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44

ich habe auch ein wenig Menschenkenntnis;. Nicht
wahr? der Herr Werder ist ein ganz tüchtiger,
zuverlässiger und ordentlicher Mensch?"
„Ja, das ist er, Gretchen, so weit ich ihn
bis jetzt kennen gelernt habe," versetzte der
Beamte. „Er besitzt bei großer Ausdauer und emi-
nentem Fleiße ein glückliches Auffassungsvermögen,
und wenn er so fortfährt, kann er's einmal weit
bringen. Das steht fest!"
„Und jedenfalls aus respektabler Familie?"
fragte die Mutter, eine hohe schlanke Dame mit
gewinnenden Gesichtszügen und von jener ruhigen
und bestimmten Gemüthsart, wie sie Frauen, die
eine langjährige glückliche Ehe geführt haben, im
reiferen Alter eigen zu sein Pflegt.
„Ich habe sein National vor einiger Zeit aus-
genommen. Sein Vater ist Kreisgerichtsrath in
Waldenburg, die Mutter eine geborene v. Sydow,
die Tochter eines Majors. Der junge Mann
hat das Gymnasium seiner Vaterstadt besucht und
besitzt das Zeugniß der Reife fiir Prima. Glänzende
Atteste über seine vollendete Schulbildung sind bei-
gefügt. Vermögen ist freilich nicht vorhanden,
und wenn der Herr Werder nach Verlauf seiner
drei Jahre im Kassenwesen angestellt werden sollte,
so würde es wegen der Kaution seine Schwierig-
keiten haben. Immerhin aber ist seine Zukunft
gesichert."
Gretchen erhob sich und begann mit der Ab-
räumung des Geschirres. Als sie mit den in ein-
ander klappernden Tellern das Zimmer verlassen
hatte, rückte Frau Hillmann ihrem Manne näher
und sagte in schmeichelndem Tone:
„Wie wär's, Hugo, wenn Du den Herrn
Werder auf nächsten Sonntag zu Tische bätest?"
Der Stationsvorsteher, welcher soeben seine
Pfeife in Braud gesetzt hatte, vergaß das Paffen
und schaute seine Frau mit ziemlich verdutztem Ge-
sicht an. „Ich begreife nicht, Anna, wie Du darauf
kommst?" sragte er.
„Sieh', lieber Hugo! Du mußt doch auch ein
Bischen über das Leben nachdenken und Dich
nicht so ganz und gar in Dein Amt vertiefen,"
fuhr Anna schmeichelnd fort. „Unser Gretchen wird
bald siebenzehn Jahre. Sie ist ein hübsches wohl-
erzogenes Mädchen, aber wir können ihr nur eine
knappe Aussteuer mitgeben, sonst nichts. Auf was
kann so eine Beamtentochter weiter rechnen, als
darauf, wieder einen Beamten zu bekommen? Wir
leben hier auf dem Bahnhofe Breitensee so abge-
schieden von aller Welt, daß an eine andere Parthie
gar nicht zu denken ist. Die Bauern im Dorf
heirathen unter sich und in eine solche Wirtschaft
paßt sie auch nicht hinein. Und aus der nächsten
größeren Stadt, die über zwei Meilen entfernt
ist, wird keiner hierherkommen, um sich eine
Beamtentochter zur Frau zu Halen."
„Es ist wirklich sonderbar," meinte der Stations-
vorsteher kopfschüttelnd, „auf was ihr Frauen nicht
gleich hinausdenkt. Verlobung und Hochzeit, das
ist das einzige Thema, um welches sich eure Weis-
heit dreht. Indessen — ich verkenne nicht, daß
etwas Wahres in dem liegt, was Du da sprichst,
und schaden kann es nicht, wenn man den jungen
Mann, der so allein in der Welt steht, ein wenig
unter elterliche Aufsicht nimmt. Wie gesagt, ich
werde den Herrn Werder einladen."
Damit mußte er wohl das Thema für erledigt
halten, denn er streckte sich behaglich auf dem
Sopha aus, um in Ruhe sein Nachmittagspfeifchen
zu verdampfen. Auch die Mutter schwieg, da
Gretchen soeben mit dem Kaffeegeschirr eintrat. —
Der junge Supernumerar machte große Augen,
als am nächsten Vormittage der Vorgesetzte au
ihn herantrat, vertraulich die Rechte aus seine
Schulter legte und ihn mit den Worten anredete:
„Ich wollte Ihnen schon längst sagen, lieber
Werder, daß wir uns Alle freuen würden, Sie
hin und wieder in unserer Familie zu sehen. Es
ist hier auf Bahnhof Breitensee eben sehr einsam

