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546 <Z«»-

— ich meine die Wirthin — am Rocke gepackt, hat.
,bst, bst' gerufen und mich leise nach der Küche
ziehen wollen. Wie ich mich natürlich ein Bissel
spreize, mich nicht so mir nichts dir nichts fort-
schleppen lasten will, wer öffnet da die Thür vom
Speisezimmer?"
„War es etwa mein Spezialfreund, der dicke
Schubert?" fragte der Doktor lachend.
„Ja, aber Sie würden nicht lachen, wenn es
Ihnen wie mir ergangen wäre. — Was gibt es
da? ruft der Domänenrath und starrt mich mit
seinem weinrothen Gesichte recht kurios an. Mei-
ner Seel, das ist ja die Frau Schabacker, die
Wirthin des sauberen Doktors! schreit er in den
Speisesaal hinein. Meine Herren, kommen Sie
'mal heraus. — Und sie kamen alle und fuchtelten
mit den Armen und schrieen: Was ist das wieder
für ein Artikel, he? schrieen die Einen. Ein
Schandartikel, Communismus, Rebellion! riefen
die Anderen. Herein mit Ihnen, sagt der Domä-
nenrath, packt mich am Arme und will mich,
denken Sie nur, in den Speisesaal ziehen. Die
graue Gans aber hält mich am Rocke fest und
zieht mich nach der Küchenthür. Da sehen Sie
nur mein Kleid an. Hier können Sie deutlich
sehen, wie es mir ergangen ist. Das Alles
kommt von Ihren verwünschten Artikeln her!"
„Sage mir, Doktor, wird die Morgenzeitung
etwa schon am Abend ausgegeben?" fragte ich
besorgt.
„Nein, der Regel nach nicht, aber einige Exem-
plare werden für die Gasthäuser abgeholt," entgeg-
nete Steinmann. — „Um des Himmels willen,
Freund," fuhr er fort, „sieh mich nicht mit solcher
Leichenbittermiene an. Die ganze Geschichte ist
ja zum Kranklachen. Hahaha!"
„Sehen Sie, Herr Anwalt, so macht es unser
Doktor stets," bemerkte Frau Schabacker kopf-
schüttelnd. „Ich aber muß dann die Folgen aus-
baden."
„Weiter, weiter im Texte, Sie Blume einer
Hauswirthin!"
„Was weiter? Ich bin nicht die Frau, die
sich ruhig hin- und herziehen läßt. Wie die
Herren eben im besten Schreien sind — Com-
munismus, Rebellion, Staatsanwalt, mit Respekt
zu melden, und Zuchthaus! haben sie gerufen —
da faste ich mir ein Herz. Bist, baff, klitsch,
klatsch! Fort war ich."
„Hahaha! Hat der Domänenrath auch ein solch
schallendes Vergißmeinnicht von Ihnen erhalten?"
„Natürlich. Ja, lachen Sie nur! Aber darum
bitte ich Sie, daß Sie mir's gefälligst sagen, wenn
Sie wieder einen solchen Artikel geschrieben haben.
Dann mag Dieser oder Jener Ihr Abendesten
aus der grauen Gans holen." —
„Ja, sag' mir in aller Welt, College, was
ist das wieder für eine verzweifelte Geschichte?"
So mischte sich plötzlich eine andere Stimme in
unser Gespräch. Wir alle fuhren ein wenig er-
schrocken herum, denn wir hatten in unserer er-
klärlichen Aufregung den Frager nicht kommen hören.
„Wie? Du hier, göttlicher Hotzelmeyer?"
fragte dann Steinmann. „Was um des Himmels
willen führt Dich jetzt hierher?"
„Was sonst als die Sorge um Dich," ent-
gegnete der würdige Sitzredakteur, in dessen Ge-
sichte die gewaltige Nase heute im rosigsten Alpen-
glühen strahlte, während die großen, grünlich
funkelnden Brillengläser als glitzernde krystallcne
Bergseen gelten konnten.
„Die Sorge um mich?" fragte Steinmann
weiter. „Kommst Du auch etwa schon um des
berühmten Artikels willen?"
„Nun natürlich. Was ist es damit? Sag'
nur, was hast Du geschrieben?"
„Aber mein Gott, Du selbst hast ja meine
Arbeit kopirt und mußt also den Inhalt ebenso
gut kennen als ich."
