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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 4
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Mackowsky, Hans: Ausstellung italienischer Kunst in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0130

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gegenüber gewiI3 behaupten wircl. Unter den auch hier zahlreich vorhandenen Bild-
nissen leuchtet Moronis »Mann in Rosa« (Bergamo, Conte Moroni) bedeutend hervor.
Einer ähnlich umfänglichen und die künstlerische Erscheinung im Gesamtcharalcter
umreißenden Berücksichtigung, wie sie Tizian und manche Meister nicht gleich hohen
Wuchses gefunden haben, erfreuen sich sonderbarerweise auf dieser Ausstellung weder
Tintoretto noch Paolo Ver'onese; aber es ist möglich, daß man aus Raummangel be-
fürchtete, des Guten zuviel zu bringen.

Zwei anschließende Räume VIII und IX breiten mit ungefälir 500 Nummern einen
unvergleichlichen Schatz von Handzeichnungen aus. Man kennt den Reichtum, dessen
sich England rühmen kann, und mit vollen Händen hat man ausgeteilt. Unter den
Privatsammlern erwies sich Henry Oppenheimer besonders freigiebig. Der Kontinent
ist nicht zuriickgeblieben, und Italien hat auch liier Kostbarstes gespendet. Hier wird es
völlig unmöglich, Einzelnes herauszuheben. Genug, daß vom 14. bis zum späten 16. Jahr-
hundert kein Meistername, keine Schule fehlt. Da zu gleicher Zeit das Britische Mu-
seum eine Sonderausstellung von seinen vorzüglichsten italienischen Handzeichnungen
veranstaltet hat, ist des Genusses, des Studiums kein Ende.

Beklagtwurde schon eine gewisseGleichgültigkeitundWillkür derWahl bei den Meistern
desBarocks(RaumX). Das dort sinkende Niveau hebt sich aber wieder bei der Darstellung
des 18. Jahrhunderts. Tiepolos Procurator Querini (Venedig, Querini-Stampalia), Cana-
letto unter anderem mit zweiLondonerStadtansichten(Duke of Richmond), zur Zeit seines
englischen Aufenthaltes 1 746 gemalt, Bellotto und Guardi nehmen hier das Hauptaugen-
merk in Anspruch. Selten hat man von Ghislandi ein farbig so delikates Bildnis gesehen
wie den jungen Mann in Gelbgrau mit russisch Grün (Bergamo, Contessa Marenzi), und
eine großeUberraschung beschertPompeo Battoni mit dem eleganten, in Weiß und Rosa
gekleideten, klassizistisch so wenig versteiftenThomas William Coke, ] 774 (Earl of Lei-
cester). Mit wenigen, aber gewählten Zeichnungen ldingt auch diese Zeitspanne aus.
Damit aber ist der Inhalt der Ausstellung noch nicht erschöpft. Die Bronzekleinplastik,
Majolikageschirr, Edelschmiedearbeiten, das Kunstglas, Elfenbeinkästchen, Proben der
illuminierten Buchkunst, — nichts hat man übersehen. Eine besondere Vitrine ent-
hält sogar zwei Serien von Tarocchi-Spielkarten, auf Goldgrund reicli illuminiert und
wahrscheinlich aus alterlauchtem Besitz von Filippo Maria Visconti.

Kaum traut man seinen Augen, erblickt man unter Tapisserien in der Mittelhalle die
beiden Davidstatuen von Donatello und von Verrocchio sowie den Apollo Michelangelos
feierlich in der Mitte. An der Wand ihm gegenüber ein so zerbrechliches Meisterstück
wie Berninis Marmorbüste Franz I. Este (Modena), und den allerdings sehr viel unbe-
deutenderen Domenico Dudo von A. Vittoria (Venedig); an einer anderen Schrägwand
Riccios Bronzerelief mit dem hl. Martin und die Grablegung aus den Carmini in Venedig,
mit deren Attribution an Francesco di Giorgio das letzte Wort noch nicht gesprochen
sein dürfte. Ein sehr ungleiches Paar hält die vierte Schrägseite: das absolut eindeutige
Relief »Augustus und die Sibylle« von Agostino di Duccio (Mailand, Archäologisches
Museum) und ein weit mehr als zweideutiges Madonnenrelief mit Antonius und Stifter,
vor dem man schwer begreift, daß ein Forscher wie Ugo Ojetti die Hand Quercias
darin anerkennen konnte. Oder war es, da er es auch besitzt, blinde Vaterliebe?
Tausende besuchen alltäglich die Ausstellung; der Erfolg ist entschieden und über alle
Erwartung groß. Das alte Rom ließ sich Kopien der griechischen Meisterwerke an-
fertigerp London, das neuzeitliche Gegenstück der antiken Urbs, hat die Macht und
die Mittel, sich die Originale, die unersetzbaren Meisterwerke einer der größten Epochen
menschlichen Kunstschaffens, iiber das Meer kommen zu lassen. Mag noch soviel von
liochgespanntem, nationalem Kulturbewußtseins auf Seiten Italiens dazu mitgeholfen
haben — die Tat ist Englands, sein der Ruhm.

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