Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
255

Kosten, em Paar so neumodischer Dingerchen ma-
chen lassen, die Dir im Nothfall auch als Spiegel
dienen können; die magst Du dann jedesmal an-
legen, wenn Du, um Miß Florence Deine „Ehr-
erbietung" zu bezeigen, ihre Gemächer betrittst."
2.
David Wolters und Georg Milten waren als
Söhne befreundeter Nachbarhäuser zusammen in
einer süddeutschen Stadt ausgewachsen und als
angehende Jünglinge hatten sie den Bund ewi-
ger Freundschaft geschloffen. Dieses gegenseitige,
in der Periode noch halb knabenhafter Schwär-
merei feierlich beschworene Gelöbniß sollte indeß,
trotz dem, daß bald eine weite Entfernung zwischen
die jungen Leute sich legte, gewissenhafter gehal-
ten werden, als es bei den meisten Bündnissen
dieser Art der Fall ist.
Beide widmeten sich dem Handelsstand. Georg,
welcher Verwandte in England hatte, suchte nach
beendigter Lehrzeit dort sein Glück zu machen,
während David in eines der bedeutenderen Bank-
geschäfte seiner Vaterstadt eintrat.
Die zu des Letztern völliger Ausbildung un-
ternommenen Reisen führten nach Verlauf einiger
Jahre die Freunde in England wieder zusammen,
und bei der abermaligen Trennung wurde ein
geregelter Briefwechsel verabredet, der dann auch
viele Jahre hindurch seinen ununterbrochenen Fort-
gang nahm, nnd jeder Entfremdung zwischen den
jungen Herzen vorbeugte.
. Wolters hatte seine Erkorene heimgeführt und
das väterliche Geschäft übernommen, Milten aber
mit der Hand einer Erbin ein solches in England
erhalten, als die Jugendfreunde — nun gereifte
Männer — sich wieder in die Arme schlossen:
Geng besuchte mit seiner Neuvermählten das
Vaterland. Eine Zeit noch regeren schriftlichen
Verkehrs — denn auch die jungen Frauen wech-
selten zuweilen Briefe — folgte diesem Wieder-
sehen, das für eine lange Reihe von Jahren das
letzte sein sollte.
Dem Kommerzienrath war von mehreren Kin-
dern nur ein Sohn, unser Doktor, am Leben ge-
blieben; Milten's besaßen außer dem Erstgeborenen
noch eine kleine Tochter.
Florence hatte das neunte, Richard sein drei-
undzwanzigstes Lebensjahr angetreten, als der
Kommerzienrath die Freunde in London mit einem
Besuche überraschte.
Einige Auszüge aus den Briefen, die er wäh-
rend seines Zusammenlebens mit denselben an
seine Frau schrieb, mögen, als auf spätere Ereig-
nisse vorbereitend, hier eine Stelle finden:
„Der Richard, sage ich Dir, meine liebe Alte
— ist ein Prachtexemplar von einem jungen Gent-
leman. Der Mensch hat eine Gestalt, die unse-
rem W. als Modell zu seinem Kriegsgott dienen
könnte, und leuchtendere Augen, die Einem or-
dentlich herzwarm machen, sah ich in meinem
Leben nicht. Dabei ist er der liebenswürdigste
junge Mann, den Du Dir denken kannst, voll
Frische und Heiterkeit, sein Benehmen so anmu-
thig, leicht und sicher und von einer Natürlichkeit,
die sich unsere gezierten Modeherrchen zum Muster
nehmen dürsten. Wäre ich eine junge Dame,
z. B. Eva — ja so: ich hab' Dir noch nicht ge-
sagt, daß Milten's eine neue Hausgenossin haben.
Es ist eine arme — will sagen sehr reiche Waise,
deren Vormund zu sein Georg das Glück hat.
„Ohne gerade schön zu sein, ist Eva doch eine
recht liebe holde Erscheinung, eines jener stillen,
anspruchslosen Wesen, die wohl nie ein Männer-
herz in Brand stecken, dafür aber jedes Herz
wohlthuend erwärmen, wenn man ihnen erst
näher gekommen ist.
„Aus einigen leisen Andeutungen meines Freun-
des möchte ich fast schließen, es sei sein Wunsch,
ans Eva und Richard ein Paar zu machen."