M „Ah bah. Bin kein solcher Narr, mich um

eure Politik zu kümmern. Sie bekommt mir
nicht. Ich schreibe die Sachen ab, damit basta.
So kann ich zwar in Wahrheit sagen, daß ich sie
geschrieben habe, aber im Uebrigen kümmere ich
mich verzweifelt wenig um den Inhalt. Das ist
so meine Maxime! — Doktor und College, diesmal
läuft die Sache schief! Ich bin Dein Freund
und brumme gern für Dich, das weißt Du. Aber
fünfzehn Jahre Zuchthaus? Brr, das ist mir
zu viel — bei Gott, das thue ich nicht!"
„Mensch, wer redet denn von fünfzehn Jahren
Zuchthaus?"
„Nun, wer sonst, als der Polizeiwachtmeister.
Fünfzehn Jahre bekommt der Doktor, hat er ge-
sagt, als er unsere Morgenzeitung in der Traube
konfiszirte. Fünfzehn Jahre Zuchthaus, sagte er,
das ist das Mindeste."
„Wie? Was? Hat man die Zeitung schon
konfiszirt?" fragte ich tief erschrocken.
„Nun freilich."
„So erzählen Sie doch!"
„Was ist da zu erzählen? Ich saß in der
goldenen Traube, im Hinterstübchen, weißt Du,
und trank still meinen Schoppen. Es lag etwas
wie ein Gewitter in der Luft, denn die Vorder-
stube war übervoll. Aber auch dort war's zu-
nächst recht still; denn der Zeitungstiger hatte
unser Morgenblatt schon erwischt und jedes Kind
weiß, daß der eine erbeutete Zeitung nicht heraus-
gibt, ehe er sie vorne vom Datum bis hinten zu
der Redaklionsunterschrift Zeile für Zeile durch-
gelesen hat. Endlich aber, als er selbst das letzte
Inserat auswendig hersagen konnte und nun das
Blatt hinlegte, da brach der -Lärm los. Der
Schlossermeister Luppe nahm die Nummer auf
und las Deinen Artikel laut vor. Das war eine
Freude, ein Enthusiasmus. Die Leute riefen fast
bei jedem Satze ihr Hurrah, Hurrah, daß ich ins-
geheim meine Freude daran hatte. Auf einmal
aber änderte sich die Sache. Die Thüre ging auf
und säbelrasselnd trat der Polizeiwachtmeister ein."
„Nun schwiegen die edlen Seelen plötzlich wie
auf den Mund geschlagen," warf der Doktor ein.
„Nein, nicht Alle," entgegnete Hotzelmeyer.
„Meister Luppe zum Exempel, der sich vor dem
Teufel selbst nicht fürchtet, las noch eine Weile
ruhig weiter, bis ihm der Wachtmeister in das
Wort fiel.
„Ruhe im Namen des Gesetzes," brüllte der
Gewaltige.
„Was," schrie Luppe dagegen, „warum soll
ich nicht lesen?"
„Weil wir Sie dann ebenso auf Nummer
Sicher bringen müßten, wie diesen Lump, den
Doktor Steinmann," sagt der Wachtmeister, reißt
dem Meister frischweg das Blatt aus der Hand
und schlägt auf den Tisch, daß die Gläser klir-
ren. „Merkt Ihr denn gar nicht, daß hier der
pure Aufruhr und Hochverrath gepredigt wird?
Aber es ist gut so, ganz gut ist es. Diesmal
fasten wir den Burschen sicher, den wir schon
längst auf dem Korn haben." Und nun kamen
die denkwürdigen Worte: „Fünfzehn Jahre Zucht-
haus, das ist das Mindeste!"
„Aber," wirft eine schüchterne Stimme ein,
„redigüt denn nicht der dicke Hotzelmeyer-?"
„Hahaha," sachte der unverschämte Wachtmeister.
„Was? Hotzelmeyer politischer Redakteur? Eine
Bierzeitung könnte er allenfalls redigiren, wenn
er Witz genug hätte."
Schon will ich vorspringen, um wegen dieses
Tusch meine Satisfaktion zu fordern, als der
Wachtmeister fortfährt:
„Nun, gefaßt wird Hotzelmeyer auch, das ist
sicher. Mitgefangen, mitgehangen! Meine Colle-
ge» sind schon in der Druckerei-"
Wie?" rief Steinmann erschrocken. „Sagte
er wirklich, daß sie schon in der Druckerei seien ?"
