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435

„Ja wohl; wäre es dies nicht?"
„Bis jetzt allerdings."
„Dann hoffst Du also es noch zu entwirren?"
„Ja, das hoffe ich zuversichtlich, denn ich bin
zugleich fest überzeugt, daß das Geheimniß von
Edward Alroyd's Ermordung hiermit in Zusam-
menhang steht."
„Ich kann mir aber nicht denken, wie das
der Fall sein sollte," entgegnete Bickley.
„Mit der Zeit wirst Du es schon sehen."
„Und beabsichtigst Du unvermählt zu bleiben,
bis das Geheimniß gelöst ist?"
Ja."
„Das ist Dein fester Entschluß?"
"Ja." . ,
„Wie aber, wenn Du nun die Wahrheit nim-
mer mehr entdecktest?"
„O, das werde ich schon."
„Wir wollen blos den Fall annehmen, daß
Du Dein Ziel nicht erreichtest, wie dann?"
„Eine solche Voraussetzung ist völlig über-
flüssig," entgegnete Grantham. „Ich bin fest über-
zeugt, daß ich, ehe ich sterbe, Edward Alroyd's
Mörder Auge in Auge gegenüberstehen werde. Ich
werde ihn dem Henker überantworten, und dann
erst kann ich daran denken, ruhig zu schlafen."
„Nimm aber blos um des Arguments willen
einmal an, daß Du Deinen Zweck nicht erreichtest,"
begann Theophilus Bickley hartnäckig wieder.
„Nun, was wäre dann?"
„Würdest Du unvermählt sterben?"
„Ja, das würde ich."
Grantham sagte das im Tone des vollsten
Ernstes und Bickley setzte dann, seinen gewohnten
leichtfertigen Ton verlaßend, nut ebenso unver-
kennbarem Ausdruck des Ernstes hinzu:
„Dann will ich Dir etwas sagen, Grantham.
Wenn dies Dein Entschluß ist, so ist er in Bezug
auf Dich selbst ein sehr lhörichter, in Bezug auf
eine andere dabei in Frage kommende Person aber
mehr als thöricht."
„Wen meinst Du?"
„Kannst Du es nicht errathen?"
„Nein."
„Nun, dann will ich deutlicher sprechen," sagte
Theophilus Bickley immer noch ernst. „Mit einem
Worte denn, ich meine Lady Mildred Colvyl."
„Wie kann ich mich aber in der Weise, wie
wir eben besprochen, eines Unrechts gegen sie
schuldig machen?" fragte Grantham.
„Liebst Du sie nicht?"
„Ja."
„Liebt sie Dich nicht?"
„Das weiß ich nicht."
„Nein, nein, Grantham, Du würdest Dich
selbst täuschen; Du wirst mir doch nicht sagen
wollen, daß Du allein von einer Thatsache nicht
unterrichtet seiest, welche alle Welt kennt? Mir
hat es Niemand zu sagen gebraucht und ich traue
mir gleichwohl in dergleichen Dingen keinen großen
Scharfsinn zu. Daß Lady Mildred Colvyl Dich
aufrichtig liebt, davon bin ich in meinem Herzen
fast überzeugt. Liebt sie Dich nicht, so hast Du
viel Mühe umsonst aufgewendet."
„Wie so?"
„Du hast es Dir sehr angelegen sein lasten,
sie zu gewinnen."
„Woher weißt Du das?"
„Es hat, wie ich schon eben andeutete, dazu
von meiner Seite keines großen Aufwandes von
Scharfsinn bedurft. Alle Welt weiß es, frage
Dich nun einmal selbst, ob Du Dich in dieser
Angelegenheit so benommen hast, wie man es von
einem Gentleman erwartet? Zürne mir nicht,
Grantham, denn Du weißt, daß ich Dich um
Alles in der Welt willen nicht beleidigen, und
eben so wenig einem Anderen gestatten würde,
dies zu thun. Dennoch aber bin ich entschlossen,
daß Du die Wahrheit hören sollst, wie wenig sie
Dir auch zusagen möge."

