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864

lieben Schwabenlande zufliege, wo die treuesten
Freunde meiner Eltern, ich weiß es, die
Heimathlose herzlich willkommen heißen wer-
den. Ungeachtet dieser Sicherheit, mit welcher
ich ans Ihre Güte und Freundschaft zähle, ist
doch mein Herz sehr traurig und bedrückt,
nun ich im Begriffe stehe, von dem Boden
Abschied zu nehmen, wo Alle ruhen, dis ich
geliebt. Was sage ich: Alle? Ein Grab
fehlt, und eben heute drängt sich mir immer
auf's Neue wieder die Frage auf: wo mag
der geliebte Bruder seine Ruhestätte gesunden
haben? — — Wenn Richard doch noch
lebte! — O, Länder und Meere wollte ich
rastlos durchstreifen, den Verlorenen zu suchen,
gäbe der Himmel nur Einen Wink, der Licht
in dieses schaurige Dunkel brächte.
Doch ich will diese Gedanken jetzt nicht
weiter verfolgen, bald bin ich ja bei Ihnen
und darf in befreundete Herzen alles nieder-
legen, was mich bewegt.
Meine alte Zofe bringe ich, da Sie mei-
nem eigenen Wunsche hierin so freundlich ent-
gcgengekommen, mit mir; für ein kleines, aller-
liebstes Geschöpf aber, auf welches Ihre
Einladung sich nicht erstreckte, das zurückzu-
lassen mich jedoch sehr schwer aukäme, da es
Eva's Vermächtniß ist, bitte ich um huldvolle
Aufnahme. Ich stehe dafür gut, daß Fidel,
ein kleines Hündchen, sich sehr gesittet und
bescheiden zeigen und Ihre Guust sich im
Sturme gewinnen wird.
Die theure Frau Wolters, mir längst
keine Fremde mehr, nun endlich von Angesicht
sehen zu dürfen, freue ich mich unaussprechlich;
sie soll Nachsicht mit mir haben, denn ein klein
wenig unruhiges Blut rollt noch immer in
meinen Adern. Ihrem Sohne, dem „Weiber-
feind", wie Sie ihn nennen, biete ich die
Hand zu einer offenen, ehrlichen Fehde, sollte
er nicht vorziehen, mein brüderlicher Freund
zu sein.
Ihnen, theurer Herr, drücke ich voll Ehr-
furcht und Dankbarkeit die Hände. Ans frohes
Wiedersehen denn
Ihre
Florence Milten."
Der Kommerzienrath nahm seine Brille ab und
faltete den Bries zusammen, während Frau Wolters
eine Thräne im Auge zerdrückte und mit einem
Seufzer bemerkte:
„Das arme Kind! so jung, reich und schön
und doch verlassen wie nur Eine! — Ich hoffe,
sie gefällt sich bei uns, wenigstens soll sie eine
Mutter in mir finden."
„Daran zweifle ich keinen Augenblick, meine
Alte!" erwiederte der Gatte herzlich, indem er die
feine Hand seiner Frau in die seine schloß. „Es
wird Dir nicht schwer fallen, sie lieb zu gewinnen,
nicht nur, weil Florence der Liebe bedürftig,
sondern weil sie liebenswerth ist. Aber trifft sich's
nicht prächtig," fuhr er in heiterem Tone fort,
„heute Alles fix und fertig bis auf die Blumen,
die Christian morgen besorgt, und in schönster
Ruhe können wir der Ankunft des lieben Kindes
nun entgegen sehen. Und das sage ich Dir,
Mutter, ich verspreche mir manches Gute von der
Anwesenheit des lebhaften Mädchens; Florence
müßte sich ganz und gar verändert haben, wenn
nicht ein frischeres, bewegteres Leben in unser
nur zu stilles Haus mit ihr einzöge. Der Wild-
fang mit den fliegenden Locken, 'den ich zuletzt
sah, ist sie freilich nimmer, sie kann — ja warte
einmal — ihre Drei- oder Vierundzwanzige haben
und vieles Schwere ist seitdem über das junge
Herz gekommen; daß aber trotzdem ein gesundes,
heiteres Gemüth ihr geblieben, beweisen schon ihre
Briefe, im letzten namentlich die auf Max bezüg-
lichen Stellen."
„Du nimmst mir das Wort vom Munde,

David," fiel die Kommerzienräthin lebhaft ein.
