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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 23/24
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0650

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PIROSMANiSCHWILl-AUSSTELLUNG iN TIFLIS

Eine der interessantesten, ja man darf wohl sagen
die bedeutendste Erscheinung der neuen georgi-
schen Malerei bildet zweifellos der 1918 verstor-
benc Autoditakt Niko Pirosmanisch wili,
ein georgischer Henri Rousseau, von dem die Geor-
gische Nationalgalerie in Tiflis kürzlich ca. hun-
dert Gemälde zu einer Personalschau vereinigt hat.
Pirosmaniscli wili, oder abgekiirzt Piros-
man (geb. i863), hat irgendwelchen Kunstunter-
richt überhaupt nicht genossen.

Thematisch sind die WerkePirosmanischwilis, die
meist auf schwarzer Wachsleinwand gemalt sind,
von reichhaltiger Vielfältigkeit, und ihre Entwick-
lungslinie geht von liebevoRer Kleinmalerei zu
einem immer stärkern monumentalen Stil über.
Festliche Versammlungen, Trinkgelage, Genrebil-
der wechseln mit Einzelfiguren, Landschaften und
besonders zahlreichen Tierbildern ab, in denen
Einflüsse persischer und vielleicht noch älterer
vorderasiatischer Kunst sowie georgischer Fresken
und Volkskunst sichtbar werden. ARes ist mit pri-
mitiver Unmittelbarkeit erfaßt und verarbeitet,
echtes Malertemperament und ein nicht gewölm-
liches Kompositionstalent kommen in der breiten
Malweise, den fcin abgestimmten, gesättigten Far-
ben und der klaren Übersichtlichkeit der Rilder
stets zum Vörschein.

Direktor Schewarnadse, dem es geglückt ist, den
größten Teil des erhaltenen Oeuvres Pirosmans in
der Georgischen Nationalgalerie zu konzentrieren,
trägt sich mit der Absicht, in Berlin eine Ausstel-
lung von Gemälden dieses in jeder Beziehung fes-
selnden Naturkünstlers zu arrangieren. P. E.

WIENER AUSSTELLUNGEN

Die schöne Wienerin / Egon Schiele /

S0wjetrussische Malerei

Die Ausstellung »Die schöne Wienerin« bei Neu-
mann & Salzer verdient nicht nur als eine glück-
liche Spekulation auf den ewig gleichen Publikums-
geschmack gewertet zu werden, sie übertrifft auch
durch ihr kiinstlerisches Ergebnis die Erwartungen.
Nicht etwa als ob wir die großen Maler dcr schönen
Wienerin wie einen Füger, Lampi, Daffinger, Krie-
huber, Amerling von einer neuen Seite kennen
lernten. Das, was uns die Ausstellung, die die Zcit
von der Wende des 18. Jahrhunderts his um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts umfaßt, so wcrt-
voll macht, ist vielmehr der Umstand, daß sie
uns die zahlreichen Maler, die gemeiniglich als
Künstler zweiten Ranges gefülirt zu werden pflegen,
wie etwa Eybl, Einsle, Reiter (dessen nobles, grau
in grau gemaltes Mädchenbildnis den bcsten Bild-
nissen jener Epoche zurSeite gestellt werden muß)
auf einer Höhe der künstlerischen Entwicklung
weist, die besser als die hekannten Meisterwerke
der Wiener Kimstler-Koryphäen die Höhe des
künstlerischen Niveaus des Wiener Vormärz illu-
striert. —

In der »Neuen Galerie« werden der Öffentlichkeit
bisher unbekannt gebliebene Arbeiten von Schiele
gezeigt. Unter den ßildnissen verdient das Porträt
von Hofrat Haberditzl, dessen edel-schlichte Auf-
fassung es zu dem besten Bildnis Schieles stempelt,
besonders hervorgehoben zu werden. Ebenso kenne
ich wenige seiner Kompositionen, die an Ausdruck,
dekorativer Wirkung und Eigenart der Farbe der
Mutter mit den zwei Kindern zu vergleichen wären.
Wunderschön auch in ihrem Kolorit und ihrer
ornamentalen Wirkung einzelne der ausgestellten
Landschaften. Kurz, eine kleine Ausstellung von
ganz besonderem Reiz. —

Dagegen kann man sich in der Schau »Sowjet-
russischer Kunst« mit der getroffenen Auswahl
nicht recht befreunden. Ein kleiner, einseitiger
Ausschnitt aus Rußlands Kunst, revolutionäre Ge-
sinnung mehr durch die Wahl des Gegenstandes
bekundend als in der Form, die ein Wiederauf-
leben des Naturalismus zeigt. P.-N.

WIESBADEN

Der Nassauische Kunstverein bringt im Anschluß
an die »Meisterwerke altdeutscher Plastik in foto-
grafischer Wiedergabe«, die große Sammlung aus-
gezeichneten Studienmaterials, welche als Wander-
ausstellung zu empfehlen ist, eine kleine, umsich-
tig gewählte Ausstellung gotischer Skulpturen aus
Wiesbadener Privatbesitz. Drei interessante stehende
Madonnen aus den Wendejaliren des iö.Jahrhun-
dei'ts konnten vereinigl werden. Alle drei im Motiv
gleich: mit dem liegenden Kind in den Armen.
Die eine (Sammlung ITenkell) ist ein Spätwerk
Riemenschneiders, ein Qualitätsslück, die andere
(Heinemann) stammt aus Kloster Alteich bei Strau-
bing in Bayern und erfreul besonders durch die
wundervolle Erhaltung der Farben. Beide sehr
repräsentative Typen. Die dritte, der Provenienz
nacli wohl die nördlichste (Sammlung Laaff)
ebenfalls ein schönes Stück. Aus der Sammlung
Laaff, aus der das meiste gezeigt wird, ist vor
allem die entziickende Sitzmadonna zu nennen.
Mittelrheinisch, um i44o, von köstlicher Frische.
Sie bietet ihrem Kind Kirschen statt der iiblichen
Traube. Interessant auch eine Grablegung, burgun-
disch oder westfälisch? In einigem Zusammenhang
mit der zeitgenössischen Alabasterplastik. Eine re-
liefartig behandelte Anna selbdritt, um i^ao, sehr
reizvoll und ein sehr schöner Kruzifixus, wohl
mittelrheinisch, um i48o. ch

PERSONALIA

Zum Professor ernannt wurde Kustos Dr. Willy
Kurth, der Leiter der ncueren Abteilung im
Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen in
Berlin. Kurth hat diese Abteilung als Nachfolger
von Sievers und Curt Glaser in den letzten Jahren
mit besonderem Geschick auszubauen verstanden,
und die Ausstellungen aus der Graphik des 19.

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