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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 23/24
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Marzell von Nemes †
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0618

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Spontanität dieses seines Lebens, daß er in kürzester Zeit ein Bild meisterlich entwarl’ —
um es nie zuvollenden. Es wäre verfehlt, hier von Dilettantenarbeit zu sprechen. Nemes
skizzierte als ein Meister und der Reiz seiner Palette war ebenso malerisch reif wie per-
sönlich einzigartig. Nie aber hat er jene Wegstrecke der akademischen Arbeit zurück-
gelegt, die seinen Leistungen eine formale Geschlossenheit gesichert hätte.

Aber wie wenig liätte die Akademie für ihn getaugt! War es ja gerade seine Größe, alles
aus sich heraus zu erfassen. Wie anders fand er aus seinem intuitiven Sehen Eingang zu
den alten Meistern als einer, den Bücher belehren. Er konnte von Tizian, von Greco und
Rubens sprechen, lange und eingehend, und es war alles dabei aufs persönlichste erfühlt;
dem Hörenden fielen Schuppen von denAugen: so hatte man nie von diesen Meistern
reden gehört, kein Lehrbuch hatte sie so geschildert, und man verstand, daß etwas
Kongeniales in Nemes einen uns anderen verschlossenen Zugang in das malerische Wesen
dieser Künstler fand. Man vergißt auchheute zu leicht, wie diese Wesensverwandtschaft
ihn zu Courbet und Manet, zu Cezanne und Renoir hinzog, als diese noch keineswegs
kunstgeschiclitlich oder gar kunsthändlerisch abgestempelte Größen waren; wie er die
Werke des Greco sammelte, als erst Wenigen seine schmerzhafte Größe, seine mystische
Farbe etwas zu sagen hatte; auch daß er bald jene großartig breit gemalten Männerbild-
nisse der englischenSchule des 18. Jahrhunderts seinemSammelgebieteinbezog, alsvon den
gleichen Meistern nur Bildnisse schöner Frauen offiziell Anerkennung genossen.

Es ist gleichgültig, ob Nemes wiederliolt genötigt war, größere Teile seines angesam-
melten Besitzes zu veräußern 1. Menschen, die das Besondere seiner Prägung nicht er-
messen können, mögen ruhig über die Mischung seiner Sammeltätigkeit mit spekula-
tiven Absichten spötteln. An der eigentümlichen Sendung dieses Lebens prallen solche
Angriffe ab. Es war gemäß der außerordentlichen Zielsetzung ein Leben, welches sich
seine eigenen Gesetze gab. Äußerlich mußte es zwangsläufig zur Isolierung führen.
Durch die rastlose Beschäftigung mit den eigenen Gedanken und Plänen gab es nur
eine immer stärker werdende Zurückziehung auf sich selbst. Immer mußte er gestalten,
baute Schlösser, stattete Wohnungen mit seinen erworbenen Kunstwerken aus, er-
richtete Landsitze. Aber das Gesetz seines Lebens erfüllte sich so sehr in diesem Ge-
stalten um sich, daß gleichsam für seine Person kein Raum mehr übrig blieb. Er ver-
schwendete an andere, für andere. Er selbst blieb allein. Er blieb es um so mehr, als
in den Tiefen seines Wesens eine Güte schlummerte, um welche sich die vielen, die
schaulustig zu seinen Sammlungen drängten, nicht bekümmerten. Vielleicht hütete
er sie auch selbst sorgsam als etwas, was der Kraftentfaltung, der glänzenden Geste
Abbruch tun könnte. Um so bedenkenloser schenkte er, wo er zu helfen wußte. Und
wer ihm wirklich nahegetreten war, weiß, was sein Händedruck bedeutete.

Es gibt kein Bildnis, das uns die Züge des Verstorbenen ganz überzeugend hinterlassen
hätte. Vor kurzer Zeit nocli bemühte sich Kokoschka, dieses Bild zu malen. Konnte aber
restlos befriedigend die Aufgabe erfüllt werden? Was seinem Äußeren Außergewöhn-
liches gab, war das Widerspiel dauernder innerer Gespanntheit und Lebendigkeit. Schon
das ruhige Sitzen vor dem Maler mußte seinen Zügen vom Besten rauben. Tatsächlich
erschien auf der Leinwand nicht so der immer elastische, als eher ein ernster, be-
schatteter Mann. Heute will es uns merkwürdig ergreifen, wenn wir an diese Wand-
lung denken, welclie Nemes’ Züge unter den Händen des Malers erlebten. War es mehr
als die Unmöglichkeit, die Kraftfülle eines Menschen bildlich festzuhalten, war es eine
Hellsichtigkeit des Künstlers, wenn er den Lebenselan dieses Mannes abschwächte, den
wir nur ungebrochen kannten, dessen rasches Erlöschen wir heute noch nicht zu ver-
stehen meinen . . . Erwin Rosenthal

1 Die wichtigsten Bildwiedergaben enthalten vier große Katalogwerke, München 1911 (mit Vorwort
von Tschndi), Diisseldorf 1912, Paris 1915, Amsterdam 1928.

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