„Nun, so sprich Dich aus," sagte Grantham
etwas mürrisch.
„Antworte mir," hob Bickley an, „hast Du
Dich in Uebereinstimmung mit deinen Begriffen
von Ehre benommen, wenn Du Dich um diese
Dame mit so unverkennbarem Erfolge beworben
hast, blos um ihr dann wieder den Rücken zu
kehren?"
„Du scheinst ihr mit großem Eifer das Wort
zu reden."
„Das habe ich stets gethan."
„Du wirst mir erlauben, dies in Abrede zu
stellen. Ehe eine Annäherung zwischen Lady
Mildred und mir stattfand, sprachst Du Dich,
wie ich mich ganz bestimmt erinnere, mehr als
einmal in etwas geringschätzender Weise über
sie aus."
„Da irrst Du Dich, Grantham," entgegnete
Bickley. „Ich sagte blos, daß ich mich in Lady
Mildred's Gegenwart eines eigenthümlichen Ge-
fühls nicht erwehren könnte."
„Nun, was wolltest Dn damit anders sagen,
als daß sie Dir Abneigung einflößte?"
„O nein, ganz gewiß nicht. Ich will es Dir
sagen. Damals wollte ich nichts davon gegen
Dich erwähnen, jetzt aber will ich Dir sagen, was
ich meinte."
„Nuri, so thue es."
„Ich bildete mir damals ein, Lady Mildred
habe Ähnlichkeit mit — mit — Du wirst aber
lachen."
„Immerhin! Mache mir dieses Vergnügen."
„Mit der Dame, welcher ich in Little Peter
Street in der Nacht begegnete, wo der arme Alroyd
ermordet ward — ich meine mit der, welche das
Messer verlor."
Grantham schauderte.
Er schüttelte aber- das unangenehme Gefühl
mit Selbstüberwindung von sich und lächelte über
Bickley's Worte.
„Siehst Du," fuhr dieser fort, „ich sagte Dir
gleich, daß Du über mich lacken würdest und ich
finde es auch ganz in der Ordnung. Ich habe
schon selbst über mich gelacht und mich nur auf
diese Weise der ungereimten Idee entschlagen
können, mit welcher ich mich so lange herumge-
tragen."
Grantham blickte verwundert empor.
„Von welcher Idee sprichst Du?" fragte er.
„Nun, daß sie dieselbe Person sei."
Grantham hätte durch Bickley's Worte bei-
nahe auf diese Erklärung vorbereitet sein sollen;
dennoch aber sprang er, als er dieselbe vernahm,
wie elektrisirt von seinem Stuhle empor.
„Was?" rief er.
Biley nickte.
„Es ist Thatsache," sagte er.
„Mein guter Bickley, ich glaube, Du phan-
tasirst ein wenig," hob Grantham wieder an
und betrachtete seinen Freund mit aufrichtig be-
sorgter Miene.
„Warte ein wenig, Grantham," entgegnete
Bickley. „Entsinnst Du Dich noch des ersten Ta-
ges, wo Du Lady Mildred sahst?"
„Ja. Du stelltest mich in Harley Street
ihr vor."
„War dies wirklich das erste Mal?"
„Ja."
„Denke noch einmal nach."
„Ah, Du meinst in Hyde Park! Ja, das weiß
ich auch noch recht wohl."
„Entsinnst Du Dich, wie ich bei ihrem Am
blick betroffen war?"
„Ja, Du erschrakst förmlich; ich kenne aber
Dein weiches, jedem Eindruck zugängliches Gemüth,
wenn eine Dame im Spiele ist, und ich glaubte,
es wäre einfach die Schönheit der stolzen Ama-
zone, was einen so auffallenden Eindruck auf Dich
machte."
