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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1917)
DOI Artikel:
Oestreich, Paul: Verbraucherkraft gegen Verbrauchernot
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0317

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Verbraucherkraft gegen Verbrauchernot

D^^-nser Iahrhundert war bereits vor dem Kriegsausbruch dem Ver^
^ I braucher in steigendem Maße abgünstig. In der wirtschaftlichen
^^Wellenbewegung trieb e r hinab, wenn auch bei steigendem „National--
wohlstand^ der ganze Wellenzug sich hob. Bevölkerungswachstum, stei»
gende Ansprüche und verhältnismäßig vermindertes Angebot (die Äber-
schußleistung der Agrarländer an landwirtschaftlichen Erzeugnissen ging
mit ihrer steigenden Industrialisierung zurück) ließen die Preise der not--
wendigsten Bedarfswaren: Lebensmittel, Wohnung, Kleidung, schneller
wachsen als die Einnahmen. Das versteuerte „Einkommen" stieg, die Ist--
einnahme, die dafür eintauschbare Gütermenge, sank langsam. Zudem lag
der tzauptteil der politischen Macht in den tzänden der „Lrzeuger"parteien,
während die verschiedenen Verbraucherkreise ihre Kräfte im Kampfe unter
sich verzettelten. Die Landwirte als Nahrungsmittelerzeuger, Bergbau
und Schwerindustrie als Rohstofflieferanten wurden den Verarbeitern und
Verbrauchern gegenüber fast allmächtig. Auch gab es ihnen gegenüber
keine gemeinsame Front, sondern tzandel und Gewerbe legten der „letzten
Instanz^, dem N u r--Verbraucher, neue Bürden auf. Die städtische Be-
völkerung wurde fast ausschließlich zur Rohstoffverbraucherin, ihre
Mehrheit sogar in erster Linie nur interessiert am Warenverbrauch^
denn auch dem Industriearbeiter wurden — tatsächlich, wenn auch oft nicht
bewußt — billige Warenpreise wichtiger als steigende Löhne, die ihn doch
weniger am Anternehmergewinn teilnehmen als unter der Preissteigerung
leiden ließen. Stabile Löhne bei stabilen Preisen für die Lebensnotwendig--
keiten wären weit bessere Grundlagen für eine beruhigte Lebensführung,
also für eine sittliche Einformung, die tzerausbildung eines festen Sitten--
bestandes, gewesen. Doch kam der „Konfument^, d. h. der nicht ausschließ--
lich oder vorwiegend am Anternehmergewinn beteiligte Arbeiter, Ange«
stellte, Beamte, „Intellektuelle^, kleine Rentner, nicht zum deutlichen Be--
wußtsein seiner Rolle, ihn blendeten erbetene oder erstreikte Lohnvorteile,
,Gewinnanteile" usw. Die wirtschaftlich--genossenschaftliche Reaktion der
Verbraucher in den Konsumvereinen aller Arten war im Verhältnis zu
den Kapitalassoziationen der Großindustrie, des Großhandels, der Groß«
banken recht schwach, gar ihre Eigen-Erzeugung noch winzig.

Die Kriegszeit warf dann den Verbraucher ganz in den Wellengrund.
Soweit er nicht durch Teilhaben an der Kriegskonjunktur seine Einnahmen
stark erhöhen konnte, stürzte ihn die sprunghafte Preissteigerung für alle
Bedarfswaren aus seiner oft nur mühsam errungenen Lebensführung.
Sie ließ es dem Kurzsichtigsten einleuchten: „Wenn man vom weiten Rund
knapp hat den schmalen Streif, den man beschattet, ist man Kanonenfutter
glatt" gegenüber Erzeugern und tzändlern, die ihr Bodenmonopol und
ihre Konkurrenzlosigkeit in bedenkenloser Gewinnsucht ausnützen und von
einer zu spät und in Zickzacklinien einsetzenden behördlichen Einregelung
nicht mehr zu ethischer Zwangsläufigkeit erzogen, geordnet, genötigt werden
konnten. Das Knappwerden der Waren, die emporrasenden Preise, die
immer dreister erhobenen Ansprüche der Interessenvertretungen, die manche
einsichtige und gutwillige Regierungsstelle durch ihren einseitigen Druck
lähmten, diese Mängel und Drohungen brachten fertig, was in der Frie«
denszeit niemand erhoffte. Schon Ende fanden sich vorher weit
auseinanderstrebende Kräfte: Konsumvereine, Gewerkschaften, Angestellten»

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