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Das junge Herz, welches iu ihrer Brust schlug,
hatte freilich noch uie Sargeu uud Schmerzen ken-
nen gelernt, das Leben hatte ihm bisher Alles dar-
geboten, was cs wünschte. Cläre war die einzige
Tochter des reichen Gutsbesitzers von Mottau, und
sowohl ihre Eltern wie ihr nm einige Jahre älterer
Bruder Heino wetteiferten, ihr das Leben leicht
und angenehm zu machen.
Fast täglich suchte sie diesen Teich in dem an
den Park ihres Vaters grenzenden Walde auf. An
dein Ufer desselben lag ein leichter Kahn, in dem
sie häufig auf dem klaren Wasser sich schaukelte.
Sie betrachtete diesen Platz als ein ihr stillschweigend
cingcräumtes Eigenthum und ließ sich nur ungeru
an ihn: durch irgend Jemand stören.
Unwillig wandte sic den Kopf zur Seite, als sie
leichte Tritte hinter sich vernahm; ihre Züge glätteten
sich indeß rasch, als sie einen jungen Mann, der kaum
noch zwei Schritte von ihr entfernt war, erblickte.
„Ich störe Dich?" fragte der Heraugetretene.
„Natürlich!" crwiedcrte Cläre halb scherzend.
„Nun Dn indeß einmal hier bist, laß Dich nieder."
Sie deutete auf einen Platz auf dem Moose
an ihrer Seite.
Schweigend ließ der junge Mann sich nieder.
Er mochte kaum einige zwanzig Jahre zählen,
eine kaum nüttelgroße, fast zierliche Gestalt. Sein
Gesicht war bleich, seine Wangen waren eingefal-
len, cs machte den Eindruck eines Kranken, obschon
er nie krank gewesen war. Seine Züge waren
regelmäßig geformt, feine Lippen fein geschnitten.
Seine dunkeln Augen hatten einen außerordent-
lichen Glanz, allein gerade dieser Glanz gab ihnen
einen oft unheimlichen Ausdruck. Er verküudete
eiu Feuer, welches halb im Verborgenen, aber um
so glühender in dem Innern des jungen Mannes
brannte, ein Feuer, welches ihn selbst zu verzehren
schien, welches aber auch vernichtend auf Andere
wirken mußte, wenn es einmal entfesselt losbrach.
Hugo v. Mottau war Cläre's Vetter. Er lebte
schon seit längerer Zeit auf den: Gute ihres Vaters,
da fein Vater, ein hochgestellter Beamter, gestorben
war und feinem einzigen Sohne nichts hinterlassen
hatte. Bereitwillig hatte Cläre's Vater sich feines
Neffen angenommen und denselben bewogen, auf
seinem Gute zunächst seine Gesundheit zu kräftigen.
Länger als ein Jahr befand sich Hugo nun
bereits in dem Hause feines Onkels und Niemand
dachte daran, daß er dasselbe je wieder verlassen
könne, so sehr hatten sich Alle an ihn gewöhnt und
so sehr hatte er sich selbst in die Verhältnisse hin-
eingelebt. Er war still uud bescheiden, und daß
er immer etwas verschlossen blieb, hielten Alle mehr
für eine Folge seines kränklichen Zustandes, ob-
schon er über diesen nie klagte.
Am meisten würde der Herr v. Mottau Hugo's
Scheiden bedauert haben, denn er erblickte in ihm
den trefflichsten Gefährten für seinen Sohn. Heino
war einige Jahre jünger als fein Vetter. Er
konnte durch Hugo's überwiegende Kenntnisse nur
gewinnen uud auch auf seinen jugendlich ungestümen
und oft übermüthigen Charakter konnte der ruhigere
ältere Freund nur wohlthueud einwirken.
Hugo uud Heinrich vertrugen sich vortrefflich.
Fast alle Vergnügungen und Beschäftigungen teil-
ten sie mit einander, und ließ Heino sich wirklich
einmal zu einer übermüthigen, unbesonnenen Hand-
lung hinreißen, so wurde dieselbe durch seinen offe-
nen und gutmüthigen Charakter doppelt wieder
ausgewogen. Er hing mit treuer Freundschaft an
Hugo, selbst wenn er ihn im Scherz öfter verletzte.
Hugo ertrug dies meist schweigend uud lächelnd.
Ein Gefühl der Befangenheit hatte Hugo er-
faßt, als er allein neben dem lieblichen Mädchen
saß. Seine Hand zupfte an dem Moose neben ihm.