„Ja, das sagte er," bestätigte Hotzelmeyer
seltsam ruhig.

„Um des Himmels willen, warum sagtest
Du das nicht sogleich?"
„Nun, man muß doch die Dinge in richtiges
Klimax erzählen, wie sie passirt sind. Genug,
ich sprang aus der Hinterstube fort, hinten durch
den Hof hinaus und trotz des Hundewetters
zu Dir. Meine letzte halbe Maas habe ich leider
ungetrunken stehen lasten mästen."
„So dürfen wir jeden Augenblick die An-
kunft der Häscher erwarten," bemerkte ich. „Osten-
bar ist diese ungewöhnliche Eile berechnet, Dich
zu überrumpeln. Triff also schnell Deine Maß-
regeln zur Flucht."
„Sie werden mich doch nicht sofort verhaf-
ten?" warf Steinmann ein. „Man muß NäH
doch zunächst hören, man muß — —"
Ein eiliger Schritt, der sich auf der Treppt
vernehmen ließ, schnitt dem Doktor die weitere
Rede ab. Gleich darauf stürzte ein junger Mau"
in das Zimmer.
Es war ein Setzer aus der Druckerei der
Morgenzeitung. Die treue Seele hatte sich,
die Polizei anrückte, in leichter Arbeitskleidung'
wie er eben war, aus dem Fenster der untereu
Etage hinausgeschwungen uud war dann im
zu dem geliebten Redakteur geeilt, um ihn
warnen.
„Fort, fort!" rief er, während er sich wie
nasser Pudel schüttelte. „Sie kommen schon.
habe den Polizeirath mit seinen Sbirren auf de
Jlsebrücke gesehen. Fort!"
„Fort?" lachte Steinmann verzweifelt; „d^
gehören, wie zum Kriege, drei Dinge: Geld,
und nochmals Geld! Ich habe im ganzen HE
jetzt keine fünf Gulden."
„Dafür laß Deine Freunde sorgen. Nur vor-
wärts!"
„Nein. — Wohin auch? Es gibt in
rika schon genug Redakteure, die ihre Arta
mit dem Revolver in der Hand schreiben und
mit Käse, Speck und Eiern honoriren lasten, -o"
will nicht fort."
„So ziehst Du das Leben in einem deutsch^
Zuchthause vor?" warf ich erzürnt über seine sto-
entschlostenheit ein.
Das wirkte. — Steinmann eilte nach
Kammer und kehrte ebenso rasch von dort zuru '
Auf dem Arme trug er ein Paket verschieden
Kleidungsstücke, in der Hand seine Stiefeln.
So ausgerüstet stand er bereits an der Stube
thüre, als auf der Straße der Tritt mehren
Männer sich vernehmen ließ. ..
„Himmel, sie kommen schon!" rief der Setz''
„Ist das Haus geschlossen?" fragte ich.
„I natürlich!" beruhigte die energischer)
Schabackcr; „denken Sie etwa, ich würde un
solchen Umständen die Herren sofort hererE
zieren lasten?" .. .
„Bravo, Frau Vorsicht! Nun lieber Do .
rasch — — Aber um des Himmels willen,
haben Sie gemacht?"
Der letzte Ausruf galt dem unseligen Hov^
meyer, der in seinem unbesonnenen Diensteifer
Lampe ausgelöscht hatte. So waren nur
plötzlich in egyptische Finsterniß gehüllt und r
ten wie mit Blindheit geschlagen gegen eina .
„Poch! poch! Holla! Oeffnen!" scha^
gleichzeitig von unten herauf. M
„Sie sind da. Hast Du etwa verfang
Papiere im Hause?" fragte ich. An
„Nein, ich glaube nicht. Oder doch.
Paket Briefe — Entwürfe —"
„Wo sind sie?" . § ick
„Ja, du lieber Himmel, wo? fo ?
das Päckchen hier in dieser Finstermß st
Wart'! Hier im Pulte im zweiten, nein,
dritten Kasten rechts — Gottlob, da st"
hier, Frau Schabacker..."
„Was soll ich mit den Papieren, Herr^'
„Verbergen, verbrennen, geschwind!"
 
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