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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

DOI issue:
Heft 5
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Wolfradt, Willi: Henri Matisse: zur Ausstellung in der Galerie Thannhauser, Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0158

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doch sein eigentliches Element schien. Seine Linie ist aucli dort, wo sie kein leuch-
tendes Feld zu konturieren hat, witternd beschwingt, sie hat im fein geritzten, leichten
Zug über die Radierplatte eine bis zur Laszivität gehende, geistreich vibrierende Lok-
kung in sich. Auch hier kreist die ganze Produktion um das Thema des hockenden,
liegenden Mädchens in träge hingegossener Odaliskenpose. In der Zeichnung scheint
Matisse von der großen, offenen Federschrift abgekommen zu sein, die ausgestellten
Blätler sind zumeist subtile Bleilineamente, zart anmodelliert, höchst melocliös in
ihrer müden Grazie. Die Skulptur aber birgt Sonderwerte, die es verbieten, sie als
Ergebnisse gelegentlichen Ausfluges auf ein Naclibargebiet der Malerei zu betrachten.
Hier lcommt in rauhen, zerpflückten Formungen, in Gebilden eines wildgelaunten
Humors eine Urwüchsigkeit zum Durchbruch, die der Maler zwar nicht unterschlagen
hat, aber erst sehr geläutert zur Auswirkung kommen ließ. Hier hält sich gleichsam
eine auf anderem Felde cler Schönheit geopferte Kühnheit schadlos. Um sich dann
auch in der Plastik dem als das höhere erkannten Prinzip zu unterwerfen, etwa in
einer recht großen Sitzenden mit hinter dem Kopfe verschränkten Armen, deren
Silhouettierung ganz an die gemalten Akte anklingt. Es ist in aller Sänftigung ein
entschiedenes, makellos ausgewogenes Werk. Der Plastiker Matisse ist keine bloße
Kuriosität, sondern ein dem Maler ebenbürtiger Meister.

Henri Matisse Araberin und Schachbrett. 1928

Aus der Matisse-Ausslellung der Galerie Thannhauser, Berlin

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