„Nein, der Grund war, daß ich an ihr eine

Geberde, einen Ausdruck bemerkte, den ich vorher
nur ein einziges Mal gesehen."
„Und zwar —"
„Und zwar an der Dame, von welcher wir
schon so oft gesprochen haben."
Es trat ein Schweigen ein, welches mehrere
Minuten dauerte.
Dann blickte Bickley auf und begann wieder:
„Dies gehört jedoch Alles, im Grunde ge-
nommen, nicht hierher, Grantham. Du bist mit
Lady Mildred so weit gekommen, daß Dir als
Mann von Ehre nur ein Weg offen bleibt."
„Und was ist das für einer?"
„Du mußt sie heirathen."
„Aber wann?"
„Sofort, oder Du mußt ihr gänzlich entsagen.
Wenn Deine Liebe zu ihr wirklich uicht innig
genug ist, so sag' es ihr rund heraus, aber laß
sie nicht in Unbekanntschaft mit Deinen wahren
Gesinnungen."
Grantham schwieg.
Bickley's Worte blieben jedoch nicht ohne
Einfluß auf ihn.
Es ist in der Regel nicht schwer, einen Men-
schen Zn dem zu überreden, wozu seine eigene
Neigung ihn treibt, und trotz des übereilten Ver-
sprechens, welches Grantham sich selbst gegeben,
dachte er im Hinblick auf seine wiederholten
mißglückten Versuche, zur Lösung des großen Ge-
heimnisses zu gelangen, doch, daß er seine Ver-
mählung auf eine allzu unbestimmte Zeit hinaus-
schiebe.
Nach einer Weile sagte er:
„Ich will mir das, was Du gesagt, über-
legen, Bickley; für den Augenblick aber bin ich
in Verlegenheit. Was soll ich in Bezug auf
Louise thun?"
„Von dieser sprich nicht."
„Und wie steht's mit dem großen Geheimniß?"
„Auch davon erwähne nichts. Es kann ja
nichts nützen, wenn Du Lady Mildred davon
unterrichtest. Wenn sie dis Fran ist, wofür ich
sie halte, so wird sie nie den Wunsch hegen, sich
um Deine Augelegenheiten zu bekümmern."
„Von der Existenz meines Pfleglings in Bou-
logne mußte ich sie aber doch unterrichten."
„Nun, dann vertraue Louisens Wohl doch
mir an! Kraft unserer Verwandtschaft ist die
Sorge für dieses Mädchen ohnehin mehr meine
Pflicht als die deinige."
lieber diesen Punkt ward man ohne langes
Hin- und Herreden einig.
„Apropos," sagte Grantham, „es ist nun
einige Zeit her, daß ich nichts von Louise gehört
habe. Ich muß einmal an sie schreiben."
Der Leser wird sich entsinnen, daß er seiner
Pflegetochter seine Adresse für Baden-Baden, der
Directrice des Pensionats dagegen nur seine Lon-
doner Adresse gegeben hatte, weil er geglaubt,
daß er schon längst wieder in London sein würde,
ehe Madame Deville Veranlassung hätte, an ihn
zu schreiben.
Er verlängerte seinen Aufenthalt in Baden-
Baden, wie wir bereits bemerkt, jedoch so sehr,
daß schon seit vielen Wochen Briefe ihn in Jermyn
Street erwarteten.
Zwei dieser Briefe waren von Madame De-
ville und meldeten ihm, daß Louise Grantham
in räthselhafter Weise entführt worden, oder —
obschon dies von einem nur erst vierzehnjährigen
Mädchen kaum zu erwarten stehe — mit einem
gewissenlosen Abenteurer freiwillig entflohen fei.
Zwanzigstes Kapitel.
Doktor Wanglcr sammelt gute Nachrichten.
Eines Tages, als Doktor Wangler nach Baden-
Baden — er war nämlich mit einer Schnellig-
keit, die seine Gönner und Nebenbuhler in Er-
staunen setzte, reich geworden und hatte sich in
 
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