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547

„Holla, holla!Oeffnen! Wird's bald?" schallte
die gebietende Stimme des Polizeiraths v. Müller
auf's Neue herauf.
„Verbrennen? Ohne Licht, ohne Feuer?"
entgegnete die Frau Schabacker auf den Vorschlag
des Doktors.
„So nehmen Sie ein Streichholz-"
„Ganz Recht, wenn man bei Ihrer Unord-
nung die Streichhölzchen nur am Tage finden
könnte! Und dann — —"
„Wollen Sie sofort öffnen oder soll ich das
Schloß aufbrechen lassen?" rief es wieder von unten.
„Mein Gott, ehe wir das Paket verbrannt
haben, sind diese legalen Einbrecher längst im
Hause. Was anfangen?"
„Ja, was fangen wir an?"
„Hinaus, zum Hinterfenster hinaus!" rief ich.
„Ganz Recht, im Hofe der grauen Gans sind
die Papiere sicher," bestätigte Steinmann.
„Nichts da!" protestirte Frau Schabacker sehr
energisch. „Ich kenne diese Herren von „haltefest".
Sie haben gewiß auch eine Wache im Hofe aus-
gestellt. Nein nein, das geht nicht. Halt, hier ist ein
Stück Bindfaden. Binden Sie das Paket daran
und hängen Sie es dann ganz still zum Fenster
hinaus."
„Bravo, Frau Schabacker. Sie sind vom
Geiste recht erleuchtet!"
„Schon gut. Jetzt muß ich aber hinunter-
laufen, Sie arbeiten wahrhaftig schon am Schlosse.
Nur vorsichtig!"
Die Wackere eilte aus dem Zimmer, um end-
lich die Hausthüre zu öffnen. Aber auch hierbei
zeigte sie noch ihr verschlagenes Gemüth, um mög-
lichst Zeit zu gewinnen. Zunächst hatte sie an-
geblich den Schlüssel vergessen, dann sollte er
wieder nicht passen. Endlich verlangte sie von den
draußen im Novemberregen ungeduldig harrenden
Polizeibeamten sogar die Vorzeigung der Legiti-
mation. Alle diese taktischen Kunstgriffe der
tapferen Frau Schabacker konnten indessen die
Uebergabe unserer Festung nur um wenige Augen-
blicke verschieben. Der Feind wurde immer drin-
gender, immer ungestümer. Jetzt drehte sich,
während die würdige Matrone noch immer
über die Bedingungen der Kapitulation zu ver-
handeln fortfuhr, bereits der Schlüssel im
Schlöffe und jetzt — —. Die schweren Tritte
und das Säbelklappern erschollen auf der Haus-
flur, gleich darauf auf der Treppe, endlich
auf dem Vorraume des Zimmers. Die Thüre
wurde ungestüm aufgerissen, in der Oeffnung er-
schien die imposante Figur des Polizeiraths v.
Müller und neben ihm ein laternentragender
Polizist, während die übrigen Mitglieder der Ex-
pedition draußen auf dem Vorsaale Posto faßten.
„Ah, wir finden hier ein ganzes Nest bei-
sammen," sprach der Polizeirath, nachdem sein
rascher Blick uns überflogen hatte. „Vortreff-
lich! Spazieren Sie nur auch herein, meine Ver-
ehrteste Frau Schabacker. Niemand verläßt das
Zimmer vor dem Ende der Haussuchung, welche
wir sofort vornehmen werden. Herr Kriminal-
rath Schatz folgt mir auf dem Fuße."
„Ich möchte gleichwohl bitten, mit mir eine
Ausnahme machen zu wollen," sprach ich vor-
tretend.
„Ach, Sie auch hier, Herr Obergecichtsau-
walt?" sprach der Polizeirath mit einem ver-
wunderten Blicke. „Welcher Unstern sührte Sie
heute Abend in dies Haus?"
„Steinmann ist mein Freund. Ich habe ihn
besucht und — —"
„Der Herr Doktor ist Ihr Freund?" entgeg-
nete der Herr Polizeirath kopfschüttelnd. „Sind
doch sonst nicht von dieser Farbe! Fatal für Sie.
Ich kann Sie wirklich nicht entlassen, es sei
denn-"
„Nun?" fragte ich gespannt. „Wollen Sie
mir die Bedingung mittheilen?"

