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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 13 (1. Aprilheft 1917)
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Schultze-Naumburg, Paul: Die Gestaltung der Landschaft: zu der neuen Folge der Kunstwartbücher "Kulturarbeiten"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0033

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Hecke und Gehölz, das vorher in malerischem Wechsel die Flur mit charak«
teristischen Merkmalen durchsetzt hatte, mit ihnen wieder fielen die Brut»
stätten von Myriaden gefiederter Sänger und Insektenverspeiser. Ieder
Flußlauf, der vordem zwischen Erlengebüsch seinen Weg gezogen, wurde
zum Kanal, an dessen Ufern man nichts Grünes mehr duldete, und jeder
Bach, der sich durch das Wiesengelände schlängelte, wurde begradigt und
zu einem in Zement gefaßten Rinnsal.

Die Industrie nahm ganze Länder in Beschlag und trug keinen andern
Gedanken, als nur in möglichst kurzer Zeit möglichst viel finanzielle Werte
herauszuholen. Für das, was ohne Not und gedankenlos zerstört wurde,
war kein Verlustkonto angelegt, und an die Möglichkeit, auch die Industrie«
anlage schön und harmonisch zu gestalten, dachte man nicht. Die anfangs
unbeabsichtigte Verheerungsmethode steigerte sich allmählich zu einer all-
gemeinen Manie, die alles Äberkommene haßte, bloß weil es nicht neu
war, gleich, was für unwiederbringliche Werte es bergen mochte. Kein
schöner großer Baum war mehr seines Lebens sicher, denn man sah in
ihm ein tzindernis, um das man Herumlaufen mußte, und wenn er weit
abseits von jedem Wege stand, so sagte man, daß er alt sei und deshalb
sterben müßte.

So kam das 20. Iahrhundert heran, und auf seiner Schwelle ruhte sich
das vom Wettlauf atemlose Volk einen Augenblick aus und schaute um
sich. Noch hörte es nicht auf die vereinzelten Stimmen, die riefen: Was
tut ihr? Aber langsam schwollen die Stimmen an und wurden zu einem
Chor der Warner, und manch einer wurde gedankenvoll, wenn er ihn
hörte. War es am Ende doch wahr, daß man über dem Wichtigen das
Wichtigere öergaß, daß man für Ersetzbares Anersetzliches drangegeben
hatte? Keine Bewegung in der Tiefe eines Volkes entsteht ohne all«
gemeinen Zusammenhang mit der inneren Entwicklung des Volkes, und
es ist kein Zufall, daß die Gedanken, die sich zum Teil unter dem Namen
„tzeimatschutz" zusammenfanden, zeitlich mit Ideen zusammengehen, die ein
neues Volksethos schaffen wollten. So standen Männer auf, die mit Be-
sorgnis auf den drohenden körperlichen Verfall des Volkes sahen und die
Forderung stellten, daß durch Körperübungen und Wettkämpfe ein neues
stahlhartes Geschlecht heranwüchse. Man wies auf die in ein enges
französisches Korsett gezwängten Frauen und Mädchen und sorderte, daß
auch sie in freier und gesunder Leibesschönheit aufwüchsen, um Mütter
von starken Männern sein zu können. Man räumte auf mit viel Stuben-
hockerei und mit vielem Anfreien und mit vieler häßlicher Prüderie und
wurde wieder seines Körpers froh, wie es alle großen Völker gewesen waren.
Man erkannte einen alten Feind, den Alkohol, und wies der Iugend
reinere und edlere Lebensfreuden, als die unsrer russischen Nachbarn.
Ein Besinnen, ein Umkehren war über unser Volk gekommen, so wie ein
toller Draufgänger edlen Blutes wohl auch in jugendlichem Anverstand
eine Weile dahinstürmt, bis plötzlich ein Ereignis kommt, das ihn nach-
denklich macht, und er umgewandelt und als ein Mann sich am nächsten
Tage erhebt. Er hat seine Prüfung bestanden und sich wieder selbst ge-
funden. —

War diese Methode, die Landschaft zu gestalten, die einzig richtige und
notwendige? War es wirklich der einzig möglichr: Ausdruck der neuen
Zeit, zwang das neue Wirtschaftswesen unausweichlich dazu, diese Wege
einzuschlagen, oder wäre es möglich gewesen, neue Ziele und alte be-
 
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