völligkeit zu ersassen
sähig wäre! Jch stehe knapp vor der Türe, die sich in den Raum össnet, in dem
man erkennt, daß alle Religionskämpse, alle Weltanschauungskämpfe, auch meine
Kämpse und Erreichungen immer fehlerhast sind und bleiben müssen, daß sie abcr
das Höchste sind, was der Mensch erreichen kann: sie sind das heiße Streben
nach dem, was wir gesühlsmäßig „gut" und „glücklich" ncnnen, ohne daß wir es
vernunftgemäß jemals werden sestzulegen oder zu erkennen vermögen, ohne daß wir
dies je zu erreichen vermögen! Und eS isi gut, daß es so ist!

Es ist alles wohlgetan!

Eine neue Religion?

Von Albert Trentini

/^><as menschliche Drgan der Religion ist der Trieb und das Vermögen des
^ iGeistes, das, was er nicht mehr zu erkennen vermag, zu glauben; der Gegen-
stand dieses Glaubens: dies Unerkennbare.

Eine höchst einsache Sache?

Bis zu welchen verblüsfenden letzten Konsequenzen aber solcher Glaube führen kann,
daS enthüllt sich erst, wenn man etwa dem Wesensinhalt der sogenannten „Erlösuugs-
religionen" auf den Grund geht. Diese Religionen machen den unerkennbaren Gott
zu ihrem und des MenschengeisteS einzigem Gegenstande, obwohl er doch räumlich,
zeitlich und geschehensgesetzlich das Außerweltliche, und moralisch das Überweltliche
darstellt. Und heben damit alles Weltliche, und also auch das
Leben und den Menschen aus! Weil sie nämlich nur noch Gott wollen,
wollen sie nicht auch: die Welt, daS Leben und den Menschen. Wollen sie daö Voll-
kommene, das Unbedingte, und das Unwirkli'che; nicht aber das Unvollkommene,
das Bedingte und das Wirkliche! Den Himmel, nicht aber die Erde! DaS Jenseits,
nicht aber das Diesseits. Deutsch gesagt: sie wollen die Welt, das Leben und den
Menschen, wie diese wären, wenn sie nicht die Welt, daS Leben und
derMensch, sondern wenn sie — Gott, oderzum Mindesten gött-
I i ch wären. Ganz grob ausgedrückt: sie bejahen das, was (im irdischen Ver-
stande) nicht ist, und verneinen das, waS ist.

Solche Religionen reißen eine scharse Kluft auf zwischen dem Menschen, wie er
 
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