und Ihren Diensteid
etwa dem Doktor gehörige Papiere,
sonstige Schriftstücke bei sich tragen?"
„Diese Versicherung gebe ich hiermit ab,"
entgegnete ich gelassen.
Das verhängnißvolle Päckchen schwebte ja
längst aus dem Kammerfenster heraus in Man-
neshöhe über dem Boden.
„So gehen Sie rasch, Herr Obergerichts-
anwalt, ehe Schatz kommt. Sie kennen ihn!
Adieu, adieu."
Ich wurde etwas formlos entlassen, aber ich
eilte gleichwohl, ohne mich bei unnöthigen Re-
flexionen aufzuhalten, die Treppe hinab über die
Hausflur und trat in's Freie. Brr, war dies ein
korrektes Novemberwetter! Wer konnte sagen, ob
die dichten Wassermassen, welche der rasende Wind
mir jeden Augenblick in das Gesicht schleuderte,
schneeige Regentropfen oder wässerige Schnee-
flocken waren. Also vorwärts, rasch vorwärts an
den im trüben Scheine der Gaslaternen unbe-
haglich dahinwogenden Fluthen der Gossen ent-
lang, dort hinüber nach der windigen Jlsebrücke
und dann nach Hause. Aber halt! rief ich mir
schon nach wenigen Schritten zu. Uebereilen wir
uns nicht trotz dieses Hundewetters! Darfst Du
den armen Doktor so im Stiche lassen? Wie nun,
wenn Du sofort nach der grauen Gans in der
Wasserstraße eiltest und das verhängnißvolle Päck-
chen noch heute rettetest? Morgen könnte es leicht
zu spät sein. Gesagt, gethan. Ich schwenkte
mich rasch auf dem Absätze herum und eilte nach
dem befreundeten Gasthause.
„Nicht da hinein, Herr Obergerichtsanwalt!"
flüsterte mir eine Stimme unter der Vorhalle zu.
„Kommen Sie rasch mit mir in die Küche!"
Es war die wohlbekannte behäbige ,graue Gansfi
d. h. die Frau Wirthin zur grauen Gans, welche
das Amt des Warners bei mir übernahm.
„Warum nicht?" fragte ich.
„Stille, um Gottes willen! Warum fragen
Sie? Weil Sie ein Freund des guten Doktors
Steinmann sind, weil da drinnen seine Feinde
zechen und weil draußen im Hofe ein Polizist
lauert. Ist Ihnen das genug?"
„Es ist genug!" entgegnete ich und ließ mich
von ihrer wohlmeinenden und wohlgenährten Hand
fügsam leiten.
„Wissen Sie schon, daß jetzt eben bei Ihrem
Freunde eine Haussuchung stattfindet?" flüsterte
sie mir weiter zu, als sich die Thür eines neben
der Küche belegenen traulichen Hinterstübchens sicher
hinter uns geschlossen halte. „Wissen Sie das?"
„Freilich weiß ich's," entgegnete ich. „Ich
war selbst bei meinem Freunde, als die Polizei
eintraf und eben deshalb komme ich jetzt hierher.
Es gilt — —"
„Etwa ein Päckchen Schriften zu retten?"
unterbrach mich die Wirthin.
Ich fuhr erschrocken zusammen.
„Woher wissen Sie-?" stammelte ich.
„Woher ich es weiß?" wiederholte die gute
Wirthin schlau lächelnd. „Hm, das ist ein selt-
sames Ding, Herr Obergerichtsanwalt. Sie wissen,
daß ich die Spürnasen nicht leiden mag, wohl aber
meinen guten Doktor Steinmann. Denken Sie
sich also meinen Aerger, als da plötzlich solch' ein
spitzöhriger Fuchs in mein Haus geschlichen
kommt und sich leise, ganz leise, in den Hof
schmiegen will. Halt, daraus wird nichts, denk'
ich. „Wer sind Sie und was wollen Sie hier?"
frage ich. „Hm, ich?" stotterte er. „Ich gehöre
zur Polizei, wie Sie sehen, meine geehrte Frau
Wirthin, und da nun soeben bei dem Doktor
Steinmann, dem Demokraten, eine Haussuchung
stattfindet, so"-„Wie? Was? Haussuchung?
bei Doktor Steinmann?" rufe ich. „Was geht
mich das an, und was wollen Sie auf meinem
Hofe?"— „Hm, ja," sagt er wieder, „es ist nur