„Nun, Vetter," brach Cläre das Schweigen,
„weshalb bist Du gekommen, wenn Du mich nicht
unterhalten willst? Wäre der Kahn für zwei Men-
schen groß genug, so würde ich Dich zu einer
Fahrt auf dem Teiche entladen."

„Nein, bleib' hier!" entgegnete Hugo fast
hastig. Seine bleichen Wangen hatten sich leicht
gcröthct, seine Hände zerrissen das Moos, welches
er ausgezupft.
„Schone meinen natürlichen Teppich!" bat
Cläre lächelnd.
Hugo hörte diese Worte kaum.
„Cläre, ich bin hierher gekommen, um mit Dir
zu sprechen," entgegnete er. „Schon seit Wochen —
seit Monden war es mein Entschluß — ich habe cs
nicht gethan — endlich muß es geschehen."
Cläre entging das leise Beben seiner Stimme,
nicht die leiseste Ahnung seines Vorhabens stieg
in ihr auf.
„Deshalb bist Du hierher gekommen?" warf sie
ein. „Wir sehen uns ja täglich mindestens zehnmal."
„Ich muß Dich allein sprechen," fuhr Hugo
immer erregter fort. „Ich habe mit mir gekämpft
— ich ertrage es nicht länger, denn dieser Kampf
würde mich verzehren! Cläre, ich liebe Dich, seit
dem ersten Tage, an dem ich Dich wiedersah —
ich liebe Dich glühend, heiß!"
Er hatte ihre Hand erfaßt und blickte sie mit
den dunkeln Augen fast verzehrend an.
Uebcrrascht, erschreckt entzog Cläre ihm die
Hand, dann lachte sie laut auf.
„Und das ist Alles, was Du mir zu sagen
hast!" rief sie. „Ich liebe Dich ja auch wie man
einen Vetter liebt und lieben muß."
Unwille zuckte durch Hugo's Auge.
„Du willst mich nicht verstehen!" rief er.
„Nicht die Liebe des Verwandten ist es, die in
meiner Brust glüht! Ich kann und will ohne Dich
nicht leben, ich will Dich erringen, Du mußt niein
werden, und sollte ich mein eigenes Leben dafür
hingeben müssen!"
Wieder hatte er ihre Hand ersaßt und preßte
sie an seine Lippen, und wieder entzog ihm Cläre
dieselbe. Ihrem Herzen war er nie mehr gewesen
als ein Verwandter, als ein Freund ihres Bru-
ders; sie begriff seine Leidenschaft nicht.
„Vetter, Du bist ein Narr!" rief sie. „Ich
würde glauben, Du wärest nut Heino in dem
Weinkeller gewesen, wenn ich nicht wüßte, wie
wenig Anziehungskraft der Wein für Dich besitzt.
Nun, sei vernünftig. Du bist zum Heirathen noch
viel zu jung und ich fühle nicht die geringste
Neigung dazu. -Es ist eine tolle Grille von Dir,
schlag' sie Dir aus dem Kopfe. Nun komm, wir
wollen einen Spaziergang machen, der wird Dein
Blut abkühlen."
Sie wollte sich erheben, gewaltsam hielt Hugo
sie zurück.
„Bleib', bleib'!" rief er leidenschaftlich. „Glaubst
Du mit eiuem Scherze mich nbweisen zu können?
Glaubst Du, deshalb habe ich seit Monden mit
mir gerungen und all' mein Hoffen auf diese ein-
zige Minute gesetzt? Cläre, ich bin kein Thor!
Gib mir Gewißheit! Sage, daß Du die Meinige
werden willst, und keinen Menschen der Erde will
ich mehr beneiden! Du mußt die Meinige werden!"
Cläre's Auge begegnete seinen: Blicke, die
Glnth desselben machte sie erzittern. Nie hatte sie
eine solche Leidenschaftlichkeit aus ihm leuchten sehen.
„Laß auch los!" rief sie geängstigt.
Er umschlang sie mit beiden Armei: und hielt
sic noch fester.
„Ein Thor, wein: ich Dich so leicht aufgäbe!
Mein ganzes Leben wird unr ein Ringen um Dich
sein!" rief er wie ein Berauschter. „Cläre, ich
will Dein Sklave werden, wenn Du die Meinige
wirst, nur gib mir Hoffnung. Sieh' — ehe ich Dich
ii: den Armen eines Andern wüßte, lieber möchte
ich Dich dort unten auf den: Grunde des Teiches
sehen — denn ohne Dich kann ich nicht leben!"
Die Leidenschaft hatte sein Gesicht verzerrt, seine
Augen hatten einen unheimlichen Ausdruck erhalten.
Cläre schreckte vor ihn: zurück, besaß indeß nicht die
Kraft, sich aus seinen Armen zu winden.
