Vierteljähriger Abonnements- ' - Einrückungsgebühr für die
preis 30 kr. ohne Postaufschlag. Spaltzeile 3 kr.
Bergstraßer Bote.
Amts- und Verkündigungsblatt für das Bezirksamt Weinheim.
l Fünfter Jahrgang.
Mr «ZI". Weinheim, den 31. August R8L3.
DieLebensfragsn unserer Gesellschaft.
Wenn wir auch nicht gerade die jüngst in
einer Zeitschrift gelesene Aeußerung unterschreiben
möchten, daß die Fragen des Erwerbs die Lebens-
fragen unserer Zeit geworden sind, so müssen wir
doch anerkennen, daß schon seit Jahrzehndcn die
Entwicklung unseres Volkslebens eine Richtung ge-
nommen hat, die fast befürchten läßt, es möchte
auch bei uns allerdings die Zeit nicht ferne sein,
wo man, wie in dem vielgepriesenen Lande der
Freiheit, den materiellen Interessen alles Andere
unterordnet und von ihrer Pflege vorzugsweise
das Heil für die Zukunft erwartet. Wohl ver-
kennen wir nicht, daß die soziale Frage, von deren
Lösung so Vieles für die Wiederherstellung eines
befriedigenden Zustandes auch in unscrm deutschen
Vaterlande abhängt, eine Seite hat, die den ma-
teriellen Interessen alle Aufmerksamkeit zuzuwenden
nöthigt. Die Revolution und noch mehr deren
notbwcndige Folgen haben uns in einen Abgrund
auch äußerlicher Noth einen Blick thun lassen, der
leicht die Vermuthung erwecken konnte, daß, wie
die zunehmende Verarmung ein Förderungsmittel,
ja eine der mitwirkendcn Ursachen der ausgcbrochenen
Aufstände war, so auch die Hebung oder wenig-
stens Minderung des materiellen Nothstandcs den
Nevolutionsgeist, der noch da, und dort spukt,
unterdrücken kann. Man will daher, daß immer
mehr neue Erwerbsquellen geöffnet werden durch
Förderung der Landwirthschaft und Gewerbe, der
Handel belebt, der Verkehr erleichtert werde, und
was man immer für Vorschläge in wohlmeinendem
Sinne machen mag zur festen Begründung einer
Ordnung der Dinge, die solide Bürgschaften für
die Zukunft gebe.
Es ist gewiß recht und löblich, ja eine unab-
weisbare Nothwendigkeit, daß der äußern Noth
möglichst gesteuert werde; aber die finanziellen
Fragen, die Fragen des Besitzes und des Erwerbes
zur eigentlichen Lebensfrage machen zu wollen,
würde nicht beurkunden, daß man den letzten und
tiefsten Grund des Uebels, die sittliche Noth, ihrem
Wesen und ihrer Bedeutung nach erkannt hat,
aus der roch eigentlich die furchtbarsten Äuße-
rungen der ökonomischen hervorgegangen sind,
wenn auch zugegeben werden muß, daß sie ein
mitwirkender Faktor der sittlichen Zerrüttung und
so auch eine der Ursachen der Revolution war.
Dies ist auch von Vielen erkannt worden, und
batte zur Folge, daß in wenigen Jahren schon
Manches durch die Organe des Staats und der
Kirche, durch Vereine und Privatpersonen geschehen
ist, um vor Allem wieder einen festen sittlichen
Boden zu gewinnen, auf dem mit dem inncrn
Wohlstände auch der äußere sich heben könne. Wir
wollen hoffen, daß eine solche Anschauung sich
immer mehr Bahn breche und man bei aller Be-
rücksichtigung der materiellen Interessen diese, einer
andern, sich stark äußernden Zeitströmung gegen-
über, zu der sittlichen immer mehr in das natur-
gemäße Vcrhältniß zu setzen sucht.
Was hätten wir für eine Zukunft zu erwarten,
wenn man, wie in Nordamerika, den materiellen
Interessen die höchsten und edelsten Güter nach-
setzte und so einen Zustand der Barbarei vorbe-
reitete, die eine viel schrecklichere ist bei Völkern,
die auf einer höhcrn Bildungsstufe gestanden find,
aber von ihrer Bildung nur das sich erhalten
haben, was sich Schlechtes und Falsches an sie
angesctzt, als bei solchen, die bei aller Rohheit
doch noch einen gesunden Kern ursprünglicher Kraft
und Einfachheit sich bewahrt haben! Schon die
kurze Geschichte des nordamerikanischen Freistaats
kann uns lehren, wohin die Knechtschaft des Be-
sitzes und Erwerbes, die Anbetung des Geldgötzcn