welches aus der Stein-
mann'schen Wohnung auf Ihren Hof führen soll.
Dies soll ich überwachen." — Aha, denk' ich, gar
nicht übel angefangen! Den Plan hat gewiß
wieder einmal der Polizeirath v. Müller ausge-
heckt. Dabei werfe ich durch die Hosthüre einen
Blick nach dem Fenster und sehe zu meinem
Schrecken, daß- das bewußte Fettster gerade jetzt
leise geöffnet wird und daß ein Päckchen langsam
herabschwebt."
„Wie?" fiel ich der Wirthin erschrocken in
das Wort. „Das sahen Sie? Und was geschah
weiter?"
„Ja, das Ding wäre jetzt sicher in den Hän-
den der Polizei, wenn ich nicht für meinen guten
Doktor wie eine Mutter gesorgt hätte. Hat es
freilich nicht um die Klara verdient, nein, wahr-
haftig nicht! Aber einerlei, hier mußte geholfen
werden. Glücklicherweise ist das Fenster ganz in
der Hofecke und die Spürnase, welche die Oert-
lichkeit nicht so genau kannte als ich, hatte, Gott-
lob, bis jetzt nichts entdeckt. Also ich nehme dem
Herrn Polizisten gegenüber alle meine Höflichkeit
zusammen und nöthige den geehrten Herrn glück-
lich auf ein paar Minuten in die Küche, natür-
lich, um bei dem garstigen Wetter sich durch ein
Glas Punsch zu erwärmen. Er ließ sich zwar
nicht lauge halten, aber unterdessen hatte ich doch
schon das Päckchen aus diesem meinem Hinter-
fenster mit einem Stocke hereingeangelt und in
Sicherheit gebracht."
„Ach, Gottlob," rief ich, tief aufathmend.
„So ist das wenigstens gerettet. Und wo haben
Sie — ?"
„Da sind die Schriften," fuhr die gute Freun-
din Steinmanns fort, indem sie das verhängniß-
volle Paket hinter der Sophalehne hervorzog
und mir überreichte. „Nun trinken Sie geschwind
noch ein Glas Glühwein auf den Schrecken und
dann bringen Sie schnell das Päckchen bei sich in
Sicherheit."
Der praktische Rath der grauen Gans wurde
von mir in jeder Beziehung befolgt. Nur schien
mir jetzt die Eile nicht mehr so dringend geboten,
als vorher. Im Gegentheil war es vielleicht
besser, den Abzug der Polizeibesatzung abzuwarten.
Ich trank deshalb ein paar Gläser des köstlich
durchwärmenden Getränkes in aller Ruhe aus
und hörte dabei mit tiefinnerlichem, ein wenig
schadenfrohem Behagen von dem sicheren Hinter-
stübchen aus, wie der unglückliche Polizist draußen
auf dem Hofe durch den klatschenden Regen auf-
und ab, hin- und wieder marschirle. Endlich,
aber erst als der Unselige nach dem Schluffe der
Haussuchung von einem College« abgerufen war,
machte auch ich mich auf deu Weg, um so rasch
als möglich durch das Unwetter hindurch meine
Wohnung aufzusuchen.
(Fortsetzung folgt.)

vr. Karl Braun (von Wiesbaden).
(Siehe das Bild auf S. 545.)
Dem Zustandekommen unserer nationalen Eini-
gung und der Wiedererstehung des deutschen Reiches
hat ein Verein aufgeklärter freisinniger Männer, der
deutsche Nationalverein, welcher die freiheitliche Ent-
wickelung deutscher Nation auf dem Wege der Reform
suchte, schon seit einem Jahrzehnt vorgearbeitet. Man
kann sagen, daß im Nationalverein und in der na-
tionalliberalen Partei größtentheils die besten Köpfe
und die bravsten Herzen unseres Volks vertreten
waren, und wir erfüllen eine Pflicht nationaler Dank-
barkeit, indem wir einige dieser Männer unseren Lesern
Vorführer und zwar diesmal den vr. Karl Braun
von Wiesbaden, welcher in seiner engeren Heimath
Nassau schon seit Jahren als eines der Häupter der
freisinnigen Partei in der zweiten Kammer, im wei-
tern deutschen Vaterland aber als reger Förderer
des Nationalvcreins und aller auf freiheitliche Ent-
wickelung gerichteten volkswirthschaftlichen Bestrebungen

Hm, können Sie mir auf Ihr Ehrenwort s wegen eines Fensters,
versichern, daß Sie nicht
Briefe oder
 
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