„Auf Max, der einer anregenden Umgebung so
sehr bedarf, wird das liebenswürdige Mädchen
gewiß einen wohlthätigen Einfluß haben, wenn
er —"
„Ja, wenn er diesem Einfluß sich nicht zu
entziehen sucht, wie das so seine Art ist, wenn
junge Damen bei uns einsprechen. Weiß der
Kukuk, woher der Mensch diese Scheu vor dem
schönen Geschlechte hat — seine Patientinnen und
Dich, Mutter, natürlich ausgenommen. Aber horch,
ich glaube er kommt. Lassen wir ihn den Brief
lesen."
Im Vorzimmer ließen sich rasche Tritte hören,
die Thüre wurde geöffnet und Max Wolters, der
einzige Sohn des alten Paares, seit mehreren
Jahren praklicirender Arzt in der Stadt, erschien
auf der Schwelle.
Der junge Mann war von mittelgroßem, kräf-
tigem Wüchse; braune Locken und ein etwas lich-
ter Vollbart umrahmten ein ernstes aber offenes
Angesicht, das belebt von einem Paar blaugrauer,
klar und treu blickender Augen etwas ungemein
Anziehendes, Vertrauenerweckendes hatte und durch-
aus nicht aus ein für zärtliche Regungen un-
empfängliches Herz schließen ließ.
Beim Eintritt in das Zimmer reichte er dem
Vater die Hand, drückte einen sanften Kuß auf
die mütterliche Stirne und ließ sich ihr zur Seite
auf das Sopha niedersinken.
„Du scheinst ermüdet, Max! Warum aber auch
nach einem anstrengenden Tagewerk den weiten
Weg zu Fuß machen?" fragte die Mutter mit
einem Blicke auf die bestaubten Stiefel des Sohnes.
„Müde eben nicht, nur ein wenig erhitzt,
Mutter. Es war ein köstlicher Gang, sage ich
Dir, und man fühlt sich ww neugeboren so allein
mit sich und der Natur. Ich machte daher den
kleinen Umweg über den Berg, durchschweiste den
prächtigen Tannenwald, und ließ mir, ein wenig
ausruhend, einen frischenTrunk aus Deinem Brünne-
lein dort oben schmecken. Es läßt Dich grüßen
und schickt der einstigen „Jungfer Louise" das
Blümchen da. Dasselbe sei — so murmelte es
mir zu — aus deffelben Stelle erblüht, wo ihr
einst ein gewisser junger Herr ein gewisses Wört-
lein in's Ohr geflüstert, das ihre Wangen mit
einer ganzen Morgenröthe übergossen und —"
„Du Schalk! gehe hin und thue desgleichen,
anstatt Deine Mutter noch in ihren alter: Tagen
erröthen zu machen;" fiel der Kommerzienrath
scherzend ein, indem seine Gattin von dem Ver-
gißmeinnicht, welches aus der Brusttasche des
jungen Doktors in ihre Hand übergegangen, den
Blick zu dem aufmerksamen Sohn erhob und
sagte:
„Laß den Vater nur spötteln, Max! Während
Du an Deine Mutter dachtest, hat er Befehl ge-
geben, seine schönsten Blumen in das Zimmer einer
jungen Dame zu bringen."
„'S ist eben eine verkehrte Welt," lachte der
Kommerzienrath. „Da Du Deinem Vater die
Sorge, die ihm zukommt, abnimmst, so ist's nicht
mehr denn billig, daß ich Deine schweren Pflichten
auf mich nehme. Doch zu was Anderem: der aus
England erwartete Brief ist eingetroffen — in
wenigen Tagen wird Florence hier sein. Da lies!"
„Entschuldige Papa, ich muß wirklich uoth-
wendig meins Stiefel wechseln; Mutter hat sicher
bange für ihren geliebten Teppich, und die Haupt-
sache, daß nämlich Miß Milten bald eintrifft,
weiß ich ja nun schon."
Max hatte sich erhoben, der alte Herr jedoch
hieß ihn mit einem heiteren: „O, der Teppich da
hat schon mehr Staub geschluckt, und Nebendinge
haben mitunter auch ihre kleine Wichtigkeit!" wie-
der sitzen.
„Unsere junge Freundin," fuhr er in der-
selben Weise fort, „wird von einer zweiten Miß
begleitet werden — erschrick nicht, sie steht bereits

in für Dein Herz ungefährlichen Jahren — die
dem respektablen Geschlechte der Zofen, Kammer-
Jungfern oder -Kätzchen angehört, wie Du sie zu
benennen vorziehst."
