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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1926)
DOI Artikel:
Trentini, Albert: Eine Neue Religion?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0268

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Eme neue Religion?

(Schluß)

clcheü Zicl vcrfolgk die Gott-Suche der außerkirchlichen Religiösen von
^>heute?

^^^^D as Ziel: der Versöhnung von Gott und Welt, von Hirn-
inel und Erde, Jenseiks und DiesseiLS.

Die Eingemeindung des weltlichen Bezirks in den göttlichen;
die Erschließung dieses Bezirks als der zwciten Hälfte eines
endlich erspürten Ganzen — der Got,t-Welt — für das reli-
giöseLeben; die praktische Lösung des Widerspruchs zwischen
Weltflucht und Glauben an einen göttlichen Schöpfer und Er-
haltcr der Welt, soll erreicht werden!

Religiöse Beftrebungen solcher Absicht sind, natürlich, ob sie nun im Kleide der
Philosophie, der Wissenfchaft oder der Kunft auftraten, nicht neu. Neu ift auch
nicht der Anlaß der heutigen Bewegung; war es diesmal der Jammer des Kriegs,
der die Überlebenden zu neuem Bewußtsein vom Werte der Welt und des LebenS
brachte, so hauchten zu anderen Zeiten ebcn andere Raube am Leben solcher Bc-
sinnung den Atcm ein. Heute, wo diese Besinnung, dieses Spürcn, die Welt sei
nicht eine Feindin Gottes, nicht ein Außenseiter im Schöpfungsplane, nicht
dazu da, um als Gottverneinerin geflohen zu werden, — heute, da solche Besinmmg
in der Luft liegt, schon so allgemein empfangen wird, daß faft jede Betätigung
menschlichcn Geiftes von ihr durchtränkt auftritk, mag man den Einfall haben,
daß in dieser Jdee der Versöhnung von Gott und Welt daS asketisch weltflüchtige
Chriftentum, welches (nach bisheriger Ausdeutung) die Kreatur „Menfch" im Gefilde
der Natur verftümmelte, und das fanatifch gegenpolige Poftulat Nietzfches, der
diesen Menfchenmord verdammte und den (fcheinbar gottlosen) weltbejahenden Men-
fchen aufrief, zur Vereinigung zu kommen ftreben; deshalb nach ihrer Dermählung
Sehnsucht haben, weil die Menfchheit endlich daraufgekommen ift, daß ebensowcnig
der kirchliche Chriftus als bloßer Weltverneiner, wie NicHfche als bloßer Weltbe-
jaher recht gchabt hätten; deshalb nicht Recht haben konnten, weil cin Gott ohne
Welt die gleiche Halbheit darstelle, wie eine Welt ohne Gott, — daS Ganze aber —
Gott und Welt — von keinem von beiden erfaßt worden sei.

Bedarf es ei'neü Worts, nm die Sinn-Vollheit der reli'giösen Ertaftung von ,dcr
Gottwclt noch hervorzuheben? Sie lag, weil sie ebensoviel der Wirklichkeit wie
dcm Glaubensdrang entgegenkam, Gott ebensowenig wie die Wclt vernachlässigte,
immer nahe. Nun endlich fcheint sie deutlicher als je früher, uud allgemcincr heraus-
zukommen. Die hartnäckige Richtung des menfchlichen ElaubenS auf einen außer-
weltlichen Gott hin, die dazu führte, die Wi'rkli'chkeit für eine Unwirklichkeit preis-
zugeben und den natürlich lebenden Menfchen für einen (auf Erden unmöglichen)
Engel, ift nichts anderes als der Ausdruck des Grundprinzips deS menfchlichen Geiftes
und der Welt überhaupt. Dieses Grundprinzip befteht im Verlangen des „Satzes"
nach dem, was er m'cht ift, nach dem „Gegensatze". DieseS Derlangen seinerseits
aber wiederum ift nichts andcrcs, als der Ausdruck des Urftrebens alles Gefchaffenen:
Alles zu haben, was zu erfassen es seiner Natur nach imftande ift, und damit
dann Alles zu sein, was es seiner Natur nach zu sein vermag.

Goethifch gedacht: kaum daß der Menfch die Welt erfaßt, verlangt er fchon guto-
matifch nach dem Außerwcltlichen (Gott) als dcr Ergänzung zu dieser Welt; um
nun Außerwelt u n d Welt in sich zu haben, und, damit AlleS habend, was i'ft, ein
ganzer Mensch zu sein. Und zwar ebensv antomatifch verlangt er dies, wie das inenfch-
 
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