und still und man kann nichts Besseres thun, als
sich aneinander zu schließen, damit einem die Ein-
samkeit nicht allzusehr fühlbar wird."
„Ja, da haben Sie sehr Recht, Herr Stations-
vorsteher," erwiederte der Jüngling, der sich rasch
von seinem Erstaunen und der damit verbundenen
Befangenheit erholt hatte.
„Kommen Sie nächsten Sonntag Nachmittag
gegen ein Uhr ein wenig zu uns," fuhr Hillmann,
scheinbar äußerst absichtslos, in gemächlichem Tone
fort, „da haben Sie Zeit und wir Uebrigen auch."
(Er trat an sein Pult und öffnete mit der Scheere
einige eben eingetroffene Briefe.) „Ja, und was
ich noch sagen wollte, Sie brauchen gegen Liers
nichts darüber zu erwähnen. Es ist nicht nöthig,
daß der Mensch Alles erfährt."
Liers war nämlich auf wenige Minuten hinaus-
gegangen und Hillmann hatte die Abwesenheit des
Assistenten benützt, um den mit seiner Frau ver-
einbarten Plan einzuleiten.
„Herr Stationsvorsteher!" erwiederte der über-
glückliche Supernumerar, der sich unterdeß im Ge-
heimen einige Phrasen aus Mayer's Complimentir-
buch zusammengedrechselt hatte: „Ich bin sehr er-
freut über die unverdiente Ehre und sage Ihnen
für die gütige Einladung meinen Dank. Ich werde
mich stets dessen würdig zeigen und ... ja und . .."
„Schon gut!" unterbrach Hillmann den Stot-
ternden und blitzschnell senkte sich das Auge des
Letzteren auf seine Papiere nieder, denn soeben
ging die Thür auf und Liers trat in das Bureau.
Dem scharfen Auge des Stationsassistenten ent-
ging es trotz alledem nicht, daß sein Vorgesetzter mit
dem „Herrn Supernumerar" ein Gespräch geführt
hatte. Von einer leichten Unruhe über diese Wahr-
nehmung ergriffen, nahm er sich doch vor, seine
Aufmerksamkeit zu verdoppeln, um einem etwaigen
Zusammenwirken der Beiden gegen ihn bei Zeiten
auf die Spur zu kommen. Es ging ihm, wie
allen denen, welche kein ganz reines Gewissen
haben und somit überall Feinde wittern. Er
glaubte, daß er selbst der Gegenstand des ver-
mutheten Gespräches gewesen sei.
Unser junger Freund befand sich indessen in
einer leicht begreiflichen Aufregung. Er hatte mit
seinen zahlreichen Geschwistern daheim ein einfaches
streng bürgerliches Leben geführt. Seine Eltern
hatten kein großes Haus gemacht und Gesellschaften
weder gegeben noch besucht. Die Folge davon war
eine höchst einseitige Entwicklung seines äußeren
Wesens gewesen, und so kam es, daß die Ein-
ladung des ersten Beamten der Station zn einem
Besuche ihm etwas ganz Außerordentliches dünkte.
Nicht ohne einiges Herzklopfen sah er dem Heran-
nahen des verhängnißvollen Tages entgegen, und
sobald sein Dienst am Sonntage beendet war,
machte er sich au seine Toilette, auf die er für
diesmal größere Sorgfalt als je verwandte. Punkt
ein Uhr trat er geschniegelt und gebügelt in das
Wohnzimmer des Vorgesetzten, wo er zu seinem
Erstaunen sofort beim Eintreten die Bemerkung
machte, daß der Tisch gedeckt und mit Porzellan-
tellern, Glasbänkchen und silbernen Löffeln, Messern
und Gabeln in vollkommenster Symmetrie ge-
schmückt war.
„Ach, Sie sind pünktlich, wie ich es erwartete,
Herr Werder! Seien Sie uns willkommen!" be-
grüßte ihn der Stationsvorsteher, ihm die Hand
entgegen streckend! „Bitte, nehmen Sie Platz! nur
ungenirt auf dem Sopha dort. Sie werden heute
mit uns speisen!"
„Aber, Herr Stationsvorsteher!" stotterte der
junge Mann augenscheinlich verwirrt, „wie komme
ich zu der Ehre —"
„Ohne Umstände, lieber Werder! ganz ohne
Umstände, wenn ich bitten darf."
In der peinlichen Verlegenheit, welche die
angeborene Schüchternheit seines Naturells über
ihn heraufbeschwor, begann der jnnge Mann zn
stottern, daß er „des Essens wegen nicht gekommen