Eine kräftige Hand klopfte ihm in diesen: Augen¬

blicke aus die Schulter. Es war Heino, der Linier
ihm stand.
Hugo sprang empor. Sein ganzer Körper-
zitterte, die Lippen fest aufeinander gepreßt, die
Mgen halb geschlossen, blickte er den Freund an.
„Nun ist es genug mit der Thorheit!" sprach
Heino halb unwillig und halb lächelnd.
Hugo antwortete nicht.
Cläre eilte fort.
„Komm mit mir," fuhr Heino, eine jugend-
lich kräftige, frische Gestalt, fort. „Du hast Cläre
Deine Liebe gestanden, allein Du mußt selbst ein-
sehen, "daß Du damit eine Thorheit begangen.
Haha! Freund, Du bist nichts, und hast nichts,
womit willst Du eiue Frau ernähren? Du bist
zu klug, um nicht einzusehen, daß das Leben mit
einer Frau doppelt theuer ist!"
Er hatte eiuen scherzenden Ton angeschlagen,
um dadurch am schnellsten den Ernst des Augen-
blicks zu überwinden; als er indeß Hugo's finstern
Blick bemerkte, reichte er ihm die Hand dar und
fügte hinzu: „Ich wollte Dir nicht wehe thun.
Lieb ist es mir indeß, wenn mein Vater nichts
davon erfährt, denn ich befürchte, er faßte es
weniger harmlos auf. Nun komm. Du mußt
dies Alles vergeßen und darfst Clare nicht zum
zweiten Male solche Worte sagen."
Er legte die Hand in den Arm des Freundes
und zog ihn mit sich fort.
Hugo folgte ihm. Er bedurfte zwar noch
einiger Zeit, um sich zu fassen und sein heißes
Blut zu beruhigen, dann ging er auf Heino's Ge-
spräch ein. Nur der flüchtige Seitenblick, den er
dann und wann über feinen Begleiter hinschweifen
.ließ, verrieth, daß es noch heftig in ihm stürmte
und daß er die Störung des Augenblickes, auf den
er all feine Hoffnungen und Wünsche gebaut, uicht
vergessen hatte.
Langsam schritten sie durch den Wald und
traten in den Park ein. Hugo eilte in das alter-
thümliche und schloßartig erbaute Haus auf fein
Zimmer, Heino suchte die Schwester auf. Er traf
sie allein in einem Baumgange. Auf ihren Wangen
glühte noch die Erregung über Hugo's Geständ-
niß und die Heftigkeit seiner Leidenschaft.
„Cläre, ich suche Dich, um Dich zu bitten, den
Eltern über Hugo's Geständuiß nichts zu sagen,"
sprach er. „Der Vater würde die Sache ernster
nehmen, als sie genommen zu werden verdient."
„Ich hielt seine Worte anfangs für Scherz,"
entgegnete Cläre. „Nun ich weiß, daß er sie im
Ernste gesprochen, weiß ich kaum, wie ich ihm
unbefangen wieder entgegentreten kann."
„Nimm sein Geständnis; als die unbesonnene
That eines Kranken auf," warf Heino ein. „Der
Augenblick hat ihn hingerissen, ich glaube mich
verbürgen zu können, daß er sich Dir gegenüber
nie wieder vergeßen wird."
„Mich hat seine Leidenschaftlichkeit erschreckt
und abgestoßen," bemerkte Cläre. „Ich glaube,
wir alle haben ihn falsch beurtheilt. Es zehrt ein
Feuer in ihm, welches er nur mit Mühe bis jetzt
zurückgehalten. Glaubst Du, daß er im Stande
ist, dasselbe zu löschen? Es wird u:n so heftiger
emporlodern, je mehr er gezwungen ist, dasselbe
zu verbergen!"
Zweifelnd schüttelte Heino mit dem Kopfe.
„Ich kenne ihn besser wie Du und glaube zu
erratheu, was in ihm vorgeht," entgegnete er.
„Es ist das Gefühl, daß sein ganzes Leben cm
verfehltes ist, er besitzt viel Kenntnisse und doch
mangelt ihm die Kraft, sich eine selbstständige
Lebensstellung zu crriugen. Ich kann ihn: nicht
zürnen, wenn er den: Geschicke grollt, das durch
einen Zufall ihn: entzogen hat, was wir genießen.
Du weißt, daß sein Vater und unser Vater Zwil-
linge waren. Unser Vater erblickte, das Licht eine
halbe Stunde früher als der seinigc und wurde
als der ältere der alleinige Besitzer d:escs Gutes,
welches ein Lehngut ist. Sein Vater mußte als
 
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