Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

DOI Heft:
Heft 17/18
DOI Artikel:
Habicht, Victor Curt: Ein unbekanntes Werk von H. Bornemann
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0486

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hansakunst auch den nachfolgenden Stilumwälzungen sofort gefolgt ist. Diese Tatsache
belegen eindeutig die entwickelteren Tafeln des sog. Heiligentaler Altares 1, die jetzt
im Museum in Lüneburg und in der Nikolaildrche aufbewahrt werden und das ge-
sicherte Werk H. Bornemanns: die gleichfalls in der Nikolaikirche stehenden Tafeln
seines Lambertikirchenaltares 2. Wir müssen uns mit diesen Arbeiten kurz beschäftigen,
ehe wir die Zuweisung unserer Kreuzigung in diesen Kreis vornehmen können. Geht
man von dem um 1458 — wahrscheinlich aber früher — vollendeten Lamberti-
kirchenaltar, der archivalisch für H. Bornemann so gut wie gesichert ist, aus, läßt den
höchst problematischen Anteil Conrad v. Yechtas an den Heiligentaler Tafeln aus dem
Spiele und hält sich an die Wahrscheinlichkeit, daß die letzteren um 1447 vollendet
gewesen sein müssen, so wird unverkennbar und sofort deutlich, daß eine große Anzahl
der Tafeln des Heiligentaler Altares von H. Bornemann gemalt sein müßten. Die un-
glückliche Vorstellung Heises, daß nur die Außenseitenmalereien des Heiligentaler
Altares von H. Bornemann gemalt sein könnten, hat eine vollständige Yerwirrung der
an sich deutlich ablesbaren Vorgänge gebracht und eine richtige Einschätzung H. Borne-
manns vereitelt. Wie die Daten ohne weiteres annehmen lassen und die Tatsachen
auch belegen, sind die jetzt gereinigten Lambertikirchenaltartafeln, wie ich mich durch
eine nochmalige Besichtigung der Bilder überzeugt habe, die fortgeschrittensten, und
gerade das Gegenteil — wie »altertümlich, befangen« usw.—- trifft für die erstaunlich
entwickelten und malerisch hochqualitätvollen Bilder zu. (Die Außenseiten sind, neben-
bei bemerkt, sehr stark übermalt.) Obwohl es sehr wahrscheinlich ist, daß H. Borne-
mann vor der Ausführung des Lambertikirchenaltars eine nochmalige Studienreise
nach den Niederlanden gemacht hat, die einen reiferen und geänderten Stii zeitigte,
ist doch vollkommen deutlich, daß zum mindesten das Abendmahl, Andreas taufend,
Verhörung des Andreas, Martyrium des Andreas und der hl. Laurentius taufend vor
dem Heiligentaler Altar von ihm gemalt sein müssen. Trotz zahlreicher Beziehungen
unserer Tafel zu dem Heiligentaler Altar, auf die noch zu verweisen sein wird, er-
scheint sie schon des Wegfalls des Goklhintergrundes, der Gesamtbildanlage usw. wegen
fortgeschrittener, und vermutlich nach der zweiten niederländischen Reise — also
gegen 1450 —• geschaffen. Die Grundelemente des Bildstils der Heiligentaler Tafeln
sich durch Skizzen usw., also indirekt, von den Niederlanden beeinflußt zu denken, ist
bei der Vielseitigkeit der Anregungskreise (v. Eycks, Rogier v. d. Weyden, M. v. Fle-
malle), vor allem aber bei der Art der Stoffmalerei ausgeschlossen. Die Verbindungen
mit unserer Tafel sind natürlich nicht in zeitstilistisch gegebenen (also selbstverständ-
lichen) Möglichkeiten, sondern in individuellen Umprägungen der niederländischen
Anregungen zu suchen. Hierher zählen eigentümlich scliarf und hart gemalte Profil-
bildungen (vgl. z. B. Maria Magdalena unserer Tafel, mit anbetendem Mann am wei-
testen links der Kreuzigung des hl. Andreas des Heiligentaler Altars). Wiederkehr
gleicher Gesamthaltungen (vgl. z. B. Mutter des Herrn unserer Tafel und knieende
Frau der Kreuzigung des hl. Andreas des Heiligentaler Altars), Nasenbildungen mit
aufgesetzten starken Glanzlichtern, und die Stilisierungen der Baumgruppen.
Unterschiede und Fortschritte unserer Tafel sind aber ebenso klar — und natürlich als
solche der »gleichen Hand« — ausgeprägt. Das bei den Heiligentaler Tafeln noch
nicht geglückte Größenverliältnis von Figuren im Umraum ist hier der Lösung näher
geführt, wie auch die Dimensionsbeziehungen der Landschaftsteile untereinander über-
legter und sorgfältiger erscheinen. Das entwickeltere malerische Empfinden und Können
streift den in den Heiligentaler Tafeln noch sehr spürbaren Linearismus zwar — und

1 Vgl. V. C. Habicht, Der niedersächsische Kunstkreis, Hannover 1930, Abb. 137—140.

2 Vgl. V. C. Heise, Norddeutsche Malerei, Leipzig 1918, Abb. 97 u. 98.

454
 
Annotationen