Deutscher Wille: des Kunstwarts (30,3.1917)

geschlungen dort gegen die Reaktion, und der Sozialismus erscheint in
das englische Schema gebannt. Es wird kaum lange dauern. tzerve, der
durch die Ermordung Iaures' aus einem radikalen Sozialisten nicht ohne
innere Folgerichtigkeit zum radikalen Manchestermann bekehrte England»
freund, schrieb im ersten Iubel über die russische Revolution unter eng«
lischer Führung: „Man möchte verrückt werden vor Freude!^ Es bleibt,
glaube ich, in dieser Beziehung für ihn nicht viel zu wünschen übrig.

Inzwischen aber bewahrt dieser Eingang der Revolution mit seinem
Kriegsgeschrei die Führung oder doch den Einfluß des englischen Liberalis«
mus: Er will den Krieg, er kann nicht ohne ihn leben. Er ist auf Ver-
gewaltigung gestellt. Der eigentlichste Sinn dieses Liberalismus ist in
England entdeckt worden: Kampf ums Dasein. Aberleben des Stärkeren,
Ausnutzung des Schwächeren. Der Sozialismus, sollte er an die Spitze
kommen, wie wir es hoffen, hätte ein anderes Programm, als das, sich für
England zu verbluten, oder auch nur das, irgendwelche Konkurrenten
manchesterlich liberal niederzuzwingen. Ein feiner Zufall will, daß das
Buch, das am stärksten das dem. Kampf ums Dasein entgegengesetzte Ideal
ausgesprochen hat, ein russisches gewesen ist, Krapotkins „Gegenseitige
Hilfe in der Entwicklung". Und der Sozialismus würde, käme er oben-
auf, wahrscheinlich mehr Gewicht darauf legen, das Volk positiv zu organi-
sieren und innerlich zu kräftigen, als unnütze Eroberungsziele in der
Ferne zu verfolgen. (Unnütze, denn was hülfen Rußland die Darda«
nellen, wenn davor englische Inseln und jedenfalls die englischen Tor-
verschlüsse von Gibraltar und Suez liegen!) Mit einem sich konsolidieren-
den, innerlich kräftigenden und im eigenen Innern die überreichen Quellen
seiner Kraft findenden und entwickelnden Rußland aber könnten wir gute
Nachbarschaft halten. Bonus

Hans von Bülow und Nichard Wagner

lorenz, (890. Strahlender Maimorgen. Kaum hatte es acht ge-
schlagen, als ein scharf rhythmisches Pochen an der Tür meines
hochgelegenen Kämmerleins in der Casa Rardini ertönte — zwei
Daktylen und ein Spondeus. Bülow tritt ein. „Sind Sie fertig?" Sich
umschauend, zwischen den Zähnen, gutmütig spöttisch: „Richt jedes Mäd-
chen hält so rein!^ Dann wieder laut: „Also wir gehen nicht nach San
Salvi, eben weil wir's uns vorsetzten. Wir sind nicht in Deutschland;
somit brauchen wir ja nicht konsequent zu sein. Auch ohne Augenschein
zu nehmen, können Sie sich davon überzeugt halten, daß ein Cenacolo
von Andrea del Sarto in Süßigkeit zerfließt, Iudas mit eingerechnet.
Rnd was ist ein Abendmahl ohne vollgültige Kontraste! Doch ich zeig
Ihnen unendlich Schöneres; kein germanischer Privatdozent kennt es,
geschweige denn ein toskanischer Professor. Vorwärts!^ Auf dem Ponte
vecchio blieben wir nach unsrer Gewohnheit stehen, blickten flußauf- und
-abwärts. „Gewahren Sie den zarten Duft gegen das Casentino zu, nur
hingehaucht! Die italienische Ratur nimmt nie zuviel Pedal. Immer
Reinheit der Linien im vollen Klangzauber! Sehen Sie die Zypressen
auf San Miniato, wie sie sich klar, doch ohne alle Schärfe gegen den
Himmel abheben? Mit zwanzig Iahren hätte ich nach Italien kommen

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