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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 15 (1. Maiheft 1917)
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Marsop, Paul: Hans von Bülow und Richard Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0133

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sollen — natürlich nicht um zu hören, sondern um herumzugehen und
mein Auge zu schulen: dann wäre ein Musiker aus mir geworden.
Achten Sie auf die blauen Schatten an . . . nein, wenn Sie das im
Bilde nicht selbst entdecken, selbst fühlen, haben Sie nichts davon.« Dann
führte er mich durch einen Wirrwarr von schwärzlichen Sträßchen und
Winkeln, bis er schließlich am Ende einer Sackgasse in der Gegend der
Porta Romana Halt machte. Vor einem kleinen, halbversteckten Taber-
nakel mit einem Madonnenrelief in der Art der Robbia. Es nahm sich
ein wenig verwittert aus, die Glasur war zum Teil abgesprungen; Kopf-
haltung und Gesichtsausdruck der Maria bestrickten durch rührende An»
mut. Bülow warf die Zigarette weg, setzte sich auf einen Prellstein, legte
den Finger auf den Mund und stützte das Kinn in die Hand. Schier ein
Stündlein brachten wir im stillen Gottesdienste zu. Die Sonne sandte
tzitzpfeile herab; um uns spielten gutartige Kinder. Als der Meister uw-
vermutet, jäh aufschnellte, sah ich seine Augen feucht — das einzige Mal
in der Reihe so mancher Iahre. Am Abend schenkte er uns bei Frau
tzillebrand das Adagio der tzammerklaviersonate, so, wie er nie vor Publi-
kum spielte, sich zu verklärter tzöhenkunst des Dirigenten Bülow er-
hebend, des größten unter allen, die je den Stab führten. — Beim Nach-
hausegehen stotterte ich einen dummen Dank. „Mcht doch", sagte er;
„opfern Sie den Altflorentinern!" —

Eine verdrießliche, fröstelnde Novemberstunde im entgötterten
München. Ich breche den Brief eines wackern Kameraden auf — und
lasse ihn fallen, mir an den Schädel greifend. „Da getraut sich einer zu
versichern, Bülow hätte weder zur Natur noch zur bildenden Kunst ein
rechtes Verhältnis gehabt! Am Ende war er nicht einmal fähig, Terz
und Quint voneinander zu unterscheiden!"

G

^v>on pietätvoller tzand werden hiermit die Briefe des Meisters an
"Otzans von Bülow als Dokument ihrer Freundschaft zum erstenmale
der Öffentlichkeit übergeben." Also zu lesen auf dem Streifbande, unter
dem der Verleger das schön ausgestattete Buch mit der Aufschrift „Richard
Wagner, Briefe an tzans von Bülow" in die Welt sandte. Von pietät-
voller tzand? Von jemandem, der, gerade wenn er Wagner nahe stand,
erst recht dazu verpflichtet war, das Andenken an Bülow in höchsten Ehren
zu halten? Dann wäre diesem, von dem inmitten seines streitdurchtosten,
schmerzgesättigten Daseins schonunglose Selbstsucht forderte, sich für die ihm
Nächststehenden zu opfern, nach seinem Tode schier noch Bittereres geschehen.
Denn hier haben wir einen pietätswidrigen Versuch, ihn zur größeren
Ehre eines Dritten herunterzudrücken. „Corriger lä fortune" ist franzö--
sisch, corriger la verite das dem deutschen Wesen Allerfremdeste. Noch
schlimmer, wenn ein solcher Wahrheitverschminker sich der Verantwort--
lichkeit zu entziehen strebt. Wer die Behauptung aufstellt, daß „uns
keine schriftlichen Außerungen Bülows an Wagner vorliegen" und daß
wenige in Frage gekommene bis zu einer gewissen Zeit „erhaltene"
Briefe auf Bülows Wunsch vernichtet wurden, wer der Öffentlichkeit die
Rechenschaft darüber, ob er die ihm zur Verfügung stehenden Briefe
Wagners in allen Treuen zum Druck brachte, schlechtweg schuldig bleibt,
wer in einem dem Buche vorausgeschickten umfangreichen „Vorwort" bei
der Charakteristik des Menschen wie des Künstlers Bülow Seite für Seite
 
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