— so viel Umstände nicht nöthig. . . seinetwegen
wenigstens nicht . . . bald wieder gehen würde"
u. s. w. Allein Hillmann ließ ihn nicht aus-
sprechen. Er drückte seinen Gast lachend auf das
Sopha nieder und bat ihn, ganz so zu thun, als
ob er zu Hause sei.
In diesem Augenblicke trat Gretchen ein und
setzte die mit dampfender Suppe angefüllte Terrine
genau in die Mitte des Tisches, wobei sie Werder,
der sich mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung er-
hob, aus das Anmuthigste begrüßte. Die Augen
des jungen Mannes leuchteten unwillkürlich auf,
als sie an der schlanken zierlichen Gestalt nieder-
glitten. Gretchen hatte das schwarzseidene Kleid
angelegt, in welchem sie consirmirt worden war
und das ihr zum Entzücken gut stand. Ihr reiches
blondes Haar war mit einem schmalen Rosabande
durchflochten und legte sich in einer dicken glänzen-
den Flechte an den Hinterkopf. Die prächtige
goldene Brache, welche aus dem dunklen Seiden-
grunde schimmerte, verlieh ihr in den Augen des
bewundernden jungen Mannes einen Anstrich von
Vornehmheit und Würde, und unwillkürlich ge-
stand er sich, daß Margarethe Hillmann das
schönste Mädchen sei, das er jemals gesehen habe.
(Fortsetzung folgt.)

Kljarade.
Mich hat der Löwe,
Mich hat die Maus,
Der Bettler so gut als der König.
Bei Männern bleib' ich
Nur selten aus,
Bei Frauen find'st Du mich wenig.
Bald bin ich von Eisen,
Bald bin ich von Haar,
Bald vegetabilischen Stoffes,
Wie die Sage berichtet
„Von Feuersgluth" gar;
Nun räth'st Du mich leicht, ich hoff' es. V
Auflösung folgt im nächsten Heft.

Mkder-WtM
Wo«, (s


Wrieflialten.
' Sohn der Arbeit in Kassel. — Wir wer-
den mit Vergnügen bereit sein, denjenigen unserer Abon-
nenten, welche sich mit derartigen Anliegen direkt an uns
wenden, diejenigen Industriezweige oder Recepte nachzuweisen,
wodurch sich fleißige, redliche Arbeiter uud ihre Familien
in den Freistunden etwas verdienen können. Siegellack-
fabrikation ist, wie wir schon früher bemerkten, leicht und
lohnend, wenn man Absatzwege findet, aber diese sind bei
der großen Konkurrenz mit den Fabriken sehr schwer zu be-
kommen. — Der Gaudin'sche flüssige Leim ist ein seimiger
Kleister aus Dextrin und heißem Wasser gekocht und mit
etwas Salpetersäure versetzt, um die Schimmel- und Essig-
säurebildung zu verhindern. Er ist durch Versuche leicht
herzustellen und leicht verkäuflich. Da Ihr Freund Kunst-
tischler ist und ein solch großes Geschick für feinere Arbeiten
hat, so verweisen wir ihn auf die Zeitschrift „Der Dilettant"
(München, Mch uud Widmeyerl, wo eine Menge derartiger
Vorlagen zu feineren Schnitz-, Bildhauer-, Aussage- und
Ebenistcn-Arbeiten zu finden sind. Die Zeitschrift ist wahr-
scheinlich in den Bibliotheken der Gcwerbevereine vorräthig.
" Frau Clara W. in Basel. — Die gewünschten
Recepte und andere mehr für Haarölc, Pommaden, Zahn-
pulver und ähnliche Toiletteu-Bedürfnisse, deren Verfertigung
und Verkauf Ihnen einen kleinen Erwerb sichern würde,
finden Sic in Hirzel's „Toilettcnchemie'( (Leipzig, Weber)
und im „Vollkommenen Parfümeur" (Weimar, Voigt). Die
Darstellung van gutem Kölnischem Wasser im Großen ist
ohne gute große Destillir-Apparate übrigens kaum möglich.
RedäctioWDruckWVerlag von Hermann Schönlcin.

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