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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 13 (1. Aprilheft 1917)
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Schumann, Wolfgang: Zur Oper-Frage
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Hoffmann, Paul Theodor: Vom Heimweh: zu Jung-Stillings 100. Todestage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0038

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durch Staat- und Stadttheater ja schon ziemlich gedeckt ift. Dagegen sind
Opergastspiele in den (Schauspiel-)Theatern der Gesellschaft wohl denkbar.
Und in ihnen ist auch Kraft und Raum für die wenigen volkstümlichen
Opern, die es allerdings auch gibt, gleichsam als überraschende Neben«
ergebnisse der geschichtlichen Operentwicklung gibt: Singspiele, musikalische
Lustspiele usw. Ein solches Zukunftbild mag für die Komponisten künftiger
Opern nicht besonders erfreulich sein; aber es ist zu bedenken, daß die
Gegenwart mit ihrer unsachgemäßen tzoftheater-Vorherrschaft doch eher
noch schlimmer ist als eine solche Zukunft. Und weiter zu bedenken, daß
heute zahlreiche Opern überhaupt nur gleichsam aus einer ^falschen" Vor-
aussetzung heraus geschaffen werden, nämlich eben im tzinblick auf unsre
unwahrhaftige Theater-Organisation und in ihrem Bann, daß also mit
zunehmender Verwahrhaftigung der Organisation vielleicht auch die Lr-
zeugung von Opern zahlenmäßig zurückgehen wird. Freilich, die Oper ift,
mit ihrem Reiz als Theater-Angelegenheit (den Wagner prachtvoll ge-
schildert hat), so etwas wie ein Licht, an dem noch viele Tonkünstler als
arme Motten sich die Flügel sengen werden. Das mag noch Iahrhunderte
gehen, und die künftige Geschichte der Oper wird wie die heutige neben einem
bleibenden je und je tausend vergängliche Werke buchen oder — nicht
buchen. Von der Seite der Theater-Organisation her wird dem aber nicht
beizukommen sein. Da wird auch die Erziehung, und nicht nur die musi-
kalische, da wird noch mancherlei anderes eingreifen müssen. Doch das
sind Zukunftsorgen.

And ist denn das alles, was hier vorgetragen wurde, sind nicht Bekkers
sowohl wie meine Gedanken „Zukunftmusik^? Zweifellos. Aber da wir
einmal aus dem Elend der Gegenwart herauswollen, bleibt uns nichts
übrig als solche. Ich konnte Bekker in diesem Fall nicht voll harmonisch
beistimmen, sondern mußte einen eigenwilligen Kontrapunkt zu seiner
Melodie setzen, obwohl ich mir gewiß nicht einbilde, nun unbedingt meiner-
seits das Allein-Richtige gefunden zu haben. Aber die richtige Tonart,
ohne Bild: den richtigen Ansatzpunkt für Maßnahmen zur Besserung hat,
in der Soziologie der Theaterorganisation, e r gefunden. Das haben wir
und hat die Zukunft ihm zu danken. Wolfgang Schumann

Vom Heimweh

Zu Zung-Stillings 100. Todestage

o alt menschliche Kultur ist, so alt ist in ihr das tzeimweh. Der Inder
^^des Veda kennt es schon, Plato spricht von ihm in seiner Ideen-
^k^schau, Augustinus ruft zu Gott: ^Anser tzerz ist unruhig, bis es
ruht in dir". Dante fühlt alle tzeimwehqualen im Inferno, Goethes
tzeimweh verdichtet sich zu Gestalten wie Mignon. Und einer hat ein dick-
leibiges Buch über das tzeimweh geschrieben: Iung-Stilling. Das Buch
ist heute vergessen, aber vor einem Iahrhundert wurde es sehr viel ge-
lesen: verehrt und bewundert von allen Stillen im Lande, belächelt, ver-
spottet von den Klugen, die den Pietisten feindlich entgegenstanden und
die nicht merkten, daß Iung-Stilling nur eine Iahrtausende alte Melodie
aufgefangen hatte und auf seine Weise fortspielte. Im Grunde ist ja der
Gehalt des tzeimwehs sich immer gleich: das tzeimweh des Dreißigjährigen
Krieges war inhaltlich von dem des heutigen Weltkrieges kaum verschie-
den. Nur die tzüllen, durch die es bricht und in denen es sich zeigt, sind

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