„Du willst mehr von Florence hören? Daß
sie eine reizende kleine Puppe ist, habe ich Dir
wiederholt geschrieben. Aber wie in aller Welt
komme ich zu dem albernen Vergleich: Florence
und eine — Puppe! eben so gut könnte ich von
mir als einem „Schmetterling" reden. Sieh, da
ist mir das rechte Wort mit einem Male in die
Feder gekommen: Schmetterling und Florence —
das paßt! Du mußt wissen: das geht nicht wie
anders Menschen einfach auf dem Boden, — ent-
weder hüpft's oder springt's; eines der zierlichsten
Füßchen schwebt beständig in den Lüsten, ist sie
nicht gezwungen stillzusitzen.
„Florence ist noch die reine Natur, dabei je-
doch ein sehr begabtes Kind. Den Pathen aus
dem „Schwabenland", von welch' Letzterem sie sich
ganz besondere Vorstellungen macht, seit ich ihr
einige unserer Sagen und Märchen auftischte, hat
sie schon herzlich lieb gewonnen, und war er ihr
in irgend etwas gefällig, hat er etwa Reifen mit
ihr geschlagen, einen Extrabissen für ihren Lieb-
ling und steten Begleiter, einen prächtigen New-
foundländer, ihr zugesteckt, so beut sie ihm mit
Grazie das Nosenmäulchen zum Kusse.
„An dem schönen Bruder hängt sie mit fast
leidenschaftlicher Innigkeit; er ist ihr der Inbegriff
alles dessen, was schön, gut und liebenswerth
heißt." — —
„Was unsere jungen Leutchen anlangt, so kann
ich nicht umhin, dann und wann meine kleinen
Bemerkungen zu machen. Richard scheint Eva
recht gut zu sein, e.r beschäftigt sich auch gerne
mit ihr, seit ihr anfänglich fast gar zu stilles, oft
träumerisches Wesen einer sanften Heiterkeit zu
weichen beginnt. Das ist aber auch Alles! Ich
wollte dafür gut sagen, daß ihm überhaupt jene
tieferen Gefühle bis jetzt fremd geblieben sind.
Liebt der einmal, so ist's kein gelindes Feuerchen,
nein! dann werden dis Flammen zum Dache her-
ausschlagen, und von Löschen wird keine Rede
mehr sein können; daß aber Eva mir nicht ge-
macht scheint, eine glühende Leidenschaft einzuslößeu,
glaube ich früher schon bemerkt zu haben.
„Für ihre Ruhe möchte ich gleichwohl nicht
gutstehen, — wie gesagt, ich mache meine kleinen
Wahrnehmungen, wie z. B., daß sie zuweilen gar
lieblich erröthet, wenn sich gewisse Schritte im
Vorzimmer hören lassen, daß ihre sanften Augen
ordentlich strahlen, wenn er nach längerer Abwesen-
heit zur Thüre hereintritt. Gott schütze das arme
Kind!"-
Wolters war abgereist; den Abschied von den
Freunden, welche seinem Herzen während eines
Zusammenlebens von mehr denn zwei Monaten
wo möglich noch theurer geworden, hatte die frohe
Ueberzeugung ihm erleichtert: daß, soweit das
Scepter Ihrer britischen Majestät reiche, keine glück-
lichere Familie zu finden sei, als diejenige, welche
zu verlaßen er im Begriffe stand.
Nach dieser Unterbrechung wurde der Brief-
wechsel zwischen den fernen Freunden wieder aus-
genommen; was Milten im Laufe zweier Jahre
über seine Familienangelegenheiten schrieb, sei, so
weit es zum Verständnisse der weiteren Begeben-
heiten dient, in Kürze hier erzählt: Ties und innig
loderte die reine Flamme in Eva's Herzen, ohne
daß Richard Milten auch nur eine Ahnung davon
gehabt hätte, vielleicht eben deshalb, weil es von
seiner Seite nur brüderliches Wohlwollen war,
was er für die junge Hausgenossin empfand. Die
Mutter aber sah schärfer, und je sicherer sie ward,
daß sie in ihren Vermuthungen sich nicht getäuscht,
um so mehr Raum gewann in ihrem Herzen der
Wunsch: Richard möchte ihr Eva als Tochter zu-
führen.
Daß der Vater längst im Stillen sich mit
demselben Gedanken getragen, hatte vielleicht nur
der Freund errathen; jetzt aber sprachen die Gatten
sich gegenseitig über ihre Wahrnehmungen und
Hoffnungen aus; Richard erhielt Winke: wie glück-

lich die Eltern sich fühlen würden, Eva durch ihn
zur Tochter zu gewinnen; ja, die Mutter ließ ihn
ahnen, daß er des jungen Mädchens Neigung be-
reits besitze und der Frieden dieses schönen, sanf-
ten Herzens vielleicht für immer gestört würde,
entscheide sich ihr Schicksal nicht in Bälde, entweder
durch ihre Entfernung aus dem Hause, das ihr
eine Heimath geworden, oder dadurch, daß seine
Hand sie noch fester an dieselbe seßle. So ward
Richard Eva's Verlobter.
(Fortsetzung folgt.)

