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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 5
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Wolfradt, Willi: Henri Matisse: zur Ausstellung in der Galerie Thannhauser, Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0155

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Henri Matisse Türkin. Zeichnung. 1929

Aus der Matisse - Ausstellung der Galerie Thannhauser, Berlin

HENRI MATISSE

ZUR AUSSTELLUNG IN DER GALERIE THANNIIAUSER, BERLIN

VON WILLI WOLFRADT

Man hat bei uns noch kaum Gelegenheit gehabt, die blühende Ebene dieser Kunst mit
vollen Blicken zu überschauen. Unsere Vorstellung von ihr sah sich auf verstreute
Einzeleindrücke angewiesen, die sich allenfalls aus der Beobachtung ihres befruchten-
den Weiterwirkens ergänzen ließen. In den letzten Jahren gar blieb es bei Zufalls-
begegnungen, die vor allem über die jüngeren Schaffensergebnisse nicht unterrichteten.
Man muß sich das verdeutlichen, um danaclr das Verdienst der nun auf breitester
Grundlage erfolgten Aufzeigung durch die Galerie Thannhauser zu würdigen. Matisse
in der Fülle und Weite seiner malerischen und darüber liinaus seiner plastischen und
graphischen Produktion zu veranschaulichen, war um so mehr ein Erfordernis, als der
Begriff seiner stilistischen Art zum täglichen Umgang jedes irgend mit der Gegen-
wartskunst sich Befassenden geliörte, ohne bislang durch ein zureichendes Anblicks-
erlebnis legitimiert zu sein und ohne die Möglichkeit einer Überprüfung. Erst diese
in jeder Hinsicht wohlfundierte, zu strömendem Gesamtaspekt gebreitete Ausstellung
versetzt in die Lage, ihrer habhaft zu werden und eine gültige Stellung zu gewinnen.
Man erblickt wundervolle Beete liclit und unverzagt gegeneinander gestimmter Farbe
und weidet sich am lauteren, durchscheinenden Zusammenklang. Immer aufs neue
entzückt das luftige Leuchten der Akkorde, ihr Glockenschwingen. Immer wieder er-
staunt die leichte und kühne Sicherheit der Harmonien. Es bekundet sicli darin
eine divinatorische Überlegenlieit, die nie aufhört, zu wagen, nie zaudert, ein unge-
wohntes Glück zuzumuten. Der freie Plan des Bildaufrisses entspricht in seiner losen
Fügung, in seinem gleitenden Balancement ganz und gar dem geklärten Scliweben,
dem offenen Beziehungsspiel der farbigen Fläclien. Man empfindet die unbedingte
Einheit der formalen und der klanglichen Konzeption, findet sie bestätigt durch den
gelöst und bestimmt alle Bildglieder einfassenden Kontur. Diese Malerei hält sich
ebenso weit entfernt von konstruktiver Strenge wie von der Systemlosigkeit des rein

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