„Das bedaure ich wirklich aufrichtig, Papa;
ich habe eine Antipathie vor Allem, was zum
Katzengeschlechte gehört," versetzte Max mit einem
Ernste, der die Gatten lächeln machte.
„O, es soll Dir in Deiner Antipathie auch
nicht an Gesellschaft fehlen: Miß Florence bringt
einen Hund mit, ein kleines, allerliebstes Thier,
wie sie sich ausdrückt."
„Immer ärger! so ein ewig belfernder, ver-
zogener Schooshund — ich kenne dergleichen von
meiner Praxis her — der Jedem an die Beine
fährt, welcher es wagt, der Gebieterin zu nahen,
ist mir in den Tod zuwider."
„Nun, Florence genießt, so viel ich weiß, einer
vortrefflichen Gesundheit, Du bist mithin der Noth-
wendigkeit, ihr gar zu nahe zu kommen, entho-
ben, und der artige „Fidel" — so nennt sich das
allerliebste Geschöpf — wird weder Deine Beine
noch Deine Stiefel gefährden!" meinte der offen-
bar in seine rosigste Laune gerathene Kommer-
zienrath.
„Da hast Du sehr recht, Papa," entgegnete
unser Doktor mit großer Ruhe. „Und da Miß
Milten ihre Wohnung oben hat, ich aber das
Parterre bewohne, so werde ich weder durch sie,
noch ihre Kammerkatze, noch durch den Schoss-
hund im Geringsten gestört werden."
„Wirst jedoch der armen Florence, die bei uns
für einige Zeit eine Heimath zu finden hofft, und
die der Theilnahme befreundeter Menschen in ihrer
vereinsamten Lage so bedürftig ist, mit all' der
zarten Rücksicht begegnen, wie sie es von dem
Sohne ihres alten Freundes erwarten darf; nicht,
lieber Max?" sagte jetzt die Mutter, indem sie
ihre Hand auf die kräftige Schulter des Sohnes
legte und ihm zärtlich in die klaren Augen
blickte.
„Gewiß, liebe Mutter, Du kannst Dich dar-
auf verlassen, ich werde Miß Milten alle Ehrer-
bietung und Höflichkeit erzeigen, die sie als Gast
unseres Hauses von mir erwarten kann," ent-
gegnete Jener, die mütterliche Hand an seine
Lippen ziehend.
„Nicht so, lieber Sohn," versetzte die Kom-
merzienräthin lächelnd. „Daß Du unserem jungen
Gaste gegenüber Dich als wohlerzogener, gebil-
deter Mann benehmen würdest, bezweifelte ich
ja keinen Augenblick; ich wünschte jedoch etwas
mehr: eine zwanglose, freundliche, ja, herzliche
Begegnung, die ihr zeigt, daß sie auch Dir als
ein erwünschter Zuwachs in unserem kleinen
Familienkreise aufrichtig willkommen ist."
„Ich verstehe Dich ganz gut, Mutter, wie,
Difis meinst," sagte der Doktor bedächtlich in den
üppigen Locken krauend; „Du möchtest, ich soll
den Liebenswürdigen gegenüber Deiner Englän-
derin machen, vergißest aber, daß Dein alter, blö-
der Sohn keinerlei Ucbung besitzt, junge Damen
zu unterhalten und den Angenehmen zu spielen.
— Was ich vermag," schloß er mit einem Seuf-
zer, „das soll geschehen, Dir zu lieb, Mütterchen.
Bist Du damit zufrieden?"
„Ich bin's, lieber Sohn! — Jetzt sollst Du
aber auch die neuen Zimmer sehen; Dein Vater
kann es kaum erwarten, bis er Deine Lobsprüche
über seinen guten Geschmack zu hören bekommt.
Nicht so, David?"
„Jst's nicht morgen noch Zeit? — meine
Stiefel!" entgegnete der wie es schien gar nicht
neugierige Sohn mit einer so kläglichen Miene,
daß der Kommerzienrath in ein herzliches Lachen
ansbrach.
„Ganz recht, Doktorchen," sagte der Alte, „ich
sehe, Du hast so viel Takt, cinzusehen, daß solche
— Ungeheuer nicht in die Gemächer einer Dame
gehören. Ich werde Dir, und zwar auf meine
 
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