CdMrd Lasker-
(Siehe das Bild auf Seite 258.)
Sind es auch gegenwärtig hauptsächlich die Männer
des Kriegs, welche unsere Aufmerksamkeit in Anspruch
nehmen, so dürfen wir doch auch Derer nicht ver-
gessen, die als die Erwählten ihres Volkes berufen
sind, auf dem friedlicheren Wege der Gesetzgebung
zu einer gründlichen Verwerthung der in den blutigen
Kämpfen errungenen Früchte mitzuhelfen. Wenn wir
das Verfassungsleben der letzten Jahre in Preußen
und dem Norddeutschen Bund durchlaufen, so stößt
unserem Blick immer wieder der Name Laskers auf,
der im Jahre 1865 als Vertreter des vierten Berliner-
Wahlbezirks zuerst in das Abgeordnetenhaus gewählt,
auf den Bänken der Fortschrittspartei damals rasch
eine hervorragende Stelle einnahm, weil die unge-
meine Schlagfertigkeit seiner Rede, die Schärfe seiner
Logik, seine Gewandtheit in Führung der Debatte
ihn vor Vielen auszeichneten.
Lasker wurde im Jahre 1829 zu Berlin geboren
und studirte von 1847—1851 in Breslau und in
Berlin zunächst Mathematik, später die Juristerei,
zwei Wissenschaften, vorzugsweise geeignet, den Geist
zu schärfen, ihn in die strenge Bahn logischen Denkens
zu führen und andererseits die Jünger derselben prak-
tisch in die schwierige Kunst der freien Rede einzu-
führen. Nach Absolvirung seiner Studien ging Lasker
als Auskultator (Zuhörer) an das Berliner Stadt-
gericht, ward hier nach einiger Zeit Referendär und
trat dann zu seiner allgemeinen Ausbildung Reisen
in's Ausland an. Im Jahre 1856 in den preußischen
Staatsdienst zurückgekehrt, wurde er zwei Jahre *
später Assessor am Berliner Stadtgericht. Nach seiner-
ganzen Richtung entschieden liberal, schloß er sich bei
seiner nunmehrigen Wahl in das Abgeordnetenhaus
der Opposition gegen das Ministerium Bismarck mit
Energie an und stellte im Februar 1866, als die
ersten Sturmvögel des zwischen Oesterreich und Preußen
sich entladenden Gewitters heraufzogen, den bekannten
Antrag zur Einsetzung einer Kommission behufs
Prüfung des von der Regierung mit der Köln-Mindener
Eisenbahngesellschaft abgeschlossenen Kontraktes, nach
welch letzterem reichliche Gelder, die Preußen zur Kriegs-
führung brauchte, für die Staatskasse flüssig gemacht
wurden. Die großen Ereignisse des darauf folgen-
den Krieges ließen Lasker auf die Seite derjenigen
Fraktion aus der Fortschrittspartei treten, die auf
dem Bo.den der nationalen Politik eine aufrichtige
Aussöhnung mit der Regierung suchte. Hierauf in
den Norddeutschen Reichstag gewählt, Letheiligte sich
Lasker in hervorragender Weise an der Verfassungs-
arbeit, sowie an der nun beginnenden gesetzgeberischen
Thätigkeit im Norddeutschen Bunde. Eine Anzahl sehr-
wichtiger Reformen sind der Initiative Laskers zu
verdanken, z. B. über das Verfahren bei Verfassungs-
änderungen, über die Straflosigkeit wahrheitsgetreuer
Berichte der Versammlungen, ferner das Gesetz be-
treffend die Aufhebung der wirthschaftlich nicht zu
rechtfertigenden Zinsbeschränkungen. Als hohes Ver-
dienst muß es ihm ferner angerechnet werden, daß
er seinem Kollegen Twesten, den der Justizminister
Graf zur Lippe wegen seiner vernichtenden Kritik über
die damalige preußische Justizverwaltung verfolgen
und maßregeln ließ, so kräftig zur Seite stand und
im Abgeordnetenhause einen Antrag zum Schutz der
Redefreiheit durchsetzte, der später auch im Nord-
deutschen Reichsrathe in Anregung kam. Im Sommer
des Jahres 1870, als der Krieg mit Frankreich ent-
brannt war, bereiste Lasker in Gemeinschaft mehrerer
Gesinnungsgenossen die süddeutschen Staaten, um die -
nationalen Elemente zu erneuerter Thätigkeit Behufs
des deutschen Einigungswerkes anzuspornen. A. P.
 
Annotationen